Im Zuge der Reisevorbereitungen für Java, Indonesien, gilt es auch, literarische Werke von indonesischen AutorInnen zu lesen. Dabei - und bei den unten folgenden Einlassungen - geht es nicht um Buchkritik und literarische Qualität sondern um den Versuch, etwas über Land und Leute zu erfahren. Deshalb kamen auch nur Romane auf den Nachttisch, deren UrheberInnen mindestens zum Enstehungszeitpunkt der jeweiligen Arbeit ständig im Land gelebt haben.
Denn die Kritik von ExilantInnen an den Zuständen in ihrer Heimat ist wohlfeil. Wer ein wenig über die jüngere Geschichte Indonesiens weiß, ahnt sicher, dass es nicht einfach ist, offen Stellung zu beziehen, wenn man vor Ort lebt und arbeitet. Bei Wikipedia heißt es dazu (Hervorhebung durch die Red.):
Im Bücherregal fand sich bereits "Straße ohne Ende" von Mochtar Lubis. Die Handlung setzt 1946 nach Abzug der Japaner ein und schildert den indonesischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Niederländer, die ihre Kolonie mittels sogenannter "Polizeiaktionen" einfach wiederzuerobern gedachten. Das Ringen um Freiheit ist Lubis offenbar so selbstverständlich, dass er kein Wort über die vorangegangenen 350 Jahre niederländischer Kolonialzeit verliert. Diese war von einem Zwangsabgaben- respektive Zwangsarbeitssystem (cultuurstelsel) geprägt, das wahrhaftig kein Zuckerschlecken gewesen sein dürfte. Kaum ein Wort auch über die japanische Besatzung, die zwar nur drei Jahre dauerte, in der aber dennoch schätzungsweise 2,5 von damals 50 Millionen Menschen auf Java (und Maduras) verhungerten oder sonstwie ums Leben gebracht wurden.
Lubis ist 1922 geboren und war seinem Helden in "Straße ohne Ende" vielleicht ähnlich. Die Schilderung ist lebendig und glaubwürdig. Zu Lubis' Ehre muss betont werden, dass er Übergriffe von indonesischer Seite im Unabhängigkeitskrieg recht deutlich werden lässt - auch in ihrer anti-chinesischen Ausrichtung. Solcherlei Aufrichtigkeit brachte den Autor in den 1970 Jahren übrigens in den Knast. Dass der (Anti)-Held der Erzählung im Freiheitskampf, trotz (oder gerade wegen) Verhaftung und Folter seine Männlichkeit zurückgewinnt, mag heute krude erscheinen. 1952 war es jedoch wahrscheinlich ein gut funktionierendes Gleichnis, das seine Landsleute sicher richtig interpretiert haben. Und auch der selbstbewusste Häftling unten im Bild scheint Lubis Recht zu geben.
Von "Pulang (Heimkehr nach Jakarta)" braucht man nur den dritten Teil zu lesen. Die ersten beiden Teile behandeln eine Exilsituation von Indonesiern in Paris, die ziemlich erzählt wirkt; um nicht zu sagen, dass sie voller Klischees steckt. Probleme mit den französischen Behörden oder die Bespitzelung durch die indonesische Regierung etwa kommen lediglich als Farbtupfer vor und werden kein Element der Handlung. Die Schilderung der Ehe (und der Gründe ihres Scheiterns) zwischen einer gebildeten Pariserin und einem Indonesier, der grad erst vom Boot kommt, bleibt ebenfalls ziemlich oberflächlich.
Der dritte Teil dagegen behandelt die Ereignisse 1998, die das Ende der Suharto-Diktatur markieren. Diese Tage hat die 1962 geborene Leila S. Chudori ganz offensichtlich persönlich durchlebt und durchlitten. Chudori bringt uns diese kurze aber recht gewalttätige Phase durch die Brille der in Paris aufgewachsenen Tochter eines der Exilanten aus den ersten beiden Teilen nahe, und das ist ganz frisch und gelungen.
