Doch wenn man wissen will, was die Gründe für das einigermaßen überraschende Ausbleiben der 'Arabellion' in dem nordafrikanischen Nachbarland Tunesiens (und Marokkos) ist, wird man allein gelassen. Nur die FAZ bietet etwas an:
Bis heute stehen Wahlen in Algerien unter dem Eindruck jenes Urnengangs 1991, der vom Militär abgesagt worden war, weil die Islamisten den zweiten Wahlgang haushoch gewonnen hätten. Dieser Akt der Verweigerung gegenüber dem Volkswillen hätte fast den Zusammenbruch des gesamten Systems hervorgerufen, denn etwa 200.000 Menschen starben im Bürgerkrieg, der danach eskaliert war.Ein starkes Argument - aber Kriegsmüdigkeit allein kann der Grund des Sinneswandels nicht sein - vor allem dann nicht, wenn die Politik der Regierung wirklich so miserabel wäre wie von tagesschau.de dargestellt:
An den strukturellen Problemen Algeriens hat sich in den vergangenen 40 Jahren nicht viel geändert. Immer noch gibt es in Algerien kaum Privatwirtschaft, immer noch sind die Hürden für ausländische Unternehmer hoch. Der Schwarzmarkt floriert, die Korruption ist weitverbreitet.Aufhorchen aber lässt die folgende Passage:
Als im Herbst 1988 der Ölpreis auf einem Niedrigstand angekommen war, gingen junge Menschen auf die Straße, um lautstark Jobs und Arbeitsplätze zu fordern - und echte Demokratie. Sie griffen die Zentrale der Regierungspartei FLN an, zerstörten Fensterscheiben, warfen Autos um. (...) Die Armee griff durch, mindestens 160 Menschen wurden getötet.Der lesenswerte Middle East Report "Food and the Future" von 1990 schildert dieselbe Situation so:
Labor strikes created an initial nucleus of social protest. A sharp decline in hydrocarbon revenues injected greater austerity into the prevailing environment of high unemployment and inflation, lack of housing, and squalid urban conditions. Drought and a devastating locust invasion resulted in food shortages and higher food prices. Deeper structural causes include the political bankruptcy of the ruling FLN party.Seitdem hat die Führung in Algier immer darauf geachtet, dass zumindest die Grundnahrungsmittel in dem nordafrikanischen Land erschwinglich blieben. Und als der Arabische Frühling Anfang 2011 seinen Lauf nahm, beeilte sich die Führung, weitere Lebensmittelpreissenkungen in Kraft zu setzen (MediaWatch berichtete). Natürlich haben Ökonomen und Unternehmer an einer solchen Politik immer etwas zu mäkeln - selbst wenn sie zugeben (müssen), dass diese Politik den sozialen Frieden im Land maßgeblich gewährleistet hat. Und Subventions-Systeme sind immer durch kriminelle Energie und schlampige Umsetzung bedroht. Doch ob es uns passt oder nicht: Diese Politik wird von den algerischen WählerInnen honoriert - auch wenn immer noch viel zu viele von ihnen zu Hause geblieben sind.
Certainly one feature of the events in Algeria has been the failure of the country to feed itself through its own agricultural production and its increasing inability to cover the cost of food imports and food subsidies. (...) Now an increasing proportion of the population lives near the threshold of hunger, and this in turn engenders political and economic instability.
Foreign Policy in Focus bietet eine völlig andere Interpretation des letzten Urnengangs in Algerien, die die Redaktion den MediaWatch-LeserInnen - als eine Art Gegendarstellung - keineswegs vorenthalten möchte.
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