Freitag, 15. März 2019

¡Isso não Vale! Das ist es nicht wert!

Die Aktivitäten und sozio-ökologischen Konflikte von Vale S.A.
Ein Gastbeitrag von ForscherInnen der Autonomen Universität Barcelona (UAB)

Anlässlich des Internationalen Aktionstags gegen Staudämme am 14. März veröffentlicht das Team des ENVJUSTICE - EJAtlas des Instituts für Umweltwissenschaft und Technologie (ICTA) der UAB die thematische Karte ¡"Esto no Vale! Isso não Vale! Die Aktivitäten und sozial-ökologischen Konflikte von Vale S.A.", welche einen Überblick über weltweite sozio-ökologische Konflikte im Zusammenhang mit Bergbau- und Industrieprojekten des Vale-Konzerns gibt.


Die Karte wurde von der EJAtlas-Forschungsgruppe der UAB (Daniela Del Bene, Sara Mingorría, Grettel Navas, Lucrecia Wagner, Raquel Neyra, Max Stoisser) in Zusammenarbeit mit Yannick Deniau vom Geocomunes-Kollektiv (Mexiko) und Beatriz Saes (Universidade Federal Fluminense, Brasilien) angefertigt. Der untenstehende Text ist von Beatriz Saes. Die Übersetzung besorgte Max Stoisser.

Dokumentiert werden die Bergbauaktivitäten und dazugehörige Projekte, wie beispielsweise die in Mariana (2015) und Brumadinho (Januar 2019) eingebrochenen Rückhaltedämme, die das Leben hunderter Menschen forderten und Flüsse und Böden kontaminiert zurück ließen. Diese Karte zeigt die sozio-ökologischen Auswirkungen, die der Bergbaukonzern weltweit zu verantworten hat. Damit möchte das Forschungsteam zu den globalen Bemühungen beitragen, Gerechtigkeit wiederherzustellen und die Straflosigkeit großer Konzerne zu stoppen.

Brumadinho und Mariana: Vales zwei Tragödien in Brasilien

25. Januar 2019: Eine Schlammlawine zerstört Verwaltungsgebäude und einen Speisesaal der Mine “Córrego do Feijão” sowie einen Teil der Gemeinde Vila Ferteco in Brumadinho und reißt dabei über 300 Menschen in den Tod. Eine Umweltkatastrophe und menschliche Tragödie, unermesslich aber vorhersehbar. Wie schon bei der Katastrophe in Mariana im Jahr 2015 kam es zum Dammbruch eines Rückhaltebeckens und einmal mehr involviert ist der multinationale Bergbaukonzern Vale (siehe Karte).


Vale hat sowohl in Brasilien als auch in den anderen Ländern, in denen das Unternehmen tätig ist, eine Vielzahl an Konflikten verursacht. Darunter gibt es Fälle von Menschenrechtsverletzungen, fragwürdige Umweltlizenzierungsverfahren und -kompensationen, unbezahlte Umweltstrafen, irreversible Umweltschäden und die Zerstörung der Lebensgrundlagen indigener und traditioneller Völker. Insgesamt operiert Vale in 27 Ländern – in zehn davon nur mit Büros, in 14 gibt es aktive extraktive Projekte, und in dreien existieren Erkundungsprojekte (siehe Karte).

In diesem Artikel präsentieren wir, mit Unterstützung von ForscherInnen and VertreterInnen sozialer Bewegungen unterschiedlicher Länder, einen Überblick über Fälle von Umweltkonflikten. Dieser zeigt die Nachlässigkeit und Unsicherheit auf, die sich systematisch durch die Aktivitäten Vales zieht, was nicht zuletzt die betroffene Bevölkerung der Katastrophen in Brumadinho und Mariana zu spüren bekam. Eine Auswahl von fast 30 Fällen in Brasilien, Peru, Argentinien, Chile, Mosambik, Neu Kaledonien, Guinea, Australien und Indonesien bestätigt die vielen Stimmen die sagen: „Es war kein Unfall. Es war ein Verbrechen.“

Erst vor drei Jahren wurde der Fluss Rio Doce in der Gemeinde Mariana vollkommen vom Abgang einer Schlammlawine zerstört, die von einem Dammbruch in Fundão ausgelöst wurde und sich über 700 Kilometer bis zum Meer ausbreitete. 19 Menschen kamen ums Leben während die Häuser hunderter Familien zerstört wurden. Kurioserweise ist genau jener Rio Doce Teil des ursprünglichen Konzernnamens: Companhia Vale do Rio Doce (CVRD). Diese Region liegt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, wo die  CVRD 1942 als staatseigener Betrieb gegründet wurde und wo sie seither durch eine Vielzahl von Dämmen für Unsicherheit sorgt. Hinzu kommen die tagtäglichen Auswirkungen des Bergbaus auf die Bevölkerung und der Kampf gegen eine weitere Expansion durch Vale-Projekte (z.B. in Gandarela Mountain Range und in Nova Lima, MG).

