Mittwoch, 6. April 2022

Flüchtlingsarbeit in Serbien

Seit dem letzten Bericht aus Bosnien sind nur wenige Monate vergangen, doch es hat sich viel verändert auf der Balkanroute. 

Text und Fotos stammen wieder von Ina Zeuch.

Wir treffen Abdul und Azim auf einer Decke auf dem kärglichen Rasen vor der Farm in Horgoš. Der Ort liegt ca.60 Kilometer von Ungarn im Dreiländereck von Serbien, Rumänien und Ungarn. Dort versuchen viele Menschen auf der Flucht, über die Grenze in die EU nach Kroatien zu gelangen. Aber Abduls Flucht ist hier zu Ende: Er will zurück nach Afghanistan. Heimweh, Geldmangel und die aussichtslose Lage, Arbeit für die Weiterfahrt nach Österreich zu finden, haben ihn zermürbt.

4000 € kostet eine Taxifahrt über die Grenze Richtung Ungarn, wo man dann direkt hinter der ungarischen Grenze in Österreich landet, drei Autostunden von hier entfernt. Anderthalb Jahre hat Abdul allein in der Türkei gearbeitet, um seine Flucht nach Griechenland und über die Balkanroute zusammenzusparen. Für einen Tageslohn von 12 € hat er dort 12 Stunden in einer T-Shirt Fabrik gearbeitet, dann ging es weiter nach Griechenland. In Athen verbrachte er weitere sechs Monate, und jetzt ist er hier.

Sein Freund Azim ist bereits neun Jahre auf der Flucht. Ursprünglich wollte er nach Deutschland. Er seufzt tief auf, als er hört, dass ich Deutsche bin. Aber dieses Ziel scheint ihm jetzt unerreichbar zu sein. Seine Geschichte teilt sich nur noch nonverbal mit, so wie vieles hier sich nur in abgebrochenen, teils vagen Sätzen vermittelt, hinter dem Schweigen wird die Verzweiflung spürbar. 

Die Unterstützung für geflüchtete Menschen auf der Balkanroute schwindet – das berichten übereinstimmend alle Nichtregierungsorganisationen (NRO), die wir in Serbien besucht haben. Unausgesprochen bleibt, was alle denken: Die Solidarität für die Menschen aus der Ukraine, die – zumindest bis jetzt - fast jede erdenkliche Hilfe bekommen, hat die anderen Menschen auf der Flucht noch unsichtbarer gemacht. Dabei sind längst nicht automatisch alle, die dem Krieg in der Ukraine entfliehen, willkommen. „Wir sind jetzt alle nur noch Ukrainer“, verkündet der bayrische Ministerpräsident Markus Söder vollmundig, der sich bisher nicht besonders für Menschen auf der Flucht stark gemacht hat. Das klingt wie Hohn, werden doch Nicht-Ukrainer, die ebenfalls vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, fein säuberlich nach Herkunft und Hautfarbe aussortiert – in der Ukraine wie in Deutschland.

Rassismus trifft auch die Menschen auf der Flucht in Serbien. Kurz vor den anstehenden Wahlen am 3. April 2022 ist die Polizeipräsenz vor allem in der Hauptstadt Belgrad besonders hoch. Der Park in der Nähe des zentralen Busbahnhofes, der 2015 zur Zeltstadt wurde und noch 2019 Zuflucht und Schlafplatz vieler Geflüchteter war, ist heute frei von den ungeliebten Migranten.

