Donnerstag, 23. November 2023

Fundstücke CCCXXVI

Argentinien: Den besten deutschen Kommentar zum Wahlausgang im "Silberland" hat Heiner Flassbeck geschrieben.

Venezuela: Die Lockerung der US-Sanktionen ermöglicht es europäischen und chinesischen Firmen (wieder) in die Erdölvorkommen in dem lateinamerikanischen Land zu investieren (Reuters).
Im Streit zwischen Venezuela und Guyana um die Erdölvorkommen in Essequibo hat Exxon Mobile Guyana schon 20217 finanziell unterstützt, damit das an EinwohnerInnen arme Land in einem möglichen Konflikt mit Venezuela besser bestehen kann (telesur).

Ukraine: Wo britische Waffen überall gelandet sind, die eigentlich für den osteuropäischen Kriegsschauplatz bestimmt waren, hat ein Kollege aus dem Königreich zusammengetragen. 

Bangladesch: Nach dem Streik in der Textilindustrie sehen sich jetzt 20.000 (!) TextilarbeiterInnen mit möglichen Klagen konfrontiert (Business & Human Rights Resource Centre).

Indien. Fachleute hatten gewarnt (MediaWatchBlog hatte berichtet) - jetzt ist es passiert: Die persönlichen Daten von 815 Millionen InderInnen aus der Aadhaar Datenbank sind gehackt worden und werden nun zum Kauf feilgeboten (hat tip RT).

Israel: Die USA nutzen den jüngsten Gaza-Krieg zum verdeckten Ausbau ihrer geheimen Militärbasis "Site 512"; etwa 35 Kilometer von Gaza entfernt (The Intercept). Eine weitere US-Basis in der Negev-Wüste wird "Site 883" genannt und geht auf die Initiative des Ex-US-Präsidenten Donald Trump zurück. 

Irak: Die Zuschläge für die jüngsten Ausschreibungen zur Ausbeutung irakischer Ölvorkommen sind an Russland und China gegangen (Oilprice.com).

Nigeria: FPiF bietet eine spannende Abrechnung mit der US-Politik in dem bevölkerungsreichsten afrikanischen Land seit den letzten Wahlen im Februar diesen Jahres. In Washington kriegt man kalte Füße angesichts der stetigen und teils erheblichen Menschenrechtsverletzungen Abujas im Umgang mit der islamistischen Herausforderung.

Schulden: Sorgen um die Auslandsverschuldung von "Niedrigeinkommensländern" macht sich das German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Die "internationale Gemeinschaft" müsse "endlich eine Schuldenerleichterung gewähren".

Investor-Staat-Streitbeilegungen: Weltweit wächst der Widerstand gegen sogenannte Investor-State Dispute Settlements (ISDS). Naked Capitalism bringt einen Text von JOMO mit interessanten Beispielen. (Es gibt jedoch auch Ausnahmen, was jedoch keineswegs heißen soll, dass eine privatim betriebene überstaatliche Gerichtsbarkeit legitim ist...)

Klimaüberhitzung: Ein neuer Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) beklagt, dass die reichen Länder die Mittel, für die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels zurückgehen. Demnach sanken diese Hilfe 2021 gegenüber 2020 um 15 Prozent auf 21 Milliarden US-Dollar (allAfrica.com).
Dazu passt: Wahrscheinlich wird die Klimaüberhitzung Ende diesen Jahrhunderts bereits 2,5 bis 2,9 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau betragen (allAfrica.com).

USAID hat das größte, jemals von der Organisation durchgeführte Projekt im Umfang von zehn Mrd. US-Dollar in den Sand gesetzt (The Bureau of Investigative Journalism). Chemonics, die private Consultingfirma, die für das Geld zuverlässige Lieferketten für medizinische (Hilfs)Güter aufbauen sollte, ist bei der Umsetzung ganz offensichtlich schwer gescheitert.

