Immer wieder töten bewaffnete Viehhirten weit mehr Menschen Nigeria als etwa die gefürchtete Terrorgruppe Boko Haram. Allein in diesem Jahr sind mehr als 1.300 Menschen bei Auseinandersetzungen mit den Viehzüchtern zu Tode gekommen. Die Zahl der Vertriebenen wird auf etwa 300.000 veranschlagt.
Seit 30 Jahren brechen derartige Konflikte in dem westafrikanischen Land aus - mit zunehmender Tendenz. Dieses Jahr sind die Auseinandersetzungen eskaliert. Das Problem ist so gravierend, dass Literatur Nobelpreisträger Wole Soyinka sich darüber beklagt, dass „ganze Dorfgemeinschaften von der Landkarte verschwunden“ sind. „Tausende Familien trauern und die Überlebenden sind traumatisiert und für immer gezeichnet.“
Die Angriffe konzentrieren sich in Bundesstaaten, die in der östlichen Hälfte des sogenannten „Mittleren Gürtels“ (Middle Belt) von Nigeria liegen. Verantwortlich gemacht für die Gewalt werden vor allem Angehörige der heute noch oftmals halbnomadisch lebenden Fulbe. Diese auch Fulani oder Peul genannte Ethnie zählt 20 bis 30 Millionen Menschen, die über ganz Westafrika verstreut leben und traditionell Rinder züchten. Um ihre Tiere zu Orten zu bringen, wo sie genug Futter finden oder sich gewinnbringend verkaufen lassen, legen die Fulbe im Verlauf eines Jahres oft viele hunderte Kilometer zurück.
Diese Lebensweise ist in vergangenen Jahrzehnten immer schwieriger geworden, weil sich Rahmenbedingungen grundlegend ändern. Zum einen ist da der Klimawandel, der die Weidegründe im Norden Nigerias austrocknet und sowohl Menge wie Qualität des verfügbaren Futters mindert. Das drängt Mensch und Tier nach Süden – in die zentralen Regionen des Landes wo mehr Regen fällt.
Hier aber ist die Siedlungsdichte höher, und sie steigt weiter. Durchschnittlich hat die Bevölkerungsdichte in Nigeria den Wert von etwa 200 Einwohnern pro Quadratkilometer erreicht. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 237 Menschen. Damit aber ändert sich die Landnutzung: Das Abbrennen von Buschland aber auch die Drei- oder Vierfelderwirtschaft gehören der Vergangenheit an. Landwirtschaftliche Brachflächen sind in Nigeria praktisch verschwunden. Damit aber entfallen die Synergieeffekte einer kooperativen Landnutzung. Denn früher beseitigten die Tiere Erntereste auf den Brachen, düngten die Flächen und hielten Unkräuter im Zaum.
Konfliktverschärfend kommt hinzu, das die Politik plump agiert und politische, religiöse und wirtschaftliche Eliten je nach ethnischer und geographischer Herkunft parteilich reagieren: So haben die Bundesstaaten Benue und Taraba das offene Grasen rundweg verboten und viele Politiker im Süden drängen auf ein Verbot in ganz Nigeria. Dagegen sind die Fulbe im Norden hervorragend vernetzt. Die „Miyetti Allah Vereinigung der Viehzüchter Nigerias“ steht unter dem Schutz des Sultans von Sokoto und wird von den Emiren von Kano, Zazzau, und Katsina unterstützt. Muhammadu Buhari, der amtierende Präsident Nigerias, ist ebenfalls Fulbe und tut sich deshalb schwer, gegen die Gewalttäter einzuschreiten. Stattdessen hat Buhari versprochen, den Viehzüchtern Land zur Verfügung zu stellen und dafür umgerechnet etwa 430 Millionen Euro im Staatshaushalt bereitstellen lassen.
Allerdings werden auch immer wieder Viehdiebstähle von organisierten und ebenfalls mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Banden verübt. Dabei werden alljährlich vermutlich zehntausende Rinder erbeutet. Außerdem verfügen die in Zentralnigeria beheimateten ethnischen Gruppen - wie etwa die Bachama, Berom oder Tiv - selber über bewaffnete Milizen. Angesichts der Unterstützung, die solche Verbände von traditionellen, ethnischen, religiösen und politischen Führern genießen, ist das Argument der Selbstverteidigung von Seiten der Fulbe nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Solange sich beide Seiten aber vor Strafverfolgung sicher fühlen können, wird sich die Lage nicht durchgreifend bessern. Zudem ist Nigeria viel zu groß, als dass Militär und Polizei der Lage ohne weiteres Herr werden könnten. Wole Soyinka schließt seine Erklärung denn auch mit einem dringenden Apell: „Es wurden Verbrechen gegen unsere Menschlichkeit verübt, die entschädigt werden müssen. Das ist mindestens nötig, um das Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen.“
Dieser Text ist zuerst im Neuen Deutschland erschienen.
