Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch.
Deshalb versöhnt man sich auch mit den sattsam bekannten Kindersoldaten und den vielen westlichen Therapeuten, die sich daran gütlich tun, sowohl schlaue Studien darüber zu schreiben als auch Therapieansätze zu entwickeln, die dann in typisch westlichen auf die EZ zugeschnittenen Projekten an den Opfer-Tätergruppen in Sierra Leone oder Liberia durchgeführt werden. Denn klar gesagt wird in dem Band auch - und das sollte inzwischen Standard sein - dass Betroffene wie zum Beispiel ehemalige Gangmitglieder, also selber noch Jugendliche oder junge Erwachsene - immer noch den besten Zugang zu traumatisierten Jugendlichen haben.
Natürlich müssen diese so genannten Peergroups organisiert und angeleitet werden, aber dafür muss es m. E. keine aufwendigen Projekte mit aus dem Westen angerückten Fachleuten geben. Gibt es in diesen Ländern keine eigenen Therapeuten, Wissenschaftler oder psychosozialen Fachkräfte? Oder ist das wieder einmal nur der koloniale Blickwinkel, dass immer wir die Projekte initiieren und dass wir die Bücher über deren Probleme schreiben?
Spannend sind dagegen die Überlegungen zur Demobilisierung von Kindersoldaten wie etwa die sehr gut belegte These, dass die Traumatisierung in Friedenszeiten nicht aufhört, sondern vielmehr ‚schläft' (sleeping effect). Aufschlussreich ist auch, dass die Instrumentalisierung von Opferrollen thematisiert wird und das Bildmaterial, das diverse Hilfsorganisationen in geballter Ladung einsetzen und uns bald zu Weihnachten wieder in die Briefkästen flattern lassen.
Aber viel interessanter wäre meiner Meinung nach, wie die ‚Opfertäter' selbst ihre Gewalt begründen, um eine irgendwie geartete Identität herzustellen, mit der sie leben können. Dass ein zutiefst zerstörtes Land eher den Wiederaufbau fördert und sich nicht mit der Verarbeitung von Traumata beschäftigt, wird nachvollziehbar beschrieben und erinnert nicht zuletzt an die eigene deutsche Geschichte, die erst im Jetlag von 23 Jahren durch die Studentenrevolten die Nazizeit und ihre als Opfer getarnten Täterväter thematisierten. Das genau führt zu dem erwähnten sleeping effect, der erst Jahre später und teils von nachkommenden Generationen bearbeitet wird, was nicht notwendigerweise zu Lösungen führt, die Gesellschaften friedlicher gestaltet, wie die RAF gezeigt hat.
Obwohl dies nicht explizit zum Ausdruck kommt, gewinnt man beim Lesen von "Jugendliche in gewaltsamen Lebenswelten" den Eindruck, dass das Unbehagen gegenüber Jugendlichen von derselben Quelle gespeist wird wie rassistische Vorurteile: vor allem durch die Andersartigkeit, teils auch durch die andere Sprache. Jugendliche haben oft einen für Erwachsene unverständlichen Slang, und dies lässt Ablehnung und ein verzerrtes, paranoid geprägtes Bild entstehen, eine bedrückende Art der Xenophobie gegenüber den eigenen Leuten.
Wo ist der Louis Barrios für die hilflosen Jugendlichen der trostlosen Pariser Vororte und warum finden die Pariser Jugendkrawalle von 2005, wie sie gerne bezeichnet werden, hier keine Erwähnung? Von diesen Details abgesehen ist "Jugendliche in gewaltsamen Lebenswelten" eine lesenswerte, informative und gut aufbereitete Sammlung und trägt auf jeden Fall zu einem differenzierten Bild über Gewalt und den Schwierigkeiten bei, sie konstruktiv zu wenden.
Zu dem Thema passt ein Beitrag aus telepolis, in dem der endemische Charakter von Gewalt angesprochen und die besondere Gefährdung von Kindern herausgestellt wird.
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