Donnerstag, 14. Juli 2011

Britisch bis zum Erbrechen oder vom
"Leben für den industriellen Gebrauch"


Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch

"Die Wandlungen des Pran Nath" dekliniert brilliant alle Spielarten des Rassismus anhand des Helden in Hari Kunzru's gleichnamigen Roman. Pran Nath wächst als Anglo-Inder im einem reichen vermutlich brahmanischen Haushalt in Agra auf - ein verwöhntes Söhnchen, dessen ungeklärte Vaterschaft nur seiner Mutter und der Dienerschaft bekannt ist. Sein Vater Pandit Razdan ist ein berühmter Strafverteidiger, pedantisch und reaktionär, mit einem Hang zum Rassismus - nur dass dieser sich diffus gegen die eigenen Leute wendet, gekleidet in eine allgemeine Weltverachtung, die oft in asketischen Ekel umschlägt. Trotz aller Reinlichkeitsrituale und Kontaktverweigerung wird er von der Spanischen Grippe dahingerafft. Noch in derselben Nacht wird Pran Nath - das schikanierte, verhasste Bastardgezücht - an die Luft gesetzt.

Ein tiefer Sturz, der tiefste in seiner Laufbahn, aber nicht der letzte. Von da an nimmt die Handlung rasant an Fahrt auf. Zunächst wird Pran Nath zu Rukshana, einer Hijra für einen britischen Major - knabenhaft hübsch und begehrt hellhäutig, eine Goldgrube. Hari Kunzru hängt daran die ganze übelriechende Dekadenz des British Empire auf, die symbiotisch mit dem indischen Maharadscha in Agra verbandelt ist. Während sich Moslems und Hindus zum ersten Mal im Punjab erheben und das Militär seinen blutigen Job erledigt, verlieren sich indische und britische Machtkreise in Intrigen, Drogen und Langeweile. Pran Nath alias Rukhsana kann während einer unsäglich verworrenen Tigerjagd fliehen, in der halbbetäubte Großkatzen vor die britischen Flinten gezerrt werden.

Er wird von einem irischen Missionarsehepaar aufgenommen, das sich immer tiefer entfremdet. Reverend Mcfarlane wird sein Lehrer und von ihm saugt Pran Nath in seiner Wißbegier auch die rassistischen Inhalte auf: die kraniologische Rassentheorie und den Abscheu gegenüber dem Hinduismus. Seine Frau dagegen driftet in die Theosophie ab und sympathisiert mit ersten Ansätzen der poltischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich gerade herauszukristallisieren beginnt. Aber das ist kein echtes Identifikationsangebot für 'Pretty Bobby', wie er von dem irischen Ehepaar genannt wird.
Man kann sich entschließen, die Selbstbeobachtung zu meiden. Wenn Bobby sich für andere unsichtbar macht, indem er die Erscheinung wechselt, den Namen ändert und seine Motive verborgen hält, so tut er es sich gegenüber nicht weniger. (...) Bobby ist also ein Geschöpf der Außenfläche. (...)

Vielleicht sollten alle Leute, die ihn nicht richtig kennen (...) akzeptieren, dass Bobbys Haut keine Grenze zwischen etwas ist, sondern die Sache selbst, eine Projektionsfläche (...)

Dennoch, während sich Bobby eine Marionette baut und bewohnt, begreift er, dass an englischen Menschen etwas Wunderbares ist. Ihr Leben ist fest und sicher, nach Entwürfen der Klasse und Mitgliedschaft erbaut, die in ihrer Unveränderlichkeit, ihrer eisernen Unbeweglichkeit geradezu edel sind. (...) Englische Leben, siegreich und funktionell. Leben für den industriellen Gebrauch.

Und Bobby simuliert gerne und radebrechend den Engländer, stümpert zunächst, wird immer besser, ein unsystematisches Lernen, denn eine Wissenschaft in verleugnender Anpassung gibt es noch nicht. Ein Zufall führt ihn mit femden Pass nach England, er schlüpft wieder in eine andere Identität und nimmt deren Leben auf. Jetzt darf das Improvisieren nicht mehr auffallen. Bobby wird Johnny und britisch bis zum Erbrechen. Öde Highschoolrituale, Intiationen der Anpassung machen ihn zu dem was er anstrebt: Er wird nicht nur very british sondern auch ein Langweiler, ein Feigling, ein Streber. Nicht umsonst scheint die Geschichte trotz einer unglücklichen Liebe zähflüssig zu werden, ja fast zu stagnieren.

Denn ist Anpassung selbst nicht auch langatmig und mühselig? Zwingt sie einem nicht die langweiligen Spiele der Erwachsenen auf, von denen man nicht weiß, ob man, wenn man sie denn alle brav bis zu Ende gespielt hat, auch das bekommt, was man haben will? Zum Beispiel die englischste Frau der Welt? Den Eintritt in die Kreise, die nach Zukunft riechen, dort wo man sich in Privilegien einrichten und das begehrte westliche Leben führen kann? Pran-Rukhsana-Bobby-Johnny verliert nur selten seine innere Anspannung, er fährt auf einem fremden Ticket in einem Land, von dem er vorher nur die Kopie kannte. Und immer ist noch ein anderer da, dessen Leben er lebt und die verwischte Existenz, die er selbst einmal war.
Symbolträchtig führt ihn seine letzte Etappe nach Afrika, als Assistent eines Ethnologen, um die Ethnie eines von Kunzru fiktiv entworfenen Stammes zu erforschen, der sich jedoch den kolonialen Sehnsüchten von Primitivität und Gutmenschentum entzieht. Hier schließt sich der Kreis: Der kühne Aufbruch des Pran Nath wird zu einer Rückkehr in seine unsichtbar gewordene, verleugnete, farbige Haut. "Die Wandlungen des Pran Nath" ist ein großartiges böses Märchen zum Thema Identität, Selbstbestimmung und Rassismus.

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