Montag, 12. November 2018

Onkel Toms Hütte 3: Rebellen und Auswanderer


Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch

Die Rebellen

Aber es gibt auch zwei bemerkenswerte Gegenfiguren zur dankbaren Sklavin Topsy und zu dem sich aufopfernden Sklaven Tom, den Beecher Stowe einen Martyrer nennt - Cassy und George, auch hier wieder in eine männliche und eine weibliche Variante aufgeteilt. Beide wollen mit dem Christentum nichts zu tun haben.

Ein großes Verdienst von Beecher Stowes Roman ist es, alle Aspekte der Sklaverei in ihre Fiktion miteinzubeziehen und dazu gehört die besonders perfide Ausbeutung und Quälerei der Frauen in der Sklaverei. Die Geschichte von Cassy, die Tom in seinen letzten Tagen so gut wie möglich versorgt, erhellt diese wenig beachtete Unterdrückung. Mit dem ersten ihrer Käufer lebt sie in einer jahrelangen Liebesbeziehung, aus der auch zwei Kinder entstehen. Nichts in dieser eheähnlichen Verbindung kann ihren Liebhaber dazu bringen, sie zu heiraten und ihr damit legalen Schutz vor der Sklaverei zu bieten. Vielmehr verkauft er sie schließlich zusammen mit ihren Kindern wegen seiner Spielschulden.

Wie sehr sie durch ihre Kinder erpressbar ist, schildert Beecher Stowe eindrücklich: Aus der zweiten Verbindung bei einem ihrer nächsten Besitzer wird ihr ein Sohn geboren, aber nachdem sie trotz aller Gefügigkeit ihre beiden ersten Kinder bereits durch Weiterverkauf verloren hat, bringt sie diesen neugeborenen Sohn durch Laudanum um. Nie wieder will sie Kinder haben, um durch sie erpressbar zu werden, nie mehr glaubt sie an die Liebe. Über eine Odyssee von Weiterverkäufen kommt sie schließlich in den Besitz von Legree. Hier hat sie bereits alle Skrupel und Ängste verloren, sie ist bereit zu sterben oder ihren Widersacher zu töten. Tom kann sie nicht überzeugen, so weit zu gehen, selbst nicht um den Preis, sinnlos zu sterben. Er will sie stattdessen zum Glauben an Gott führen, um ihren Peinigern zu verzeihen. Das aber lehnt sie ab. Über eine ausgeklügelte, über Monate vorbereitete Flucht entkommt sie der Sklaverei, bei der sie noch das Mädchen Emmeline aus dem Besitz von St. Clare mitnimmt, das Legree ebenfalls gekauft hat. 
Cassy ist durch ihren permanenten Missbrauch durch die Sklaverei eine ernstzunehmende Gegnerin ihrer weißen Unterdrücker: Sie wird vermutlich niemals mehr einem Weißen vertrauen und deshalb niemals kooperieren. Auch hier wird Beecher Stowes Appell spürbar, Sklaven menschlich zu behandeln, damit sie für die weiße Gesellschaft nicht verloren sind.
Eine noch weitreichendere Figur des Rebellen ist George, der Verlobte Elizas und Vater von Harry.  Er wurde von seinem Sklavenhalter an einen Fabrikbesitzer ausgeliehen, wo er sich schnell profiliert und entsprechend befördert wird. Sein Selbstbewusstsein wird von seinem Besitzer harsch in die Schranken verwiesen. Nach einem Besuch der Fabrik, wo ihm Georg als selbstbewusster Verwalter entgegentritt, nimmt er ihn aus dieser Leiharbeiterschaft heraus. Er degradiert ihn wieder zum Feldsklaven. Hier kommt die Angst zu Tage, dass der begabte, sich seiner Fähigkeiten bewusste Sklave für einen eklatanten Rollenwechsel sorgen könnte: Vom Unterdrückten zum Unterdrücker. In primitivster Form kam das auch in der Propaganda  der Sklavenbefürworter in ihren Karrikaturen zum Ausdruck. Beecher Stowe lässt George bei Eliza erbittert gegen seinen Besitzer, dem er sich überlegen fühlt, ausrufen:
My master! Who made him my master? I'm a man as much as he is; I am a better man than he is; I know more about business than  he does; I am a better manager than he is; I can read better than he can... and I've learned it all myself, and no thanks to him - I've learnt it in spite of him and now what right has he to ....bring me down to the hardest, meanest, and dirtiest work... 

"Die Abschaffung des Sklavenhandels", Britischer Cartoon, 1789, Wikimedia

Am Vorabend seiner Flucht besucht George Eliza ein letztes Mal, um ihr die Gründe darzulegen, warum er fliehen will. Zu diesem Zeitpunkt hat Elisza sich noch nicht entschlossen, selbst zu fliehen, weil sie nicht glauben kann, dass ihr gütiger Mr. Shelby den gemeinsamen Sohn Harry tatsächlich verkaufen würde - auch hier wieder der Hinweis auf den Vertrauensbruch selbst menschlicher Sklavenhalter, die letztendlich doch unmenschlich handeln. In den Worten Georges gegen das Christentum kleidet Beecher Stowe ihre harscheste Kritik als Gegnerin der Sklaverei. Eliza, die George an das Vertrauen in den christlichen Glauben erinnern will, entgegnet er:
That's easy to say, for people are sitting on their sofas, and riding in their carriages; but let 'em be where I am  ...
Als er bei seiner Flucht, bei der er sich bewaffnet und bereit ist, seine Verfolger zu töten - heutzutage würde man ihn einen Terroristen nennen, während er für die andere Seite ein Freiheitskämpfer wäre - an die Gesetze des Landes erinnert wird, gegen die er damit verstosse, ruft er aus:  
My country! what country I have but the grave!