Die offizielle serbische Politik sieht vor, die Migranten aufzugreifen und vornehmlich in die Lager an der mazedonischen Grenze zu bringen. Denn diese Lager werden von der EU mitfinanziert und der Nachweis für ihre Nutzung lässt diese Gelder weiter fließen, was das Narrativ von der geschlossenen Balkanroute weiter aufrecht erhält. Wenn die Geflüchteten es nicht schaffen, heimlich daraus zu entkommen bedeuten diese Lager das Ende ihrer Hoffnungen. 

klikAktiv

Die Polizei kontrolliert auch Hostels und den Busbahnhof sowie alle leerstehenden Häuser, von denen es hier einige gibt. Dabei behaupten AnwohnerInnen oft, dass die Geflüchteten selbst die Häuser zerstört hätten. Auch der Polizei bekannte, private Unterkünfte werden durchsucht, deren VermieterInnen keineswegs aus Empathie handeln. Vielmehr bezahlen die Menschen viel Geld dafür, dass sie hier Unterschlupf finden. Oft werden sie eingeschlossen, um ihnen noch mehr Geld für die Miete abzupressen. Diese wenig erfreulichen Details berichtet eine Mitarbeiterin von klikAktiv dem Center for Development of Social Policies in Belgrade, der seit 2014 existiert.

Seit 2019 untersuchen die AktivistInnen regelmäßig und mit wissenschaftlichen Methoden, wieviel Menschen obdachlos oder auf der Flucht in Belgrad campieren. Dafür besuchte klikAktiv immer wieder Unterschlüpfe der Geflüchteten. Als lokale NRO haben sie manchmal auch Zugang zu den von der Regierung geführten Lagern entlang der Grenzen zu Mazedonien, Ungarn und Rumänien. Dort helfen sie mit Rechtsberatung und psycho-sozialer Unterstützung. Regelmäßig besuchen sie auch die Grenzorte Sid an der kroatischen, Sombor an der ungarischen und Majdan an der rumänisch-ungarischen Grenze sowie Banja Koviljaca und Loznica an der bosnischen Grenze.

Auf die die großen ‚Player‘ wie die EU, die Internationale Organisation für Migration (IOM) oder das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR)setzen die lokalen NRO kaum noch Hoffnungen. „Das UNHCR arbeitet immer mit, nie gegen die Richtlinien der Regierungen“, erzählt uns eine Mitarbeiterin von klikAktiv. Die IOM ist selbst nur selten vor Ort, an den trostlosen Unterschlüpfen für Geflüchtete. Umgekehrt stützen sich die großen Organisationen jedoch oft auf die Recherchen der NRO . Damit setzen sie auf deren mühselige Arbeit auf, die mit immer geringerem Budgets und unbezahlten Helfern auskommen muss. Die Hoffnung aller kleinen NRO ist, dass es vielleicht im Austausch dafür eine Zusammenarbeit bei Rechtsmitteln zu Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizei oder bei der Legalisierung der Migranten gibt.

infopark

Etwas besser sieht die finanzielle Lage bei infopark (Facebook) aus, ebenfalls eine kleine NRO in Belgrad. Ihr Fokus liegt auf unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Kindern. Sie werden daher von UNICEF unterstützt. Aber auch sie verlieren demnächst wichtige Geber wie die Deutsche Botschaft, deren Unterstützung ausläuft und nicht verlängert wurde. Ihre Räumlichkeiten bieten Menschen tagsüber eine Verschnaufpause. 

Hier können sie sich ausruhen und sich umfassend über alle wichtigen Hilfen für Geflüchtete informieren. Auch ein kleines Lager für Sachspenden gibt es, aber inzwischen fehlen die Gelder, um neue Sachen zu kaufen. Infopark bietet auch Workshops im Bereich Gesundheit, Vermeidung und Verarbeiten von Stress sowie allgemeine Kommunikationsregeln und vor allem Erste Psychologische Hilfe. Einmal die Woche gibt es Sport für die Jugendlichen. Besonders mutig ist der Einsatz von infopark bei Übergriffen der Polizei, die sie – sofern möglich – verfolgen und dokumentieren. 

Collective Aid

Im Februar 2022 schickte die bislang überwiegend in Bosnien aktive SOS Balkanroute aus Wien einen LKW nach Subotica an die serbisch-ungarische Grenze, wo Collective Aid Menschen auf der Flucht mit der Verteilung von Kleidung, Nahrung und Brennholz hilft.

