Sonntag, 7. November 2010

Guinea: Was bisher geschah

Diesen Sonntag (7. November 2010) findet in Guinea nach mehreren Verschiebungen endlich die Stichwahl um das Präsidentenamt statt. Im ersten Wahlgang im Juni 2010 hatte kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit erreicht. Das Wahlergebnis wird am 20. Juli 2010 bekannt gegeben. Danach erhielt Ex-Premierminister Cellou Dalein Diallo 43,69 und Alpha Conde 18,25 Prozent der 2.675.320 Mio. abgegebenen gültigen Stimmen. Mit dem Ergebnis aus der Stichwahl wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Wer Interesse an einigen wichtigen Wendepunkten der jüngeren guineischen Geschichte hat, sollte unbedingt
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Oktober 1958: Guinea beschließt per Volksabstimmung (!) seine vollständige Unabhängigkeit. Es kommt zum Bruch mit Frankreich, und das Land tritt nicht der westafrikanischen Währungsunion bei. Ahmed Sekou Toure wird der erste Präsident (1960). Hinwendung zur Sowjetunion.

April 1984: Nach Toures Tod übernehmen Lansana Conté und Diarra Traore in einem unblutigen Coup die Macht. Conté wird Präsident, Traore Premierminister.

1993: Die ersten Wahlen im Mehrparteiensystem; Conté wird im Amt bestätigt.

Während der Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone beherbergt Guinea zeitweise bis zu 700.000 Flüchtlinge.

September 2000: Rebellion in der Grenzregion zu Liberia und Sierra Leone; mehr als 1.000 Tote viele Flüchtlinge. Die guineische Regierung beschuldigt Liberia, die sierra leonische United Revolutionary Front (RUF), Burkina Faso sowie ehemalige guineische Armeeangehörige des Versuchs, das Land zu destabilisieren.

Dezember 2003: Conté wird zum dritten Mal „wiedergewählt“. Die Opposition hatte die Wahl boykottiert und auch das Referendum, dass Contés dritte Amtszeit erst möglich gemacht hatte.

Juli 2005: Alpha Conde, der Führer der wichtigsten Oppositionspartei, kehrt aus dem französischen Exil zurück. Er wird von Tausenden Anhängern begrüßt.

Juni 2006: Beginn einer Serie von Generalstreiks und erbitterten Protesten.
Exkurs: Der Kampf der GuineerInnen für ein menschenwürdiges Dasein und mehr Demokratie

Bereit der erste große - fünftägige - Streik zu Beginn des Jahres 2006 hatte bewirkt, dass die Regierung den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einen 30-prozentigen Inflationsausgleich gewährte. Vor allem aber wurde die Einführung eines generellen Mindestlohns erzwungen.

Preissteigerungen - insbesondere bei Energie - hatten jedoch dazu geführt, dass die beiden großen Gewerkschaften , die Conféderation Nationale des Travailleurs Guinéens (CNTG) und die Union Syndicale des Travailleurs Guinéens (USTG), im Juni 2006 erneut zum Generalstreik aufriefen. Diesmal lauteten die Forderungen, dass die Regierung die Preise für Grundnahrungsmittel (wie etwa Reis) kontrollieren bzw. für niedrigere Preise sorgen müsse.

Dem voll befolgten Generalstreik schlossen sich Schüler und Studenten an, die in Conakry den Autokonvoi des Diktators Lansana Conté (Präsident seit seinem Militärputsch von 1984) mit Steinen bewarfen. Daraufhin eröffneten Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung das Feuer - insgesamt wurden 12 Todesopfer publik.
Dennoch wird der Streik ein Erfolg: Er wird am 16. Juni beendet, nachdem breite Proteste der Gewaltanwendung ein Ende gesetzt hatten. Ergebnis: Eine Lohnerhöhung von 25 Prozent, Zuschüsse zu den Fahrtkosten und Übernahme von 12.000 LehrerInnen in ein festes Arbeitsverhältnis.