Montag, 20. November 2023

Gaza wird systematisch unbewohnbar gemacht

Zu den unglaublichen Vorgängen um das Al-Shifa Krankenhaus in Gaza meldet die die tagesschau "nun doch etwas Glück im Unglück" (Video, ab Sekunde 59). Auch die SZ schafft es eine Meldung zu verbreiten, die wie ein humanitärer Erfolg daherkommt. 

Alle, die glauben, so schlimm sei das doch alles garnicht, sind aufgefordert, den aktuellen Blogeintrag des Bündnisses für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern zu lesen. Dort heißt es unter anderem (Links im Original):

Das Krankenhaus wurde von israelischen Soldaten belagert, und es gab keine Möglichkeit, die toten Patienten zu bestatten. Das Personal musste mit bloßen Händen Gräber für die Patienten innerhalb des Krankenhausgeländes ausheben. Fast 100 Leichen wurden auf diese Weise begraben. Weitere Leichen wurden vor dem Krankenhaus abgelegt, wo das Personal sie nicht erreichen kann, ohne erschossen zu werden. Ärzte warnen, dass die verwesenden Leichen ein Risiko für die Verbreitung von Krankheiten darstellen und dass streunende Hunde bereits begonnen haben, die Leichen anzufressen. Ärzte ohne Grenzen beschrieb die schrecklichen Bedingungen im Al-Shifa-Krankenhaus, das von israelischen Soldaten beschossen und belagert wird.
(...)
Israel hat die Hauptwasserleitung zum Krankenhaus unterbrochen. Es gibt kein gereinigtes Wasser für die Herstellung der Spezialnahrung für die Babys, so dass sie gewöhnliches Wasser verwenden, und einige sind an Durchfall, Infektionen und Fieber erkrankt. Es gibt kein Essen. Die Kinder sind hungrig und verzweifelt. Es gibt keine Medikamente, und die Wunden der Verletzten haben sich auf schreckliche Weise infiziert, einige sogar mit Maden. Die Krankenhausverwaltung hat versucht, eine Delegation zu den Besatzungstruppen zu schicken, um sie um Nahrungsmittel, Treibstoff, Medikamente und eine sichere Evakuierung der Kranken und Verletzten zu bitten, aber die Israelis weigerten sich, mit ihnen zu sprechen.

Al-Shifa ist nicht die brutale Ausnahme, sondern die verbrecherische Regel.
Gaza wird systematisch unbewohnbar gemacht.
Insofern hat Israel ein wichtiges (Kriegs)Ziel schon bald erreicht.
Die Vereinten Nationen warnen schon seit mindesten 2015 davor.

Freitag, 3. November 2023

Nicht weitere zweieinhalb Jahre

Karim Khan, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, versucht seinen Ruf und den des ICC mit Symbolpolitik zu retten (Reuters; auf deutsch Euronews). Dabei hat er selber sehr maßgeblich dazu beigetragen, das Gericht (wieder) auf einen hart prowestlichen Kurs zu trimmen (MediaWatch berichtete). Einmal den Rafah-Grenzübergang von Gaza nach Ägypten zu besuchen und Warnungen auszustoßen, wird nicht reichen um die diskreditierte Institution wieder mit der nötigen moralischen und faktischen Autorität auszustatten.

Da reicht die Initiative des türkische Präsident Tayyip Erdogan schon weiter: Der hat seine Verwaltung angewiesen, zu untersuchen, wie man die israelische Gewalt gegen ZivilistInnen in Gaza als Kriegsverbrechen vor dem ICC verhandeln lassen kann (MEMo). Der Schönheitsfehler hier: Weder Israel noch die Türkei sind Unterzeichnerstaaten des Rom-Statuts.

In Den Haag ist seit 2014 eine Anklage wegen möglicher Verbrechen anhängig, die "in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, seit dem 13. Juni 2014" begangen wurden. Derzeit wird darüber gestritten ob der ICC zuständig ist (territorial scope of the Court's jurisdiction).

