Freitag, 10. Dezember 2010

Schlecht zu parieren

"Do no harm" - keinen Schaden anrichten, bleibt weiterhin oberstes Ziel jedweder Hilfeleistungen, ob humanitärer oder entwicklungspolitischer Natur. Dass es da noch einiges nachzuarbeiten gibt, will Linda Polmann mit ihrem Buch "Die Mitleidsindustrie" (Amazon; mit  Kundenrezensionen) belegen. Interview in Spiegel Online.

In diesem Interview macht sie allerdings den Organisationen der humanitären Hilfe Vorwürfe, die diese schlecht parieren können. Was etwa sollen sie tun, um Material nicht bei der "Business-Elite" zu bestellen? Wer soll - und vor allem wer kann - sonst überhaupt liefern? Wo ist das Problem wenn MitarbeiterInnen von Entwicklungsorganisationen Abends ein Bier trinken gehen wollen? Dass das den Menschen vor Ort nicht weiter hilft, wissen auch die, die dort ein wenig Ablenkung suchen. (Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, dass so ekelerregende wie illegale Erscheinungen wie "große, fette Weiße besuchen minderjährige Prostituierte" zu entschuldigen, oder gar zu dulden sind.)


Dass Milizen die Hilfsorganisationen besteuern und oft das Kommando in den Flüchtlingslagern haben, ist aber ein alter Hut: Schon in den Gefangenenlagern der US-Amerikaner im Zweiten Weltkrieg führten die Nazis Regie. Doch hat Polmann in den allermeisten Fällen sicher Unrecht mit ihrer Behauptung, dass die Täter stärker von Hilfsleistungen profitierten als die Opfer. Zudem sind ja viele Menschen in einer Konfliktsituation auch beides: Täter und Opfer. Eine bessere und vor allem verbindlichere Koordination zwischen einzelnen Hilfsorganisationen im Feld wäre wirklich zu wünschen - das würde ihre Verhandlungsmacht vor Ort tatächlich stärken. Ob allerdings die erpresserische Drohung, einen Ort aufzugeben, die jeweiligen Verhandlungen mit örtlichen UnternehmerInnen, Potentaten oder bewaffneten Kräften wirklich befördern würde, darf bezweifelt werden. Auch ist sich Polmann offensichtlich nicht im Klaren darüber, dass es in bestimmten Fällen (Afghanistan) ein von den Besatzungsmächten durchaus erwünschter Nebeneffekt sein kann, dass Hilfsgüter an Warlords gehen.

Polmanns Angriff auf Lieferbindungen und "tied aid" ist legitim, aber ebenfalls ein alter Hut. Ihre Vorwürfe im Bezug auf Korruption mögen vereinzelt zutreffen. Doch entkräften sie keinesfalls das Argument, dass  gerade um Korruption einzuhegen, engagierte und kompetente ausländische Experten einen gewissen Teil der Arbeit vor Ort machen müssen.

Polmanns Medienschelte hält sich ebenfalls exakt im absehbaren Rahmen, bis auf einen Aspekt, der hier zitiert werden soll. Denn da haben sich die KollegInnen  ganz eindeutig vergaloppiert: Kriegsversehrte Kinder
lernten, dass sie ihr Leben auch vor der Kamera verbringen können. Es gab nämlich Journalisten, die ihnen Geld zahlten, vor allem den Kindern. Ein Mädchen, das ich aus den Camps in Freetown [Sierra Leone] kenne, war elf oder zwölf, als sie amputiert wurde. Sie lebt jetzt in Kanada, wird von Unicef als eine Art Maskottchen benutzt und hat ein Buch geschrieben. Darin kann man nachlesen, dass sie in einem Wettbewerb mit den anderen Amputierten stand. Also erfand sie Geschichten und erzählte, dass die Rebellen sie vergewaltigt und gezwungen hätten, andere Kinder zu verstümmeln.
Insgesamt hinterlässt das Interview den Eindruck dass hier eine persönlich enttäuschte Beobachterin ihrem Unmut Luft macht. Wie viel die Interviewführung an dem sehr unzusammenhängenden Exkurs Mitschuld trägt, ist beim Lesen zwar nur schlecht zu beurteilen. Die Redaktion wird das Buch dennoch nicht zur Rezension anfordern.

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