Mitte Januar 2007 sammeln sich die Guineer erneut um ihre Gewerkschaften, und diesmal sind auch die NRO (Conseil National des Organisations de la Societe Civile und Alliance Civile) dabei und organisieren Demonstrationen. Zudem sind die wichtigsten Oppositionsparteien jetzt mit von der Partie, namentlich die Rassemblement du Peuple Guinéen (RPG) und die liberale Union des Forces Républicaines (UFR).


Diesmal geht es auch nicht mehr um materielle Forderungen – diesmal wollen die Menschen, dass die Staatsführung politische Konsequenzen zieht. Nach zwei Wochen Ausstand ist bereits von 45 Todesopfern die Rede, die sämtlich bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften ums Leben gekommen sind vor allem in der Hauptstadt Conakry. Doch auch in der im Osten des Landes liegenden Stadt Kankan eröffnete die Armee das Feuer auf einen Demonstrationszug mit etwa 20.000 TeilnehmerInnen.

Ende Januar 2007 sieht es so aus, als sei Präsident Lansana Conté bereit, der zentralen Forderungen der Streikenden nachzugeben und die Macht abzugeben oder künftig zumindest zu teilen. Die Menschen bleiben jedoch misstrauisch und setzen den Streik vorerst nur aus. Man entscheidet sich, das – bisher nicht in der guineischen Verfassung vorgesehene – Amt eines Premierministers zu schaffen und dieses Amt konsensual zu besetzen. Conté muss also auf die Wünsche der Streikenden Rücksicht nehmen.

Doch der Präsident versucht genau das nicht zu tun und ernennt zwei Wochen später seinen engen Vertrauten und bisherigen Präsidialminister Eugene Camara zum Premier. Das löst allgemeine Empörung aus und die Streiks werden umgehend wieder aufgenommen. Zudem häufen sich militante Proteste: Die DemonstrantInnen greifen die Wohnsitze von – als bestechlich bekannten - Politkern an sowie öffentliche Gebäude und Behörden.

Nach drei Tagen teils gewaltförmig verlaufender Proteste ruft Conté den Belagerungszustand und den Notstand aus. Er weist die Armee an, durchzugreifen. Es wird eine Ausgangssperre verhängt, so dass die Menschen ihre Häuser nur noch zwischen 16 und 20 Uhr verlassen dürfen. Berichte über bewaffneten Terror uniformierter Banden häufen sich. Gewerkschaften und Bevölkerung indes bekunden ihre Entschlossenheit, den Generalstreik so lange fortzusetzen, bis Conté zurücktritt. Der Präsident gilt nicht nur als korrupt, sondern überdies auch als zu alt und zu krank, um das Land noch weiter regieren zu können.

Mittlerweile ist man aber auch international auf den Streik aufmerksam geworden, denn der Bauxitnachschub gerät ins Stocken. Die Compagnie des Bauxites de Guinée (CBG) macht täglich angeblich eine Million US-Dollar Verluste. Neben dem Staat Guinea sind Alcan und Alcoa die größten Aluminiumkonzerne der Welt Hauptaktionäre der CBG. Entsprechend steigt der Druck auf Conté, den Forderungen der Streikenden und der Demokratiebewegung nachzugeben. Unter den Aufständischen werden Forderungen laut, sämtliche Exporte einzufrieren, die der Bevölkerung keinen Nutzen bringen. Frankreich lässt ein Kriegsschiff auslaufen.


Während der nun folgenden vier Wochen bleibt der Ausnahmezustand bestehen und gleichzeitig wird weiter gestreikt. Die Repression nimmt zu. Nun aber gibt es erste Solidaritätsbekundungen französischer (CGT) und zahlreicher afrikanischer Gewerkschaften (darunter etwa die marokkanische OdT, die algerische “autonome Gewerkschaft" im öffentlichen Dienst SNAPAP, die CGTM in Mauretanien bis zum Gewerkschaftsbund Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) in der DR Kongo. In Paris findet eine Soli-Demo statt.