Der bislang letzte Eintrag zu dem Thema stammt vom März 2021 in dem Fatou Bensouda feststellt: Wir wussten,

Mittwoch, 1. November 2023

Einwurf Craig Mokhiber

MediaWatchBlog dokumentiert das Rücktrittsschreiben von Craig Mokhiber, Direktor des New Yorker des Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk. Das Schreiben ist ebenso politisch wie persönlich gehalten und bietet wichtige Hintergründe aber auch Vorschläge für eine friedliche Zukunft in diesem so gequälten Landstrich Westasiens. 
 
Ihr/Euer MediaWatchBlog-Redakteur ist nicht in allen Punkten einer Meinung mit Mokhiber. So sollte etwa die Frage, ob Palästina und Israel ein Staat werden oder zwei Staaten bleiben sollen, einzig von den Menschen entschieden werden, die dort leben. Aber seine Anmerkungen sind prägnant und konzise und mit Abstand das Qualitätsvollste was zu dem Thema in den letzten Wochen über die Ticker des MediaWatchBlogs gelaufen ist. (Hervorhebungen im Original.)
 
 
HEADQUARTERS | SIEGE | NEW YORK, NY 10017
TEL.: + 212 963 5931 | craig.mokhiber@un.org
 
28 October 2023
 
Dear High Commissioner,
 
This will be my last official communication to you as Director of the New York Office of the High Commissioner for Human Rights.
I write at a moment of great anguish for the world, including for many of our colleagues. Once again, we are seeing a genocide unfolding before our eyes, and the Organization that we serve appears powerless to stop it. As someone who has investigated human rights in Palestine since the 1980s, lived in Gaza as a UN human rights advisor in the 1990s, and carried out several human rights missions to the country before and since, this is deeply personal to me.

I also worked in these halls through the genocides against the Tutsis, Bosnian Muslims, the Yazidi, and the Rohingya. In each case, when the dust settled on the horrors that had been perpetrated against defenseless civilian populations, it became painfully clear that we had failed in our duty to meet the imperatives of prevention of mass atrocites, of protection of the vulnerable, and of accountability for perpetrators. And so it has been with successive waves of murder and persecution against the Palestinians throughout the entire life of the UN.

High Commissioner, we are failing again.

Montag, 30. Oktober 2023

Fundstücke CCCXXV (was liegengeblieben ist)

Venezuela/Guyana: Eine geplante Militärbasis des US-Südkommando (Southcom) in der 160.000 Quadratkilometer großen ölreichen Esequibo-Region ist Gegenstand eines laufenden Streitverfahrens zwischen Venezuela und seinem Nachbarstaat Guyana vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen. Venezuela beklagt, dass Guyana illegal eine Ausschreibung zur Erdölförderung in einem umstrittenen Meeresgebiet durchführt, in dem sie keine Hoheit habe

Haiti: Der US-Verteidigungsminister war in Nairobi, um einen Einsatz kenianischer Sicherheitskräfte in Haiti vorzubereiten (VoA). Der kenianische Außenminister Alfred Mutua erklärte, sein Land wolle nicht nur gegen die Banden in dem karibischen Armenhaus vorgehen, sondern auch zur Stärkung der haitianischen Infrastruktur und zur Wiederherstellung der Demokratie beitragen.
Bleibt die Frage, wie das funktionieren soll, wenn die KenianerInnen weder Französisch noch Kreole sprechen. Zudem steht die kenianische Polizei zu Hause wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Eine gute Kurzzusammenfassung mit vielen wichtigen Links bietet der New Humanitarian. Der UN-Sicherheitsrat hat den Einsatz durchgewinkt (Russland und China haben sich ihrer Stimme enthalten).

Lateinamerika: "The US-Empire Strikes Back" fasst naked capitalism die aktuelle Situation auf dem Subkontinent zusammen.

Nigeria: Die Rückgabe der Benin-Bronzen (MediaWatchBlog berichtete) hat in Benin City einen Kreativboom ausgelöst. Die Zeit berichtet sichtlich erfreut.