Zu den Hintergründen:

Das Wachstum von CVRD und „geopferte Zonen“ in Nordbrasilien

Ursprünglich wurde die CVRD während der Diktatur von Getúlio Dornelles Vargas mit dem Ziel gegründet, Brasiliens natürliche Ressourcen auszuschöpfen und die wirtschaftliche Industrialisierung voranzutreiben. Das Unternehmen wuchs schnell und breitete sich sektoriell und geographisch aus. Zu Beginn der 1980er expandierte der Konzern in Aktivitäten im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará. Laut Sistema de Informações Geográficas da Mineração (SIGMINE) verfügt Vale aktuell über 1.630 Bergbau-Konzessionen in Brasilien, die sich über ein Gesamtgebiet von 53.977 Quadratkilometer erstrecken was der Größe Kroatiens entspricht. (Siehe hierfür auch die Kartenebene der Bergbau-Konzessionen, in der Vales Konzessionen bei einem Zoom auf Brasilien ersichtlich sind.) Neben denen in Brumadinho und Mariana betreibt Vale laut der staatlichen Agentur für mineralische Rohstoffe (Agência Nacional de Mineração, ANM) weitere 160 Rückhaltedämme, von welchen 65 als schadens- oder einbruchsgefährdet eingestuft werden (Ebene kann auf der Karte aktiviert und betrachtet werden).


Vor dem Hintergrund der sukzessiven Auslagerung von umweltverschmutzenden und elektrointensiven Industrien in den Globalen Süden wurde die Gemeinde Barcarena für die Aluminiumindustrie vorgesehen. In diesem Prozess waren es insbesondere indigene Völker, Quilombolas und andere lokalen Gemeinschaften, welche unter den negativen Auswirkungen dieser Industrie litten, ohne von der versprochenen „Entwicklung“ zu profitieren (z.B. Hydro Alunorte, die Pipeline in Moju und die Bauxit-Mine in Oriximiná, PA). Der Abbau und Export der enormen Eisenreserven in der Region im Zuge des Eisenminen-Großprojekts in Carajás trieb zudem die Abholzung des Amazonas-Regenwalds voran, da die Roheisenindustrie, die sich entlang der ebenfalls von CVRD errichteten Carajás-Bahnstrecke ansiedelte, den Bedarf nach Holzkohle steigen ließ.

In einer der Gemeinden entlang der Carajás-Bahnstrecke (Piquiá de Baixo, MA) leidet die Bevölkerung seit Jahrzehnten an gesundheitlichen Problemen infolge der Verschmutzung durch die Roheisenindustrie. Aus mehreren Widerstandsgruppierungen formierte sich 2007 das Bündnis „Rede Justiça nos Trilhos“ (Gerechtigkeit auf den Schienen) und spielte daraufhin eine zentrale Rolle, die Gemeinde in eine neue, unverschmutzte Nachbarschaft namens „Piquiá da Conquista“ umsiedeln zu können.

Rede Justiça nos Trilhos spielte auch eine wichtige Rolle in einem anderen Fall von Umweltungerechtigkeit: das S11D-Projekt, dem größten Eisenerzprojekt der Welt. S11D war aufgrund seiner Umweltauswirkungen auf den Carajás Nationalwald heftig umstritten, mitunter auch aufgrund des Verdachts irregulärer Landaneignungen, gewaltvoller Enteignungen in Canaã dos Carajás, sowie Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen entlange der Carajás-Bahnstrecke, die für den Erztransport bedeutend ausgebaut wurde. Eine der betroffenen indigenen Gemeinden - das an den Carajás Nationalwald grenzende Xikrin - ist auch von zwei weiteren Projekten des Konzerns betroffen (dem Onça Puma Nickelprojekt und dem Salobo Kupferprojekt, PA). Allein zwischen dieser Gemeinde und Vale sind bereits mehrere Gerichtsprozesse im Gange. Die Gemeinde fürchtet insbesondere die Verschmutzung des Cateté Flusses mit Schwermetallen und die damit verbundenen drastischen Folgen für ihr Überleben und ihre Kultur. Trotz Kompensationszahlungen von Vale fordern sie in Xikrin den kompletten Stopp aller Aktivitäten, um ihren bisherige Lebensweise bewahren zu können.

