Montag, 11. Dezember 2017

Prekärer Status Quo - bedrohte Zukunft

Anstatt großartige Überlegungen darüber zu anzustellen, welche Konsequenzen die Errichtung einer US-Botschaft in Westjerusalem tatsächlich haben könnte, begnügt sich MediaWatch lieber damit, noch einige Eindrücke aus der Praxis der Besatzung zu vermitteln.

Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch.

Eines der größten militärischen Sperrgebiete in den südlichen Hebronhügeln ist die sogenannte Firingzone 918. Sie umfasst 30 Quadratmeilen - das entspricht einer quadratischen Fläche von etwas über 8,5 Kilometer Seitenlänge -  in denen zwölf palästinensische Dörfer liegen und 1300 Einwohner leben. Die südlichen Hebronhügel in den C-Gebieten des besetzten Westjordanlandes sind durchsetzt von solchen Sperrgebieten, die Palästinenser dann zumindest zeitweise nicht betreten dürfen, obwohl sie größtenteils auf ihren Grundstücken eingerichtet werden. Oft werden solche Gebietssperrungen spontan und temporär verhängt, weil israelische Siedler sich durch vorbeiziehende Schafhirten bedroht fühlen. De facto führt es aber dazu, dass die Hirten an ihrer Arbeit gehindert und langfristig auch vertrieben werden.

Die Militärzone 918 dagegen besteht bereits seit den späten 70er Jahren, wo es die israelische Armee zum militärischen Übungsgebiet erklärte, um dort Soldaten zu trainieren. Nach internationalem Recht ist es einer Besatzungsmacht zwar erlaubt, solche Zonen einzurichten – aber nur um die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Nicht erlaubt ist jedoch, die dort lebende Bevölkerung zu vertreiben oder ihr Leben zu gefährden, z.B. sie an ihrem Lebenserwerb zu hindern oder ihre Gesundheit zu gefährden.


Ohne Rücksicht auf solche völkerrechtlichen Gegebenheiten fand die erste Vertreibung im Oktober 1999 statt, wobei etwa 700 Palästinenser heimatlos wurden, die teilweise temporär, teilweise permanent dort gelebt hatten. Die Begründung für die Vertreibung war, dass niemand in einer Militärzone wohnen dürfe. 82 Vertriebene wurden von der israelischen Zivilrechtsorganisation ACRI (Association for Civil Rights in Israel) juristisch vertreten, nach 2001 kamen weitere 112 hinzu. Das führte jedoch dazu, dass lediglich diesen juristisch repräsentierten Personen erlaubt wurde, zeitweilig zurückzukehren. Sie wurden jedoch nie für ihre Verluste entschädigt.

Auch wenn man nicht in der Firingzone 918 wohnt ist oder dort Land besitzt, kann man das Sperrgebiet prinzipiell betreten. Das ist nicht direkt untersagt, kann aber zu Komplikationen führen, wenn es den Soldaten an den weit verstreuten Militärposten einfällt, ein solches von außerhalb kommendes Fahrzeug palästinensischer Herkunft anzuhalten. Die Regelungen für die Sperrgebiete gelten nicht allgemein, sondern werden individuell und eben auch kurzfristig verhängt, was die Betroffenen natürlich als Willkür empfinden. Wir fahren mit Hamed Qawasmeh, einem Mitarbeiter des Büros der Vereinten Nationen für die Koordination von Humanitären Leistungen (UNOCHA) in die Firingzone 918, der uns freundlicherweise mitnimmt. Mit seinem offiziellen UN-Fahrzeug hat Qawasmeh wenig Schikanen zu befürchten.


"Einmal im Frühjahr zieht es mich nach Massafer Yatta", sagt Qawasmeh. Massafer Yatta - so der arabische Name für das Sperrgebiet - heißt einfach nur 'Hinterland von Yatta'. "Wenn diese einmalige Landschaft langsam zu grünen beginnt, finde ich immer einen Grund, offiziell hierhin zu fahren", erzählt er schmunzelnd. Diesmal geht es zur Schule in Khirbet al Majaz. Sie wurde mit EU-Geldern für inzwischen 35 Schüler erbaut und ermöglicht ihnen die ersten sechs Schuljahre. Qawasmeh hat einen Laptop für die Lehrer organisiert, den wir nun überbringen. Während wir die kurvigen, aber - für das israelische Militär - gut ausgebauten Straßen durch die idyllische Hügellandschaft fahren, sehen wir was er meint: Massafer Yatta zeigt seinen ganzen Charme in den ersten flaumigen Grüntönen der Weiden und Felder. Diese Pracht ist bereits in wenigen Wochen vorbei. Ab April klettern auch hier im kältesten Teil von Westjordanland die Temperaturen stetig an und dörren das Land aus.

"Dieses Land ist das fruchtbarste der ganzen Gegend", erläutert Qawasmeh. "Viele Bewohner aus Yatta besitzen hier ein Stück Land, weil der Boden hier besonders ertragreich ist. Die Menschen kommen saisonal hierher, um ihre Felder zu bewirtschaften. Weil einige von ihnen nicht ständig hier leben, wurde die Bevölkerung hier kurzerhand zu Nomaden erklärt. So begründet die israelische Militärführung hier die Vertreibung der Bewohner."

Dabei leben und arbeiten die Bewohner von Massafer Yatta hier ununterbrochen bereits seit Generationen - auch schon lange vor der israelischen Besetzung von 1967. Auch die Menschenrechtsorganisation Rabbis for Human Rights setzten sich für ihre Rechte in der Militärzone ein. Sie erwirkten in einer einstweiligen Verfügung die Rückkehr der Bewohner und ein vorläufiges Ende der Vertreibungen. 2002 und 2013 fanden Vermittlungsverfahren zwischen dem israelischen Staat und dem Rechtsbeistand der Palästinenser statt, beide blieben nach jahrelangen Anhörungen und Verhandlungen jedoch ohne Ergebnisse. Das Angebot, den Bewohnern Ersatz an anderen Orten anzubieten, lehnten die Palästinenser ab, weil das Land im Sperrgebiet zu wertvoll ist. Sie befürchteten, dass sie bei einem Tausch weit weniger fruchtbares Land bekommen würden.


Doch der Druck auf die Menschen in dem Sperrgebiet bleibt hoch: Kurz nach der ergebnislos verlaufenen Mediation wurden 20 Gebäude zerstört und weitere Hauszerstörungen angeordnet. Inzwischen haben sich acht Dörfer einer Sammelklage von ACRI angeschlossen. Das Verteidigungsministerium reduzierte das Sperrgebiet leicht, verhängte aber gleichzeitig die Order zur Zerstörung für vier Dörfer aus. Zudem wurde nach einem neu veröffentlichten Plan der Militärführung im Mai 2016 für alle acht palästinensischen Dörfer in der Firingzone 918 eine zeitweilige Evakuierung während militärischer Übungen angeordnet. Das letzte Manöver fand allerdings bereits vor zwölf Jahren - im Jahr 2005 - statt. Es enststeht der Eindruck, dass das Gebiet nur vordergründig für Manöver gesperrt wird. Es ist zu befürchten, dass es letztlich um die Konfiszierung von landwirtschaftlich bedeutsamen Flächen geht.

Seitens der israelischen Militärführung steht immer noch eine Begründung aus, warum gerade hier ein erhöhtes Sicherheitsrisiko vorliegen soll, das die Militärzone rechtfertigen würde. Für Manöver stehen weitaus dünner besiedelte Gebiete im Negev zur Verfügung. Und man kann es nicht oft genug betonen: Für rein militärische Zwecke dürfen nach internationalem Recht auf besetztem Land keine Sperrgebiete eingerichtet werden. Zu den drohenden Enteignungen, den bereits verhängten Anordnungen zum Abriss und zu den bereits erfolgten Vertreibungen kommt ein Baustopp hinzu. das scheint auf den ersten Blick eine unwesentliche Maßnahme der Besatzungsmacht zu sein. Aber während des jahrelangen Prozesses um ihr Bleiberecht sind die Familien gewachsen. Weitere Anbauten und Zisternen können aber nicht gebaut werden, weil sie als Übertretung des Gesetzes gedeutet werden, dass man in militärischen Sperrgebieten nicht siedeln darf.


Die letzte Anhörung zum Bleiberecht der palästinensischen Anwohner fand im Januar 2017 statt. Danach wurde die Armee – unbeschadet der internationalen Rechtslage - vom Obersten Gerichtshof aufgefordert, einen Vorschlag auszuarbeiten, mit dem ein Maß an militärischem Training gewährleistet wäre, das von der Bevölkerung akzeptiert werden könne. Die Palästinenser leben somit weiterhin in einer Situation, in der sie ständig von Evakuierung, Vertreibung und Zerstörung ihres Besitzes bedroht sind, ohne dass sich grundlegend etwas an ihrer rechtlichen Lage verbessert hätte. Es ist ein prekärer Status Quo, der ihre Zukunft bedroht. Auch für Khirbet al Majaz besteht ein Befehl zum Abriss, der auch die Schule betrifft, die jetzt einen neuen Laptop hat und die von EU-Geldern finanziert wurde.

Alle Fotos: Ina Zeuch

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