Mittwoch, 14. Januar 2015

Ghetto-Biennale Port-au-Prince

Foto: Image Gallery, 3rd.Ghetto Biennale
Biennalen sind üblicherweise große Kunstausstellungen mit internationalen Stars und vielen Sponsoren, die alle 2 Jahre stattfindet, bei denen die Kuratoren sich gerne selbst feiern und sich gegenseitig oft mit mehr oder weniger verständlichen Konzepten überbieten. Ihnen geht es meist darum, Thesen darüber abzulassen, wohin die zeitgenössische Kunst steuert und vor allem darüber (mit) zu bestimmen, welche Richtung sie dafür ausgemacht haben. Schicke Metropolen -   mit unbezahlbaren Mietpreisen in den Zentren wie Miami, São Paulo, Venedig, Sydney, Johannesburg -  die vor allem die Eliten ansprechen, protzen mit viel Metropolenhype oder pittoresken historischen locations. Aber wie geht Ghetto mit Biennale?  2013 gab es - mehr oder weniger unbemerkt - jedenfalls schon die dritte davon, in einem Land, das ein einziges Ghetto ist: in Haiti's Hautpstadt Port-au-Prince.
Port-au-Prince, 12. Januar 2010.
Foto: UN Photo/Logan Abassi, UNDP global. Wikimedia commons
Selbst noch nach fünf Jahren sichtlich gebeutelt vom Erdbeben - mit 89.000 Menschen, die immer noch in provisorischen Unterkünften leben und inzwischen von Vertreibung bedroht sind, gehört Haiti zu den ärmsten Ländern der Welt. Als erstes Land auf der Welt proklamierte es 1804 frech seine Unabhängigkeit, fünf Jahre nach der französischen Revolution auf Seiten der Besatzer. Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit: Das nahmen sie wörtlich, das wollten sie auch und sie unterstützten sogar Venezuela, Peru und Kolumbien bei ihrem Unabhängigkeitskampf. Aber da hatten sie wohl was falsch verstanden, denn dafür hatten sie ganz offensichtlich die falsche Hautfarbe. Für diese Dreistigkeit, die Ideale der Revolution in die Praxis umzusetzen, wurde Haiti denn auch ordentlich bestraft. Jahrzehntelang zahlte Haiti an Frankreich; insgesamt 90 Millionen Gold-Franc. Unter anderem deshalb ist es zum ärmsten Land der westlichen Hemisphäre geworden und gehört bis heute zum Hinterhof der USA. Das Land wird überschwemmt von Entwicklungshelfern, Journalisten und karitativ Gutmeinenden. Über allem wacht die Weltbank mit ihren neoliberalen Konzepten, wie Haiti aus der Misere kommen soll. In deren Infografik sieht das alles denn auch schön bunt aus. 
Cité Soleil. Foto: Agência Brasil, Wikimedia commons
Unter dem Titel DECENTERING THE MARKET AND OTHER TALES OF PROGRESS fand im Dezember 2013 die 3. Ghetto Biennale in Port-au-Prince statt. Auf ganze sieben Sponsoren kam die Ausstellung, darunter das Intitut Francais Haiti.

Andere Biennalen haben sich längst den öffentlichen Raum erobert: Fabrikhallen, Hafenanlagen, Industriebrachen. So gennannte Nicht-Kunstorte sind en vogue. Sowohl die Kuratoren als auch die Künstler zeigen gerne, wie unkonventionell und innovativ sie sind. Hat man erst einmal den Sprung in die hehren Hallen der Museen geschafft, kann man getrost davon lassen. Die Ghetto-Biennale von Port-au-Prince aber nutzt öffentlichen Raum aus Not: An Wellblechhütten hängen Bilder, in einem engen Hinterhof wehen weiße Gewänder als Installation, auf Straßen und noch vom Erbeben gezeichneten Plätzen sind Installationen aus sogenannten 'armen' Materialien wie Blechdosen, Schnüren, gestreuten Linien aus Zucker, Holz, Metallabfälle etc. zu sehen. Der Kultur des Voodoo ist das Einbinden von Alltagsmaterialien bis hin zu leeren Coladosen und anderen gebrauchten Konsumartikeln ohnehin eigen. Die auswärtigen Künstler nahmen dies größtenteils in ihren Werken auf und ließen sich von der rauen, gesättigten Atmosphäre der Straße inspirieren.

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Foto: Image Gallery 3rd.Ghetto Biennale  

Auf dem Blog mit dem spritzigen Titel "HYPERALLERGIC Sensitive to Arts and its discontents" schreibt Myriam Vanneschi, wie es zur Idee der Ghetto Biennale in Haiti kam:
The first edition opened in December 2009, shortly before the devastating earthquake of 2010, in a slum district of Grand Rue in Port-au-Prince, where a collective of Haitian sculptors, Atis Rezistans, work. The concept was born from a conversation between Haitian artist André Eugène and British artist Leah Gordon, who had been coming to Haiti since 1991; they discussed the extreme difficulty that Haitian artists face in obtaining travel visas to almost anywhere in the world, whether they’re invited or not. The pair came up with the idea of a biennale as a kind of Trojan Horse, the idea being that if the art and artists could not be taken out of the slums, then other art and artists would be taken into the slums, and networks established regardless of visa politics.
Foto: Image Gallery 3rd.Ghetto Biennale  
Dieses Jahr stünde die 4. Ghetto Biennale an. Aber ein Hinweis auf die Planung einer nächsten Biennale gibt es noch nicht. Oder hat sie ihre Ziele, die Aufmerksamkeit internationaler Kuratoren auf die haitianische Kunst bereits erreicht? 2011 gab es die erste Präsenz Haitis in einen Länderpavillion  auf der Biennale von Venedig. Ebenso wie die Ausstellung in Venedig war auch die erste Ghetto Biennale stark vom Voodookult geprägt, wie das hier eingestellte Video zeigt. Reichlich Tod, Sex, Machismo... Das scheint jedenfalls das, was entweder das Gros der Kunst Haitis ausmacht oder vom Westen gefragt ist. Jedenfalls fördert es die beliebten Etiketten von Outsider Art oder Primitive Kunst, gegen die die Kuratoren der Ghetto Biennale sich wehren. Ihre 3. Ausgabe ist deutlich offener, auch weil einige Künstler - überwiegend aus den USA - diesen Weg ins Ghetto von Port-au-Prince gewagt und ihre Inspirationen mit eingebracht haben. Welche Entwicklungen wird wohl die 4. Biennale offenbaren, wenn sie denn stattfindet?


 


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