Von CVRD zur internationalisierten Vale S.A.

Fälle wie der der indigenen Xikrin-Gemeinde und viele weitere zeigen, dass Vale kein Verständnis für lokale Bedürfnisse kennt - oder diese bewusst nicht ignoriert. Denn die Zerstörung von Lebensweisen (oder Leben) sowie kultureller und ökologischer Werte erlaubt keine monetäre Kompensation. Wieviel ist ein Fluss letzten Endes wert? Und wenn Vale‘s vergangene Geschichte eine von Zerstörung war, so ist die aktuelle eine umso mehr verstörende.

Mit 1997 begann für CVRD ein intensiver Privatisierungs- und Internationalisierungsprozess, welche 2007 mit dem Namenswechsel hin zum moderneren Vale gekrönt wurde. Vale bedeutet 'Tal' und steht für jene natürliche geographische Senke des Rio Doces (zu Deutsch: süßer Fluss), die nun von Rückhaltebecken und -dämmen überzogen ist. Der ehemalige Präsident des Konzerns, Roger Agnelli, erklärte demnach: „Überall auf der Welt ist das Wort Vale einfach. Vale bedeutet 'Wert'. Es ist kurz und einfach zu merken.“ Dies geschah in der Absicht, die Kommunikation mit den weltweiten Aktionären zu verbessern. Wie die präsentierten Fälle jedoch aufzeigen, geschah dies nicht für alle Betroffenen gleichermaßen. Vale gehört heute zusammen mit Rio Tinto und BHP Biliton zu den drei größten Bergbaukonzernen der Welt.

Doch auch außerhalb Brasiliens sind Vales Aktivitäten eng mit Umweltunrecht verknüpft, das stark an die beschriebenen brasilianischen Fälle erinnern. Eine Initiative auf globaler Ebene, die gegen die Auswirkungen und Menschenrechtsverlet-zungen von Vale ankämpft, ist die „Internationale Verbindung der von der Tätigkeit von Vale Betroffenen”, die seit 2009 Organisationen und soziale Bewegungen aus Ländern vernetzt, in denen der Konzern agiert.

Während sich Vale in Brasilien als weltweit größter Erzproduzent behauptete (mit einem Produktionsvolumen von mehr als 350 Tonnen in 2007), erfolgte 2006 die Übernahme der kanadischen Bergbaufirma Inco Limited sowie Investitionen in der Moatize-Region (Mosambik) ab 2004 um Vales Position als Nickel- und Kohleproduzent zu festigen. Eisenerz, Kohle und Nickel ergaben somit das Komplettpaket zur Stahlherstellung, welcher das große chinesische Wirtschaftswachstum vorantrieb.

Das von Vale übernommene Inco begann seine Aktivitäten in Indonesien im Jahr 1968 und kontrollierte bis zur Übernahme – als zweitgrößter Produzent - die weltweit größten Nickelvorräte. Seit mehr als fünfzig Jahre protestiert die indigene Bevölkerung gegen die die Inbesitznahme ihres historischen Gebiete sowie für eine faire Kompensation und die Wiederherstellung des Zugangs zu diesem, aber auch gegen Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung und die entstandene Gesundheitsschäden infolge des Nickelabbaus. Die indigene Karonsi’e Dongi Bevölkerung berichtete außerdem über regelmäßige Drohungen und Einschüchterungen durch die indonesischen Behörden und bewaffnete Sicherheitskräfte. In Mosambik galt Moatize als das weltweit größte unerforschte Kohleabbaugebiet. Hunderte Kleinbauern und Kleinbäuerinnen wurden von Vale unter prekären Umständen zwangsumgesiedelt und fordern eine angemessene Kompensation.