Monrovia und Freetown - die Rückkehr nach Afrika

Christentum, das die Sklaverei ermöglicht hat mit einem Gott, der dies ungestraft zulässt, diesem Glauben will George nicht angehören. Und in einem Land, dessen Gesetze die Sklavenhaltung  und absolute Rechtlosigkeit von Menschen untermauern, in diesem Land  möchte er nicht leben. Folgerichtig wird er von Beecher Stowe als potentiell politischer Führer skizziert, der am Ende des Romans mit seiner Familie nach Liberia emigriert. Anders als Tom bleibt Georges Einfluss nur auf seine Familie beschränkt. Offensichtlich sind seine Ansichten zu radikal.

Aus naheliegenden Gründen ist die eigentliche Führungsfigur Tom, der so auch zum Titel des Romas wird, ist er doch die weitaus harmlosere 'Version' des Unterdrückten. Schon durch seinen Beinamen 'Onkel', der nicht nur seinem Alter geschuldet ist, wird er zur Identifikationsfigur für seine Mitsklaven - einer der offensichtlichsten Kompromisse, die Beecher Stowe für ihre Leserschaft eingeht, der aber vermutlich auch ihr eigenes Unbehagen gegenüber einem Rebellen wie George widerspiegelt.
Dennoch hat sie auch dieser Facette ihres Sujets mit einer Rolle wie der Georges bedacht, die m. E. die überzeugendste von allen ist, weil wir uns heute viel weniger mit Christentum und noch weniger mit Bibelzitaten einfangen lassen, mit der sie Tom unentwegt ausstattet. Aus damaliger Sicht war die Rebellion durch Demut, wie Tom sie bis zu seinem Tod praktiziert und sich diesem Tod ohne Aufbegehren fügt und dabei noch seinen Mördern vergibt(!), die moralisch durchschlagendste - gleichzeitig aber auch die annehmbarste Version für die Abolitionisten: Nicht schuldig werden am Tod von demutsvollen Christen wie Tom einer war und hoffen, dass die radikalsten und eloquentesten Denker der Sklaven emigrieren in ein Land, das den Namen Freiheit trägt.

Coat of arms of Liberia. Wikimedia
Die Aussiedelung von befreiten Sklaven nach Liberia - die Möglichkeit, die George nutzt - wurde aktiv von den USA gefördert. Die Flagge Liberias ist die US-Flagge mit einem Stern und zeigt so auch am deutlichsten die Affinität zu den USA. Die Konflikte zwischen den Nachkommmen der Sklaven -  den amerikanischen Liberianern - und den 16 Ethnien des Landes prägen das Land bis heute und führte zu einem 14 Jahre andauernden Bürgerkrieg, bei dem es wieder um den Kampf für Gleichberechtigung ging. Die indigene Bevölkerung Liberias kämpfte gegen Nachkommen ehemaliger Sklaven, die aus der Geschichte ihrer eigenen Unterdrückung heraus das Land besiedelten und zur Oberschicht avancierte und so zur herrschenden Klasse wurde.

Ghanaischer UN-Soldat bei der Bewachung eines Wahllokals 2005 in  Liberia. Foto: Uwe Kerkow
Eine weitere Rückkehrwelle von ehemaligen Sklaven nach Afrika war die Besiedelung Sierra Leones, dessen Hauptstadt deshalb auch den Namen Freetown trägt. Sie war eine selbstbestimmte und von den ehemaligen Sklaven finanzierte Migration mit eigens angeheuerten Schiffen für die Überfahrt. Diese selbstbestimmte Version hätte zur Rolle Georges besser gepasst, war aber Beecher Stowe damals vielleicht nicht bekannt. 

Das Urteil der Nachgeborenen, wie sie hier in der Besprechung des Romans prägend ist, sollte nicht jedoch keinesfalls dazu verführen, der Abolitionisten-Bewegung ihren Mut und ihr ehrliches Engagement abzusprechen. Der Rassismus hat mit dieser Bewegung nicht aufgehört und die faktische Gleichberechtigung der Afroamerikaner nicht durchgesetzt, aber sie war eine treibende Begleiterscheinung bei der Abschaffung der Sklaverei, der Respekt gebührt.

Holzhäuser in Freetown, Sierra Leone, die wohl von ehemaligen Sklaven in der ihnen bekannten Bauweise errichtet wurden. Foto: Uwe Kerkow, 2007

Lesen sie / lest auch Teil 1 und Teil 2.

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