Der Finanzbericht für 2010 und 2011 der Organisation enthält alle wesentlichen Angaben. Die Overheadkosten von Invisible Children bewegen sich danach mit 16 Prozent (S.6) über dem international üblichen Rahmen von etwa 10 Prozent (auch 2010 waren sie höher gewesen, S.7). Und das Managment war offensichtlich vom eigenen Erfolg überrascht, denn im Verlauf von 2011 haben die Verantwortlichen fast fünf Millionen US-Dollar auf den Konten auflaufen lassen (S.13). Man verspricht das Geld zweckgerichtet zu verwenden (S.13). Kritik am Finanzgebaren der NGO findet sich u.a. beim Guardian.
Ein wichtiger Werbeträger ist ein Video, das die Geschichte des Engagements gegen Kony - unterbrochen von autobiographischen Einschüben - ziemlich enthusiatisch, etwas rührselig und recht optimistisch erzählt. Darin wird auch berichtet, dass der Internationale Strafgerichtshof (seit 2004) ermittelt und einen Haftbefehl ausgestellt hat.
In der Zwischenzeit ist Invisible Children nicht untätig geblieben und hat klassische Projektarbeit in der Region geleistet - etwa Schulen gebaut und Einkommensmöglichkeiten geschaffen. Interessant: Es wurde auch ein Radionnetzwerk aufgebaut, um frühzeitig vor Angriffen der LRA warnen zu können. Dieses Projekt wäre sicherlich einer wissenschaftlichen Überprüfung wert und könnte (vielleicht) innerhalb ziviler Konfliktbearbeitungsstrategien Schule machen. Allerdings schafft man mit den Sendern auch neue Angriffsziele.
Bleibt die Frage, wer denn nun den Busch durchkämmt und Kony verhaftet. Und das ist leichter gesagt als getan. Uganda ist immerhin so groß wie die Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung. Und das Operationsgebiet der LRA könnte etwa so groß sein wie Bayern.
Im Video wird ein Brief verlesen, in dem Barack Obama 100 Militärberater zusichert, die die ugandische Armee dabei anleiten sollen, Kony zu verhaften. Das ist auch passiert, war bisher allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Doch der Gegner oder "bad guy" wie Kony im Video auch heißt, ist zu schlagen. Wie ganz zutreffend erklärt wird, hat der Westen kein materielles oder strategisches Interesse an der Existenz der LRA. Deshalb wird bei seiner Festnahme auch kein außenpolitisches Porzellan zu Bruch gehen. Das Ziel der TRI-Kampagne ist es nun, vor allem der US-Regierung die Dringlichkeit der Mission der Militärberater vor Augen zu rufen. Dazu ist das Wahljahr 2012 sicher gut geeignet.
Letztlich wird es wohl vor allem vom politischen Willen der PolitikerInnen und Militärs in Uganda abhängen, ob wirklich eine Verhaftung erfolgt. Aber in Afrika haben nur wenig WählerInnen Zugang zum Netz. Versuche, die LRA militärisch zu schlagen, hat es bereits 1991 ("Operation North"), 1996 ("protected villages"), 2002 ("Operation Iron Fist"), und 2008 (Garamba Offensive") gegeben. Sie sind verlustreich gewesen und/oder waren politisch ungeschickt gemacht. Friedensverhandlungen zwischen 2006 und 2008 verliefen ergebnislos.
Den Hinweis auf 'Kony 2012' verdanke ich Lasse aus Oldenburg und Moritz aus Bretten, die das Video beide am gleichen Tag bei Facebook gepostet haben. Und hier nun endlich der 30-minütige Film, der auch ein wichtiges Beispiel für den Umgang mit und den derzeitigen Erzählstil in den neuen Medien ist:
Das Video wurde bisher über sieben Mio. Mal gesehen. Derzeit (8. März 2012) hat die Kampagnenwebsite bei Facebook hat rund zwei Mio. 'likes'. Im Moment steigt die Zahl rasant. MediaWatch ist gespannt, ob wir (in Deutschland) noch etwas davon hören. Am 20. April wird ein Aktionstag sein. Eine ganze Reihe von KollegInnen haben das Thema schon aufgegriffen.
P.S. Das Video enthält einen kleinen Fehler, der der Vollständigkeit halber hier erwähnt werden soll: Bei Min. 12:00 heißt es, niemand unterstütze Kony. Das ist falsch. Der Sudan hat der LRA immer wieder unter die Arme gegriffen und auch der (neu entstandene) Südsudan scheint diese unselige Tradition fortzusetzen. Es bestehen allerdings gute Chancen, dies künftig zu unterbinden, denn der Südsudan ist vom Wohlwollen des Westens abhängig.
Kenntnisreicher Bericht! Ich finde hier mehr Hintergrundwissen als in den kompletten „kritischen“ Berichten von Spiegel Online und Guardian und DIE ZEIT dieser Tage. Und alle haben irgendwie ein Problem damit. In dem Maße wie die Kony 2012 Kampagne die modernen Instrumente des Marketings nutzt und eine neue Generation von Youtube- und Facebook-Aktivisten mobilisiert, im selben Maße aktiviert sie wohl auch den typischen Youtube-Diskussionsstil („Voll behindert!“) gegen sich selbst.