Neu im Regal steht auch "Ein Hauch von Macht" von Umar Kayam. Das Buch ist 1992 entstanden - nach dem Ende der Orde Baru. Hier wird das sehr ausgeprägte Standesbewusstsein der Bevölkerung auf Java deutlich, wo schon ein Grundschullehrer ein "Priyayi" war und sich zum Amtsadel zählen durfte. Der 1932 geborene Kayam legt unter anderem eine Art Bekentnis für arrangierte Ehen ab und erzählt, wie Mesalliancen in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf Java bewältigt wurden. Er berichtet auch vom Gebrauch der verschiedenen Sprachebenen des javanischen Malaiisch, die bei wikipedia wie folgt definiert werden: "(...) die informelle Ebene ngoko, die unter anderem von Höherstehenden gegenüber Niedriggestellten verwendet wird, eine mittlere Ebene (madya) und die höfliche und formelle Ebene krama,, die unter anderem von Niedriggestellten gegenüber Höherstehenden verwendet wird (...)". In einem Nebensatz erwähnt er übrigens, dass die Japaner das moderne "Indonesisch" - eine andere Form des Malaiischen - auf Java durchgesetzt haben. Als Muttersprache wurde dieser Dialekt ursprünglich nur auf Sumatra und im Großraum Jakarta gesprochen.
In seinen gesellschaftlichen Schilderungen beschränkt sich Kayam auf Entwicklungen im Bildungswesen, was es ihm erspart, über die Auswirkungen der niederländischen Kolonialherrschaft und die Gräuel der japanischen Besatzungszeit Zeugnis ablegen zu müssen. Die Niederländer kommen im Gegenteil vergleichsweise gut weg - sie haben ja das moderne Schulwesen auf Java eingeführt, dem Kayams Personal den Aufstieg verdankt, weil das Familienoberhaupt Lehrer werden konnte. Ansonsten scheint es für den Autor ganz normal zu sein, wenn Kommunisten mit den gleichen Mitteln bekämpft werden, wie Besatzer und Kolonialisten. Die einzigen Gewalttaten, die in dem Buch näher beschrieben sind, werden von Kommunisten begangen. Ganz zum Schluss entwickelt ein Protagonist aus der Generation der Enkel linke Neigungen, die allerdings recht unschuldig daherkommen, weil sie sich auf kulturelle Fragen beschränken. Doch Mitte der 1960er Jahre geht man in Indonesien auch dafür selbstverständlich in den Knast, und die Familie muss ihre Verbindungen zum Militär spielen lassen, um den Betreffenden wieder frei zu bekommen.
Teil 2 folgt.
Denn die Kritik von ExilantInnen an den Zuständen in ihrer Heimat ist wohlfeil. Wer ein wenig über die jüngere Geschichte Indonesiens weiß, ahnt sicher, dass es nicht einfach ist, offen Stellung zu beziehen, wenn man vor Ort lebt und arbeitet. Bei Wikipedia heißt es dazu (Hervorhebung durch die Red.):
Die Massaker in Indonesien 1965–1966 waren ein Massenmord an Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) und chinesischstämmigen Bürgern (...)(Wer wirklich mehr darüber wissen will, sollte die Filme "The Act of Killing" und "The Look of Silence" gucken.)
Die Geschehnisse wurden in der Orde Baru [zu deutsch etwa 'Neue Ordnung'] systematisch verklärt und sind innerhalb der indonesischen Gesellschaft nahezu unaufgearbeitet. Die Diskriminierung der Opfer dauert bis heute an. Seit mehreren Jahren kämpfen Opferverbände um Aufklärung, Rehabilitierung und Entschädigung.
Im Bücherregal fand sich bereits "Straße ohne Ende" von Mochtar Lubis. Die Handlung setzt 1946 nach Abzug der Japaner ein und schildert den indonesischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Niederländer, die ihre Kolonie mittels sogenannter "Polizeiaktionen" einfach wiederzuerobern gedachten. Das Ringen um Freiheit ist Lubis offenbar so selbstverständlich, dass er kein Wort über die vorangegangenen 350 Jahre niederländischer Kolonialzeit verliert. Diese war von einem Zwangsabgaben- respektive Zwangsarbeitssystem (cultuurstelsel) geprägt, das wahrhaftig kein Zuckerschlecken gewesen sein dürfte. Kaum ein Wort auch über die japanische Besatzung, die zwar nur drei Jahre dauerte, in der aber dennoch schätzungsweise 2,5 von damals 50 Millionen Menschen auf Java (und Maduras) verhungerten oder sonstwie ums Leben gebracht wurden.