Collective Aid kennt alle Orte an der serbisch-ungarisch-rumänischen Grenze, wo die Geflüchteten ausharren und fährt diese regelmäßig an. Auch hier hausen die Geflüchteten in leerstehenden Häusern und Farmen. Viele Ungarn, die ehemals hier lebten, sind wegen der besseren Lebensbedingungen in ihr Land zurückgekehrt. Es gibt viel Armut und viele alte Menschen, die kärgliche Subsistenzlandwirtschaft betreiben. Auch hier sind die Menschen auf der Flucht nicht willkommen. Aber es gibt keine offene Feindschaft gegen sie. 

In der Region verteilt Collective Aid nach einem Rotationsprinzip an festen Tagen und Zeiten Nahrungsmittel, Kleidung und alle zehn Tage Brennholz. Besonderer Renner ist die im LKW eingebaute Dusche, die während ihrer Verteilungen ununterbrochen im Einsatz ist. Collective Aid sowie alle ihre überwiegend freiwilligen HelferInnen sind in Serbien registriert. Dennoch zeigt sich in letzter Zeit die Polizei vermehrt an den Orten der Verteilung und kontrolliert die MitarbeiterInnen. „Das verunsichert die Geflüchteten und dann kommen viele von ihnen nicht“, erzählt uns eine Mitarbeiterin der Organisation.

Ein besonders erfolgreiches Projekt ist das Waschcenter von Collective Aid im Zentrum von Belgrad. In den winzigen Räumlichkeiten laufen 8 Waschmaschinen auf Hochtouren, über eine enge Treppe kommt man zu vier Duschen – das alles kann von Migranten wie auch von örtlichen Anwohnern oder Obdachlosen genutzt werden. 

Die Offenheit für Einheimische macht dieses Projekt beliebt. Obwohl hier die sonst so ungeliebten Flüchtlinge kommen und gehen, wird das Waschcenter mit ihren MitarbeiterInnen nicht drangsaliert. Jeder ist hier willkommen, kann warm duschen, frische Wäsche abholen, einen Tee oder Kaffee nehmen oder sich am Obst an der Theke bedienen und dabei dem hartarbeitenden, aber fröhlichen Team bei der Arbeit zusehen. Auch die Miete von Collective Aid ist nur noch wenige Monate gesichert.


SOS Balkanroute

SOS Balkanroute will deshalb alle diese Initiativen mit je 2.500 € unterstützen. Ein weiterer LKW mit Sachspenden für klikAktiv ist auch schon wieder geplant, denn sie haben Zugang zu den Lagern und können der dringenden Nachfrage für Kleidung dort bislang nur sehr unzureichend nachkommen.

SOS Balkanroute wird aber auch die Hilfe für ihre bosnischen PartnerInnen nicht vernachlässigen. „Fluchtrouten können sich schnell ändern“, weiß Petar Rosandic von SOS Balkanroute aus Erfahrung. „Deshalb wollen wir auch unsere HelferInnen in Bosnien weiter unterstützen, die so gute Arbeit geleistet haben und jederzeit wieder einsatzbereit sind.“ So soll auch das Tageszentrum in Sarajevo weiter finanziell unterstützt werden. Die Hoffnung ist, dass über die jüngste Flüchtlingswelle aus der Ukraine auch die anderen Menschen auf der Flucht wieder wahrgenommen und nicht weiterhin vergessen werden.

Die Arbeit für Geflüchtete, die im im ehemaligen Jugoslawien gestrandet sind, braucht praktische Solidarität.
Wer helfen will, kann spenden und SOS Balkanroute (Facebook; Instagram) bei ihren Einsätzen unterstützen.
IBAN: AT20 2011 1842 8097 8400; BIC: GIBAATWWXXX.

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