AntwortenLöschenNein nicht ganz. Die Statements von liberalen bis konservativen Medien gleichen sich auf erstaunliche Weise. Die Kampagne kostet Geld! Da engagieren sich weiße Amerikaner für schwarze Afrikaner! Man arbeit mit den vorhandenen politischen Kräften zusammen, um ein Ziel zu erreichen! Ach echt? Alles ganz schlimm?
Das alles verpasst völlig den entscheidenden Punkt, dass Leute sich uneigennützig für andere Leute engagieren, dass Leute sich zutrauen etwas zu verändern, dass Leute ihre besten Fähigkeiten und alles was sie gelernt haben dafür einsetzen, dieses Ziel zu erreichen. Ja, auch mit gut produzierten, sentimental berührenden Videos. Wahrscheinlich ist es viel besser zu nörgeln, auf das System zu schimpfen und nicht zu tun?
Ich glaube diese 30.000 entführten Kinder in Norduganda, auch wenn 20.000 schon wieder zurück sind, müssen erfahren, dass das nicht egal ist, was ihnen geschehen ist. Dafür mache ich doch glatt bei Facebook I LIKE. Irgendjemand wird es ihnen schon sagen, falls sie keinen eigenen Computer haben.
Danke für die Blumen! Als ich den Bericht geschrieben hab, war mir nicht klar, dass Kony nicht mehr in Uganda weilt. Auch wusste ich (noch nicht), dass die Offensive 2008/2009 eine konzertierte Militäraktion (Uganda, Sudan und DR Kongo) gewesen ist. Die Situation in der Region ist recht verfahren: Wenn die LRA nicht mehr in der Gegend aktiv ist, lässt man besser auch das ugandische Militär (und die amerikanischen Berater) wieder nach Hause gehen. Denn sonst machen sie bei einem Großeinsatz sehr leicht mehr kaputt als sie an Positivem leisten (können). Die ugandischen Sicherheitskräfte sind für Menschenrechtsverletzungen (nicht nur aber vor allem in Norduganda) verantwortlich. Und sie werden von vielen BürgerInen als Feinde und nicht als 'Freunde und Helfer' wahrgenommen.
LöschenWenn man dieses neue und - wie ich hoffe - wirkungsvolle Instrument zivilgesellschaftlichen Engagements über das Internet nicht diskreditieren und stumpf machen will, muss man mit äußerster Akribie recherchieren und sich vor allem seiner politischen Stoßrichtung sehr sicher sein. Und da könnte es sein, dass die Forderung nach ein paar Militärberatern aus den USA einfach zu kurz greift. Das ändert nichts daran, dass ich mich von ganzem Herzen freuen würde, wenn sie Kony nach 25 Jahren endlich kriegten und die Kampagne etwas dazu beitragen könnte.
Das ist tatsächlich ein Aspekt, der im Video als Fokus der Narration erscheint, und tatsächlich irritiert, in der Gesamtkampagne aber nur ein Teil ist: Die Militärberater für das ugandische Militär als einzige Lösung. In der Gesamtkampagne scheint man durchaus auch andere Ansätze zu verfolgen: Schulen aufbauen etc. An Minute 15:00 sagt der Film übrigens selbst mit Landkarte, dass die LRA sich jetzt durch mehrere Länder bewegt.
AntwortenLöschenUnd noch ein Radio-Beitrag zum Thema Wie funktioniert diese Kampagne. Ich glaube übrigens, dass wir mehr Kampagnen dieser Art in den nächsten Jahren sehen werden. Gut produzierte Cross-Channel-Kampagnen, die sämtliche Instrumente der Kommunikationsarbeit beherrschen und einsetzen und sich erreichbare Kurzzeit-Ziele setzen. Eine der deutschen Anti-Papst-Kampagnen letztes Jahr war auch schon so, auch ein paar von den LGBT Kampagnen, die ich sehe. Vielleicht auch der kollektive Guttenberg-Zitate-Blog. Der hat persönlich den Ausschlag für das Umschwenken der öffentlichen Meinung gegeben. Ich persönlich finde das super. Es ist schade, wenn gute soziale Anliegen durch Ineffizienz und mangelnde Ausrichtung an erreichbaren Zielen sich darauf reduzieren, dass ein paar Leute mit guten Auffassungen sich gegenseitig bestätigen, dass sie gute Auffassungen haben. Das geht auch besser.
AntwortenLöschenhttp://news.bbc.co.uk/today/hi/today/newsid_9704000/9704264.stm
Der Film wurde jetzt über 16 Mio. Mal gesehen davon über 13 Mio. Mal zwischen dem 6. und dem 8. März 2012. Mittlerweile hat das Video zudem über 20.000 'likes'.
AntwortenLöschenKorrektur: Die Gegend ist wirtschaftlich doch recht interessant, denn es gibt dort Öl - keine riesigen Felder aber immerhin. Das erklärt vielleicht die Bereitschaft der US-Regierung ein paar Militärberater in der Gegend zu belassen.
AntwortenLöschenMittlerweile gibt es eine offizielle ungandische Videoanwort von Premierminister Amama Mbabazi auf Kony2012.
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