Indien sollte nicht die Unsitte des Westens übernehmen und politische Gegner gezielt ermorden, meint The Wire. Hintergrund sind natürlich die nordamerikanischen Vorwürfe, Delhi habe einen dissidenten Sikh in Kanada umbringen lassen. 

Pakistan hat Waffen an die Ukraine geliefert und im Gegenzug haben die USA einen Kredit des IWF an Islamabad veranlasst (MEMo). Kritisch berichtet haben Telepolis und naked capitalism.

Internationaler Währungsfonds und Weltbank: Das Ergebnis der diesjährigen Bretton-Woods-Herbsttagung scheint doch recht mager ausgefallen zu sein. "Unvollständiger Reformplan für die Weltbank, Patt beim IWF", konstatiert Global Policy. Einen Showdown um die Verteilung der Stimmrechte beim IWF macht Michael Hudson aus.
MediaWatch geht davon aus, dass der IWF diesbezüglich nicht reformierbar ist und der Globale Süden langfristig einen eigenen, gemeinsamen Kreditgeber letzter Instanz braucht, der den IWF in seiner jetzigen Form überflüssig machen sollte (außer vielleicht für die Ukraine). Dabei bleibt es allerdings - zumindest bisher - äußerst fraglich, ob der Globale Süden eine Reform des internationalen Finanzsystem stemmen kann oder mehrheitlich auch nur anstrebt. Dazu passt: 

Schulden: Erlassjahr meint, dass die aktuelle Schuldenkrise im Westen dramatisch unterschätzt werde.

SDGs: Wer wissen möchte, warum die Ziele für nachhaltige Entwicklung ein feuchter Traum von schuldbewussten Weißen bleiben wird, darf gerne einmal in die Rechnung gucken, die die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) aufmacht

Energie/Klimaüberhitzung: Vielleicht wird die Solarenergie ja wirklich so eindeutig und fast weltweit die günstigste Form der Energiegewinnung, dass sie nicht mehr aufzuhalten ist (Science Alert). Allerdings erstaunt der Kartensatz unten...

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Nachtrag Bauernproteste Indien

Einen wichtigen Erfolg haben die Bauern erzielt (MediaWatch berichtete, zwei Mal). Nach über einem Jahr Demonstrationen, bei denen 750(!) Menschen umgekommen sind (und viele weitere sitzen immer noch im Knast), konnten die neoliberalen Landwirtschaftsgesetze verhindert werden. Manova schreibt:

Die Landwirtschaftsgesetze werden zum ersten Mal Verkäufe an Unternehmen zulassen, die Begrenzung der Lagerkapazitäten für Verarbeiter beenden, die Vertragslandwirtschaft von Unternehmen rechtlich anerkennen und steuerfreie, private Mandis (Marktplätze von Unternehmen) für indische Bauern einführen.

Manova hat einen wichtigen Zweiteiler zu den Geschehnissen veröffentlicht (1, 2). Bei allen deutschen Nichtregierungsorganisationen herrschte (mit löblichen Ausnahmen) im Bezug auf diese wichtige Auseinandersetzung übrigens peinliches Schweigen vor - im Medienmainstream sowieso. 


 

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Zwischenruf Sicherheit

So wenig Israel/Palästina und Russland/Ukraine auch verbindet - fest steht:
Sicherheit geht nicht auf Kosten einer Seite. Sicher ist man nur gemeinsam.
Wer das als naiven Pazifismus wegwischt und lieber Wind sät, muss sich auf Sturm gefasst machen.
Das gilt im Zweifelsfall auch für die Bundesrepublik
(MediaWatch berichtete - teilweise).

Die Grafik unten zeigt die Bilanz des zweiten von - jetzt - fünf ausgewachsenen Kriegen gegen Gaza. Die "kleineren" Scharmützel der letzten Jahre sind in dieser Zahl nicht enthalten.