Vales jüngste Aktivitäten konzentrierten sich auf die Energie- und Logistiksektoren die für die Aufrechterhaltung des Bergbaus von entscheidender Bedeutung sind. In Brasilien erfolgten zusätzlich zur Carajás-Bahnstrecke weitere bedeutende Investitionen in Energieprojekte, unter anderem in das Megastaudammprojekt Belo Monte im Amazonasgebiet. Im Bergbausektor kamen zum „Stahlpaket“ noch Investitionen in Kupfer- und Phosphataktivitäten, insbesondere in Lateinamerika. Laut Instituto Geológico Minero y Metalúrgico (INGEMMET), hält Vale momentan 432 Bergbau-Konzessionen in Peru (242 davon laufend, 188 auf Genehmigung wartend, sowie zwei zurückgenommen) mit einer Gesamtfläche von 4297 Quadratkilometern. (Siehe hierfür die Kartenebene zu Bergbaukonzessionen in Peru.) In einem der wenigen Erfolgsfälle in unserer Liste konnte, gelang es einer lokalen Gemeinde in Cajamarca (Peru), ein Kupferprojekt zu stoppen, nachdem es zu unzähligen Unregelmäßigkeiten bei der Autorisierung von Erkundungsprojekten und Umweltzertifizierungen kam.

Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass Vale als nunmehr privatisierter und internationalisierter Konzern über eine größere Flexibilität verfügt, um kurzfristig Projekte voranzutreiben oder abzustoßen. In vielen Fällen verkaufte Vale Bergbauprojekte ohne dass dabei Verantwortung für  sozio-ökologischen Verpflichtungen übernommen werden. Die Beispiel sind zahlreich und umfassen zum Beispiel eine Kupfermine in Chile, eine Phosphatmine in Peru, ein Kaliumvorkommen in Argentinien oder eine Kohlegrube in Kolumbien. Im Falle des Bayóvar-Phosphatprojekts in Peru fordert die lokale Bevölkerung illegal angeeignetes Land zurück während FischerInnen gegen Meeres- und Luftverschmutzung ankämpfen. Im Jahr 2012 wurden zwei Fischer bei Protesten gegen Vale getötet.

Allen analysierten Fällen gemeinsam ist das Fehlen grundlegender sozial-ökologischer Verpflichtungen. Während der Nutzen vornehmlich im Privat- und Finanzsektor bleibt, schafft es der Konzern Vale seit langer Zeit, jegliche Verantwortung abzuwehren. Die Mobilisierung zur Unterstützung der Opfer der Mariana- und Brumadinho-Verbrechen wird dafür sorgen, dass Straffreiheit nicht erneut das Ergebnis solcher Vorfälle ist.

Außerdem gilt es, die breiteren Probleme ins Auge zu fassen, die einer Logik des Ressourcenexktraktivismus entspringen und von großen Bergbaukonzernen wie Vale und deren politischen Verbündeten im Streben nach Wirtschaftswachstum und regionaler Entwicklung immer weiter vorangetrieben werden. Ein derartiges Modell verstärkt nicht nur die Exportabhängigkeit von Primärgütern in Ländern des Globalen Südens sowie eine Verschlechterung ihrer Handelsbilanzen und -bedingungen. Es führt auch zu einer Ungleichverteilung von Umweltzerstörung und ökologischen Kosten, während betroffene lokale Gemeinden einer Vielzahl an Ungerechtigkeiten und einem ständigen Risiko weiterer Katastrophen ausgesetzt sind.

Das Datenmaterial für diese Analyse wurde von ForschungsaktivistInnen, unabhängigen ForscherInnen und lokalen AktivistInnen koproduziert. Hierbei handelt es sich um einen fortlaufenden Dokumentationsprozess, in welchem weitere neue Fälle dokumentiert und anschließend online eingetragen werden. Die AutorInnen der einzelnen Fälle sind am Ende jeder Fallbeschreibung ersichtlich. Das EJAtlas-Team dankt allen Organisationen und Kollektiven, die ihre Informationen und Erhebungen im Zuge dieses Prozesses geteilt haben und sich den tagtäglichen Kämpfen in diesen Konflikten – ob vor Ort in deren Heimat, oder vor Gericht – stellen. Spezieller Dank geht an Movimento dos Atingidos e Atingidas per Barragens (MAB), die „Internationale Verbindung der von der Tätigkeit von Vale Betroffenen”, Movimento Aguas de Gandarela, FASE, Jubileu Sul Brasil, Movimento pela Soberania Popular na Mineração (MAM), die Forschungsgruppe der Mapa de Conflitos envolvendo Injustiça Ambiental e Saúde no Brasil, Mining Watch Canada, sowie JATAM Indonesia.

Für weitere Informationen:
Beatriz Saes: beatrizmsaes[at]gmail.com
Daniela Del Bene: d.delbene[at]gmail.com
EJAtlas project editorial team: ejoltmap[at]gmail.com

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