Seit 30 Jahren brechen derartige Konflikte in dem westafrikanischen Land aus - mit zunehmender Tendenz. Dieses Jahr sind die Auseinandersetzungen eskaliert. Das Problem ist so gravierend, dass Literatur Nobelpreisträger Wole Soyinka sich darüber beklagt, dass „ganze Dorfgemeinschaften von der Landkarte verschwunden“ sind. „Tausende Familien trauern und die Überlebenden sind traumatisiert und für immer gezeichnet.“
Die Angriffe konzentrieren sich in Bundesstaaten, die in der östlichen Hälfte des sogenannten „Mittleren Gürtels“ (Middle Belt) von Nigeria liegen. Verantwortlich gemacht für die Gewalt werden vor allem Angehörige der heute noch oftmals halbnomadisch lebenden Fulbe. Diese auch Fulani oder Peul genannte Ethnie zählt 20 bis 30 Millionen Menschen, die über ganz Westafrika verstreut leben und traditionell Rinder züchten. Um ihre Tiere zu Orten zu bringen, wo sie genug Futter finden oder sich gewinnbringend verkaufen lassen, legen die Fulbe im Verlauf eines Jahres oft viele hunderte Kilometer zurück.
Diese Lebensweise ist in vergangenen Jahrzehnten immer schwieriger geworden, weil sich Rahmenbedingungen grundlegend ändern. Zum einen ist da der Klimawandel, der die Weidegründe im Norden Nigerias austrocknet und sowohl Menge wie Qualität des verfügbaren Futters mindert. Das drängt Mensch und Tier nach Süden – in die zentralen Regionen des Landes wo mehr Regen fällt.
Hier aber ist die Siedlungsdichte höher, und sie steigt weiter. Durchschnittlich hat die Bevölkerungsdichte in Nigeria den Wert von etwa 200 Einwohnern pro Quadratkilometer erreicht. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 237 Menschen. Damit aber ändert sich die Landnutzung: Das Abbrennen von Buschland aber auch die Drei- oder Vierfelderwirtschaft gehören der Vergangenheit an. Landwirtschaftliche Brachflächen sind in Nigeria praktisch verschwunden. Damit aber entfallen die Synergieeffekte einer kooperativen Landnutzung. Denn früher beseitigten die Tiere Erntereste auf den Brachen, düngten die Flächen und hielten Unkräuter im Zaum.
Konfliktverschärfend kommt hinzu, das die Politik plump agiert und politische, religiöse und wirtschaftliche Eliten je nach ethnischer und geographischer Herkunft parteilich reagieren: So haben die Bundesstaaten Benue und Taraba das offene Grasen rundweg verboten und viele Politiker im Süden drängen auf ein Verbot in ganz Nigeria. Dagegen sind die Fulbe im Norden hervorragend vernetzt. Die „Miyetti Allah Vereinigung der Viehzüchter Nigerias“ steht unter dem Schutz des Sultans von Sokoto und wird von den Emiren von Kano, Zazzau, und Katsina unterstützt. Muhammadu Buhari, der amtierende Präsident Nigerias, ist ebenfalls Fulbe und tut sich deshalb schwer, gegen die Gewalttäter einzuschreiten. Stattdessen hat Buhari versprochen, den Viehzüchtern Land zur Verfügung zu stellen und dafür umgerechnet etwa 430 Millionen Euro im Staatshaushalt bereitstellen lassen.
Allerdings werden auch immer wieder Viehdiebstähle von organisierten und ebenfalls mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Banden verübt. Dabei werden alljährlich vermutlich zehntausende Rinder erbeutet. Außerdem verfügen die in Zentralnigeria beheimateten ethnischen Gruppen - wie etwa die Bachama, Berom oder Tiv - selber über bewaffnete Milizen. Angesichts der Unterstützung, die solche Verbände von traditionellen, ethnischen, religiösen und politischen Führern genießen, ist das Argument der Selbstverteidigung von Seiten der Fulbe nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Solange sich beide Seiten aber vor Strafverfolgung sicher fühlen können, wird sich die Lage nicht durchgreifend bessern. Zudem ist Nigeria viel zu groß, als dass Militär und Polizei der Lage ohne weiteres Herr werden könnten. Wole Soyinka schließt seine Erklärung denn auch mit einem dringenden Apell: „Es wurden Verbrechen gegen unsere Menschlichkeit verübt, die entschädigt werden müssen. Das ist mindestens nötig, um das Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen.“
Dieser Text ist zuerst im Neuen Deutschland erschienen.
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