Nach sechs Wochen unausgesetzter Konfrontation und mindestens 113 Toten akzeptiert Präsident Lansana Conté Ende Februar 2007 die Forderungen der Demokratiebewegung. Er setzt Eugène Camara ab und sichert zu, einen neuen Regierungschef „im Konsens“ zu ernennen. Das Verfahren dafür sieht vor, dass Conté einen unter fünf „integren Persönlichkeiten“ auswählen muss, die ihm Gewerkschaften (3) und Demokratiebewegung (2) vorschlagen. Verhandelt wirt unter der Schirmherrschaft der ECOWAS / CEDEAO. Am 26. Februar 2007 ernennt Conté den gelernten Diplomaten Lansana Kouyate zum Premier und stattet ihn mit weit reichenden Vollmachten aus.

Die wichtigste Konsequenz der Machtverschiebung: Die guineeische Regierung, will alle bisherigen Rohstoffverträge überprüfen und neu aushandeln. Sie droht damit, ggf. auch den Rechtsweg zu beschreiten. Ob allerdings etwa die derzeitige Auseinandersetzung mit Rio Tinto um die Eisenerzvorkommen in Simandou aus diesem Beschluss resultiert, ist ungewiss.
Mai 2008 entlässt Conté Premier Kouyate wieder, um den Posten mit einem engen Vertrauten, dem ehemaligen Bergbauminister Ahmed Tidiane Souare zu besetzen.

Dezember 2008: Präsident Lansana Conté stirbt, und das Militär übernimmt innerhalb von Stunden die Macht. Weite Teile der Bevölkerung empfinden den Putsch als positives Signal. Hauptmann Moussa Dadis Camara wird neues Staatsoberhaupt und ernennt den Banker Kabine Komara zum Premierminister.

2009: Am 28. September eröffnen Soldaten das Feuer auf eine Oppositionsveranstaltung im Nationalstadium von Conakry, die abgehalten wird, um Camara zum Rücktritt aufzufordern. Die guineische Menschenrechtskommission meldet 157 Tote und über 1.200 Verletzte. Im Gegensatz dazu spricht die Junta von nur 57 Opfern und verhängt ein Versammlungsverbot.

Oktober 2009 - Die Europäische Union, die Afrikanische Union und die USA verhängen Sanktionen. Die UN setzten ein Tribunal ein, das das Stadium-Massaker untersucht.

Dezember 2009 - Camara wird in den Kopf geschossen, überlebt das Attentat aber. Guineische Regierungsstellen weisen Frankreich eine Mitschuld an der Palastrevolte zu.

Januar 2010 willigt (der jetzt im Exil lebende) Camara ein, die Macht General Sekouba Konate zu überlassen. Oppositionsführer Jean-Marie Dore wird zum Premierminister ernannt. Er soll die Rückkehr zu einer zivilen Regierung zu überwachen.

Exkurs: Woher nehmen die Gewerkschaften in Guinea ihre Schlagkraft?

Guineas Gewerkschaften dienen heute als Kristallisationspunkt zivilgesellschaftlicher Emanzipationsbemühungen.

Ihnen wird von der Bevölkerung eine Schlüsselrolle bei der Dekolonialisierung des Landes zugewiesen und auch bei der Amtsübernahme des ersten Präsidenten, (Sekou Toure in 1960), der selber Gewerkschaftsführer gewesen war. Toure hat die Gewerkschaften später allerdings verboten, weil sie seiner Einparteienregierung im Wege standen.

Die maßgeblichen Oppositionsparteien dagegen sind alle recht schwach, weil die meisten PolitikerInnen als korrupt gelten und nur wenig Ansehen genießen (politi-chien).

1 Kommentar:

  1. Nachtrag: Hat tip geht im Zusammenhang mit diesem Blogeintrag an die Friedrich-Ebert-Stiftung, für die ich die hier zusammengestellten Fakten (und einige mehr) im Rahmen eines Vortrags aufbereitet habe.

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