Pressemitteilungen zum gewaltsamen Tod von JournalistInnen sind beim Auswärtigen Amt eigentlich durchaus üblich... Aber wahrscheinlich hat hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock so viel an der Ostfront zu tun, dass ihr Ministerium keinen Mucks zum Tod der Al Jazeera Kollegin Shirin Abu Akleh durch einen Schuss ins Gesicht abgeben konnte (Al Jazeera). Vielleicht lag es ja daran, dass Frau Akleh im Moment ihres Todes über einen israelischen Militäreinsatz im Flüchtlingslager Jenin im Norden der Westbank berichtete.
Aklehs gewaltsamer Tod hat einigen Staub aufgewirbelt, denn die Kollegin
verfügte über einen US-amerikanischen Pass. Deshalb wurde wohl auch
bei der taz entschieden, das Geschehen zu kommentieren. Und da zeigt sich, dass die taz es mindestens genauso gut wie das AA
versteht, wichtige Dinge unerwähnt zu lassen: So befürwortet die Zeitung eine
Untersuchung dieses Todesschusses, "vergisst" aber, zu fordern, dass eine
solche ganz zwingend unabhängig erfolgen muss und die israelische Seite - weil
Konfliktpartei - dazu nicht legitimiert ist; jedenfalls nicht im Alleingang.
Eine unabhängige Untersuchung fordert sogar die Europäische Union.
Erst denkt man beim Lesen noch 'Ach, taz...' und 'Ist ja nur ein Kommentar'.
Aber im Verlauf des Textes wird klar, dass dahinter eine Strategie
steht:
Denn anschließend greift Susanne Knaul den gewaltsamen Tod von
Muhammad al-Durrah
auf und verweist darauf, dass auch in dessen Fall Untersuchungen erwiesen
hätten, dass es nicht eine Kugel der israelischen Armee gewesen sein muss, die
das Kind getötet habe.
Und nun wird die gleiche Unterschlagung wiederholt: Die Tatsache, dass alle späteren offiziellen Untersuchungen (1), (2), (3), die die israelische Armee vom Tod des Muhammad al-Durrah freigesprochen haben, von Israel kamen, bleibt unerwähnt. Die letzte Untersuchung wurde sogar von Yossi Kuperwasser geleitet, dem damaligen Generaldirektor des israelischen Ministeriums für Strategische Angelegenheiten.
Natürlich gilt immer die Unschuldsvermutung. Aber mit ihrer verkürzten Darstellung schlägt Frau Knaul sich auf die Seite einer Konfliktpartei und lässt die für eine solide Konfliktberichterstattung unabdingbare Skepsis und Distanz trotz ihrer scheinbar neutralen Wortwahl schmerzlich vermissen. Und ganz nebenbei bestätigt sie der israelischen Seite die Deutungshoheit über gewaltsam verlaufende Vorgänge im Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Besetzung Palästinas und der Ausplünderung der PalästinenserInnen.
(Einen letzten - ziemlich offensichtlichen - Beweis für ihre Parteinahme liefert Frau Knaul übrigens mit der Vorwegnahme des Untersuchungsergebnisses, denn sie weiß bereits, "dass Abu Akleh nicht gezielt getötet wurde, sondern Opfer einer in die Irre geleiteten Gewehrkugel war".)
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Aber warum nun diese Mühe um einen taz-Kommentar, der doch sogar noch einiges kürzer ist, als diese
Einlassung?
Weil derlei "Begleit"-Umstände demnächst wieder ganz erhebliche Bedeutung erlangen werden, wenn Meldungen zu Untersuchungen angeblicher (oder vielleicht tatsächlicher) russischer Kriegsverbrechen in den Medien auftauchen werden, die aber von ukrainischer Seite durchgeführt und veröffentlicht wurden. Solches Material wird in diesem Blog als nicht zitierfähig erachtet und ignoriert werden, da es (genau wie vergleichbare russische Vorwürfe) von einer Kriegspartei kommt.
Postskriptum:
Dass
die Palästinenser die Kugel, die Shirin Abu Akleh getötet hat, nicht an israelische Behörden herausgeben wollen, ist verständlich.
Schließlich versuchen Teile des israelischen Establishments, wichtige
Abschnitte der jüngeren palästinensischen Geschichte schlichtweg auszuradieren.
Und als er hätte er diese Einlassung gelesen, tut Mahmud Abbas, der palästinesische Präsident, ausnahmsweise mal etwas Gutes, geht den richtigen Weg und wendet sich zwecks Untersuchung des Todesschusses an den Internationalen Strafgerichtshof (Al Manar; hat tip RT).
Eine unabhängige Untersuchung liegt noch nicht vor, aber
AntwortenLöschenCNN hat eine ziemlich überzeugende Beweiskette dafür vorgelegt, dass die
israelische Armee Shirin Abu Akleh ermordet hat. Unbedingt auch das Video ansehen!