Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch.
Das Schweigen brechen wollen ehemalige israelische Soldaten und
Soldatinnen, die bei ihren Einsätzen in den von Israel besetzten Gebieten
Menschenrechtsverletzungen an Palästinenser:innen verübt haben und - anonym - darüber
Zeugnis ablegen wollen. Dazu liefert die 2004 gegründete NGO
Breaking the Silence
(Das Schweigen Brechen, BTS) eine Plattform, auf der diese Berichte veröffentlicht werden. Sie liegen
als Audios, Videos und in schriftlicher Form vor und geben einen tiefen
Einblick in die Abläufe der jetzt schon 55-jährigen militärischen Besatzung, für die israelische Soldat:innen täglich im Einsatz sind.
Snapshot vor der BTS-Internetseite |
Einer der Hotspots dieser Touren ist die Stadt Hebron oder al-Chalīl, wie die
Stadt auf arabisch heißt, 30 Kilometer südlich von Jerusalem gelegen.
Hebron
ist seit 1997 eine geteilte Stadt, kurz in
H1
und
H2
aufgeteilt. 30.000 Palästineser:innen leben in H2 mit 800 israelischen
Siedler:innen, die den Schutz der IDF genießen. Die militärische
Präsenz und die Checkpoints dienen der Kontrolle der palästinensischen
Bevölkerung. 202.000 Palästinenser:innen leben in H1. Häufige Ausgangssperren machen ihnen das Leben schwer und Siedlergewalt - auch an Schulkindern - wird fast
ausnahmslos von der IDF geduldet oder mitgetragen.
Bei den Touren von BTS kontrollieren Soldat:innen die Genehmigungen der Gruppe, verzögern oder behindern oft aber auch den Zugang zur Stadt. Diese Prozedur nutzen regelmäßig Siedler:innen, die die Ankömmlinge beschimpfen - bis hin zu Bodychecks. Oder sie veranstalten Hupkonzerte und fahren dabei im Schritttempo neben den Besucher:innen her. So versuchen sie die Ausführungen der Tourführer von BTS zu behindern oder zu stören. Das sprachliche Repertoire reicht von "Lügner", "Verräter" über "Terroristen" bis hin zu "Schw***lutscher" für palästinensische Männer. Erst wenn Siedler:innen drohen, gewalttätig zu werden, schreiten die Soldat:innen ein.
Palästinenser werden am Zutritt in ihre Häuser gehindert, während die israelische Armee einen Marsch von Israelis durch Hebron eskortiert. Foto: Ina Zeuch |
Neben solchen Straßenszenen hat die Regisseurin viele Diskussionen in den Büroräumen
von BTS, festgehalten, die zeigen, wie kontrovers die Auseinandersetzungen zwischen den Aktivist:innen ist. Sie
ringen mit der Diskrepanz zwischen ihrem Selbstverständnis, einerseits gute Soldat:innen sein zu wollen und ihr Land zu
verteidigen und andererseits der Wirklichkeit,
die sie zu Menschenrechtsverletzungen bei der Ausführung ihrer Befehle zwingen. Immer wieder
betont Jehudin Shaul, Begründer von BTS, dass in einem unmoralischem
System kein moralisches Handeln möglich ist.
Kritiker:innen von Breaking the Silence sind genervt, dass wieder die Israelis die Opfer sind -
Soldat:innen, die unter den Menschenrechtsverletzungen leiden, die sie den
Palästinenser:innen antun (müssen) und die dann ihr Gewissen durch ein Geständnis bei BTS erleichtern. Aber
die NGO verurteilt inzwischen zunehmend auch die Besatzung wie der Aufmacher
auf ihrer Internetseite deutlich macht. Der Film endet mit dem Gerichtsurteil,
dass zu Gunsten von Breaking the Silence ausgefallen ist: Sie wurden nicht als Verräter:innen von
militärischem Geheimwissen verurteilt und müssen deshalb die Namen ihrer
Zeug:innen nicht preisgeben.
Militäreinsatz in Hebron. Foto: Ina Zeuch |
Erhellende Einblicke zur Geschichte von BTS und zur momentanen Stimmung in
Israel gab Dr. Shir Hever, der sich zur Zeit in Jerusalem aufhält und nach dem Film per Zoom zu einer Diskussion zugeschaltet wurde. Hever ist
Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der
Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.
und Geschäftsführer von
Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern.
Er beschreibt die Entwicklung von BTS, die zunächst vom Wunsch geleitet war,
Teil der
'moralischsten Armee der Welt' zu sein und das Existenzrecht Israels zu verteidigen hin zur Erkenntnis, dass die Besatzung beendet werden muss. Der Film "Silent Breakers" heißt auf Hebräisch "Guter Soldat"; wird aber in Israel nicht gezeigt. Soweit er
überhaupt bekannt ist, gilt er als Werbefilm für BTS.
In der Diskussion beschrieb Shir Hever die Stimmung in Israel als von allumfassender Angst geprägt. Symptom dessen sei unter anderem die massive Beflaggung der Jerusalemer Altstadt und der Angriff der Soldat:innen bei der Beerdigung der Journalistin Shireen Abu Akleh. Die hätten den Sarg gestürmt, um die palästinensische Flagge davon zu entfernen. Jeglicher Hinweis auf die palästinensische Bevölkerung - und dazu gehört natürlich die Flagge Palästinas - wird mittlerweile als Bedrohung für den jüdischen Staat Israel empfunden und entschieden und mittels militärischer Präsenz bekämpft wie die Szenen auf der Beerdigung von Shireen Abu Akleh zeigen.
Absperrrungen und Symbole der Israelflagge in H2, Foto: Ina Zeuch |
Eine fünfjährige Recherche hat zuletzt auch Amnesty International davon überzeugt, dass dem Staat Israel Apartheid vorgeworfen werden muss (MediaWatch berichtete). B'tselem und Human Rights Watch waren schon früher zu diesem niederschmetternden Ergebnis gekommen. Auch solche Einschätzungen tragen natürlich zum Unmut in Israel bei. Trotz massiver Vertreibungen, massenhaften Inhaftierungen - auch von Kindern und Jugendlichen - ohne Gerichtsprozesse und außergerichtlichen Tötungen wie sie die Vereinten Nationen in den besetzten Gebieten alle zwei Wochen in ihren Berichten auflistet: Die Palästinenser:innen sind immer noch da.
In Israel wird nach wie vor das Narrativ von der IDF als der 'moralischsten Armee der Welt' und Israel als der 'einzigen Demokratie in Nahost' gepflegt. Die jüdische Bevölkerung ist das Opfer und die Palästinenser:innen - in Israel nur Araber genannt - sind Täter:innen. Der gemeinsame Nenner in der israelischen Diskussion um die Besatzung, den Shir Hever ausmachen kann, ist die Angst vor der nicht schwindenden palästinensischen Präsenz. Gleichzeitig brechen die israelischen Regierungen in immer rascherer Folge zusammen. Im Oktober wird es wieder Neuwahlen geben. Hever hält Benjamin Netanjahu für einen der großen Profiteure der Angst in Israel.
"Fusion Flags", Bilder und Fotos von Ina Zeuch |
Organisiert wurden Filmvorführung und Diskussion, die am 20. Juni stattfanden, von der palästinensischen Gemeinde in Bonn zusammen mit der Kinemathek der Brotfabrik Bonn.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen