Sonntag, 29. August 2010

Der heilige Gral

Große Versprechungen machen besonders britische Zeitungen ihren LeserInnen im Zusammenhang mit der Entschlüsselung des Weizen-Genoms durch WissenschaftlerInnen in Liverpool. Die Vorschusslorbeeren werden derart üppig ausgeteilt, dass man sich Sorgen machen muss, warum die KollegInnen so unbedingt gute Nachrichten unter die Leute bringen wollen. Ist es Patriotismus? Ist es weil die Sequenzierung öffentlich gefördert wurde? Jedenfalls steht zu befürchten, dass sie wirklich glauben, was sie schreiben:
"Wheat genome may help tackle food shortages" BBC.
Geradezu euphorisch der Independent: "Genome breakthrough heralds new dawn for agriculture" ergänzt um einen Leitartikel: "A victory in the battle against hunger".
"Cracking wheat genome could improve food security: scientists" Vancouver Sun.
"Bread Prices Could Come Down After Scientific Breakthrough" UK News Reporter.
"Feeding world closer as boffins crack wheat gene code" Farmers weekly interactive.
Und als Feststellung: "Coming soon, the wheat revolution: Scientists DNA breakthrough paves the way for cheaper bread" Mail Online.
"Frankenwheat: A New Hope for World Hunger" tonic versucht's witzig.
"Wheat genome sequenced – superior types of wheat could result" Gizmag.

In Schwellen- und Entwicklungsländern ist die Reaktion gespalten:
"Scientists decode wheat genome, ushering in food security" freut sich Malaysia News.net.
Aber Aljazeera macht in in Q+A "Wheat brakethrough" darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nur eine Dimension der komplexen Frage darstellen, was wir (und wer von uns was und wie viel) morgen essen werden. Vorsichtig ist auch die tehran times, die ihren diesbezüglichen Beitrag mit vielen Hintergründen versieht. Bei DAWN wird zu Recht gewarnt (auch wenn man sich leider auf die wissenschaftliche Ebene beschränkt und gesellschaftliche Fragen von Ernährungssicherheit ignoriert):
Concerns over climate change, water shortages and population growth have loomed in the background for years. New risks include a mutant form of stem rust. The reddish, wind-borne fungus - known to scientists as Ug99 - has devastated wheat crops in places such as Kenya, where up to 80 per cent of the wheat in afflicted farmers’ fields have been ruined.
Bedeutende Medien (etwa die Times of India oder die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua) ignorieren die Nachricht. Die deutschsprachigen Reaktionen fallen ebenfalls spärlich (und sachlich) aus (G-News dt.). Hier noch eine Meldung aus e! Science News, in der eine seriöse Einordnung der Meldung vorgenommen wird.

Das Weizen-Genom galt als der 'heilige Gral' der Genforschung im landwirtschaftlichen Bereich, weil das Erbgut extrem umfangreich ist (fünf Mal größer als das des Menschen). Es dauert etwa 15 Jahre, eine neue Getreidesorte zu entwickeln. Übrigens braucht man das Genom nicht zu kennen, um gentechnisch veränderte Sorten herzustellen - aber es hilft, sobald man verstanden hat, welche Gene was kodieren und wie diese reguliert sind.

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