Lubis ist 1922 geboren und war seinem Helden in "Straße ohne Ende" vielleicht ähnlich. Die Schilderung ist lebendig und glaubwürdig. Zu Lubis' Ehre muss betont werden, dass er Übergriffe von indonesischer Seite im Unabhängigkeitskrieg recht deutlich werden lässt - auch in ihrer anti-chinesischen Ausrichtung. Solcherlei Aufrichtigkeit brachte den Autor in den 1970 Jahren übrigens in den Knast. Dass der (Anti)-Held der Erzählung im Freiheitskampf, trotz (oder gerade wegen) Verhaftung und Folter seine Männlichkeit zurückgewinnt, mag heute krude erscheinen. 1952 war es jedoch wahrscheinlich ein gut funktionierendes Gleichnis, das seine Landsleute sicher richtig interpretiert haben. Und auch der selbstbewusste Häftling unten im Bild scheint Lubis Recht zu geben.
Von "Pulang (Heimkehr nach Jakarta)" braucht man nur den dritten Teil zu lesen. Die ersten beiden Teile behandeln eine Exilsituation von Indonesiern in Paris, die ziemlich erzählt wirkt; um nicht zu sagen, dass sie voller Klischees steckt. Probleme mit den französischen Behörden oder die Bespitzelung durch die indonesische Regierung etwa kommen lediglich als Farbtupfer vor und werden kein Element der Handlung. Die Schilderung der Ehe (und der Gründe ihres Scheiterns) zwischen einer gebildeten Pariserin und einem Indonesier, der grad erst vom Boot kommt, bleibt ebenfalls ziemlich oberflächlich.
Der dritte Teil dagegen behandelt die Ereignisse 1998, die das Ende der Suharto-Diktatur markieren. Diese Tage hat die 1962 geborene Leila S. Chudori ganz offensichtlich persönlich durchlebt und durchlitten. Chudori bringt uns diese kurze aber recht gewalttätige Phase durch die Brille der in Paris aufgewachsenen Tochter eines der Exilanten aus den ersten beiden Teilen nahe, und das ist ganz frisch und gelungen.
Neu im Regal steht auch "Ein Hauch von Macht" von Umar Kayam. Das Buch ist 1992 entstanden - nach dem Ende der Orde Baru. Hier wird das sehr ausgeprägte Standesbewusstsein der Bevölkerung auf Java deutlich, wo schon ein Grundschullehrer ein "Priyayi" war und sich zum Amtsadel zählen durfte. Der 1932 geborene Kayam legt unter anderem eine Art Bekentnis für arrangierte Ehen ab und erzählt, wie Mesalliancen in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf Java bewältigt wurden. Er berichtet auch vom Gebrauch der verschiedenen Sprachebenen des javanischen Malaiisch, die bei wikipedia wie folgt definiert werden: "(...) die informelle Ebene ngoko, die unter anderem von Höherstehenden gegenüber Niedriggestellten verwendet wird, eine mittlere Ebene (madya) und die höfliche und formelle Ebene krama,, die unter anderem von Niedriggestellten gegenüber Höherstehenden verwendet wird (...)". In einem Nebensatz erwähnt er übrigens, dass die Japaner das moderne "Indonesisch" - eine andere Form des Malaiischen - auf Java durchgesetzt haben. Als Muttersprache wurde dieser Dialekt ursprünglich nur auf Sumatra und im Großraum Jakarta gesprochen.
In seinen gesellschaftlichen Schilderungen beschränkt sich Kayam auf Entwicklungen im Bildungswesen, was es ihm erspart, über die Auswirkungen der niederländischen Kolonialherrschaft und die Gräuel der japanischen Besatzungszeit Zeugnis ablegen zu müssen. Die Niederländer kommen im Gegenteil vergleichsweise gut weg - sie haben ja das moderne Schulwesen auf Java eingeführt, dem Kayams Personal den Aufstieg verdankt, weil das Familienoberhaupt Lehrer werden konnte. Ansonsten scheint es für den Autor ganz normal zu sein, wenn Kommunisten mit den gleichen Mitteln bekämpft werden, wie Besatzer und Kolonialisten. Die einzigen Gewalttaten, die in dem Buch näher beschrieben sind, werden von Kommunisten begangen. Ganz zum Schluss entwickelt ein Protagonist aus der Generation der Enkel linke Neigungen, die allerdings recht unschuldig daherkommen, weil sie sich auf kulturelle Fragen beschränken. Doch Mitte der 1960er Jahre geht man in Indonesien auch dafür selbstverständlich in den Knast, und die Familie muss ihre Verbindungen zum Militär spielen lassen, um den Betreffenden wieder frei zu bekommen.
Teil 2 folgt.
Reisevorbereitungen! Sehr schön. Gute Reise.
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