Sie
heißen Glen, Kitty oder Sydney und die Abteilungen ihrer Großraumbüros
sind nach amerikanischen Großstädten benannt. Sie arbeiten nachts und
schlafen tagsüber. Sechs Arbeiter in einem Mumbaier Callcenter werden
von der Kamera von
Ashim Ahluwalia bei ihrem Job und nach Hause begleitet. Sie fängt ihre schlafwandlerischen Bewegungen durch Mumbai
ein, aus dem Off hört
man sie sprechen oder sie stehen direkt vor der Kamera und erzählen in
knappen Sätzen über ihr Leben, ihren Job, ihre Träume. Neben den
fiktiven amerikanischen Namen steht auf ihren vom Callcenter geführten
Karteikarten ihre jeweilige Blutgruppe, immerhin Fakt ihrer biologischen
Herkunft - sonst nichts. Damit führt Ahluwalia sie ein. Der Film ist
bereits 2005 gedreht, aber wie so oft kommt man teils nur durch Zufall
aus dem eurozentrischen Blickwinkel heraus und entdeckt so vieles erst
Jahre später.
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'Kitty' |
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Neben
diesen sechs Protagonisten bekommt man auch einen Blick hinter die
Kulissen: die Paukerei in den Sprachtrainings mit rasantem
Nachsprechtempo, das Auswendiglernen über Details zu den kulturellen
Hintergründen der jeweiligen amerikanischen Bundesstaaten, welches
Wetter dort gerade vorherrscht und ähnliches - alles Rüstzeug für den smalltalk,
um fiktive Beziehungen zum Kunden herzustellen - und immer wieder
Anschauungsmaterial aus amerikanischen Katalogen und Magazinen, die das
Amerikanische schlechthin darlegen sollen: Der Amerikaner - das
Überwesen, die postkoloniale Größe, vor der alles Indische zu
Bedeutungslosigkeit schrumpft.
Eine endlose Reihe von Menschen an ihren Telefonen mit Headsets
spricht absurde Texte an Menschen auf der anderen Seite der Welt hin,
die zum Kauf und der Herausgabe ihrer Daten animiert werden sollen.
Jeder erfolgreiche Abschluss bringt ein kurzes befriedigtes Lächeln auf
die ermüdeten Gesichter, aber oft genug werden sie auch beschimpft, der
Hörer wird aufgeknallt und die verlorene Zeit eines erfolglosen
Gesprächs muss wieder eingeholt werden - selbstverständlich wird alles
videoüberwacht.
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'Osmond' |
Ahluwalia gelingt es, durch diese dokumentarisch nüchternen Aufnahmen
etwas durchschimmern zu lassen, was einem mit jeder weiteren Szene des
Films mehr unter die Haut geht: Das ist nicht nur die Monotonie dieser Arbeit,
sondern vor allem die ungeheure Selbstkontrolle seiner Protagonisten -
die meisten kaum älter als 25. In ihren Aussagen über sich selbst
schwelt ein deprimierendes Minderwertigkeitsgefühl über ihr Land, ihre
Herkunft. Was sie erreichen wollen? So zu werden wie sie, die auf der
anderen Seite einer vermeintlich viel besseren, entwickelteren und
menschlicheren Welt leben - in einem Wundertraumland, wo man sich zu
jeder Tages- und Nachtzeit etwas kaufen kann.
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'Sydney' |
Back to India" nennt einer das frustrierende
Gefühl, wenn er die Welt seines Callcenters verlässt und sich wieder im
realen Mumbai bewegt. Nur 'Glen' hasst seine Arbeit und durchschaut
deren miese Bedingungen, die für niemanden eine echte Chance bieten,
sondern einfach nur ausbeuterisch sind. Seinem Freund, der mit ihm durch
Mumbai fährt, gibt er Geschichten aus seinem Arbeitsalltag zum Besten.
"Are you an answering-machine? No, we are only humans."
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'Glen' |
'Kitty' geht dagegen völlig in
ihrer Callcenter-Familie auf. Nicht nur verwechselt sie ihre
Kundengespräche mit realen Beziehungen, wenn diese sie fragen, wie es
ihr geht oder ihr einen schönen Feierabend wünschen. Sie hat zudem ihr
gesamtes Outfit 'amerikanisiert', blond gefärbt sind selbst ihre
Wimpern und Augenbrauen, ihre Haut so rot wie die von sonnenverbrannten
Touristen, als sei dies ein besonderes Schönheitsmerkmal. Und sie führt
auch ihr Leben wie eine Touristin, stromert in ihrer wenigen Freizeit
durch die Discos der Stadt im amerikanischen Freizeitlook. Natürlich
wünscht sie sich einen blonden 'John', der mit ihr dieses Leben
zwischen den Welten und dieselben Konsummuster teilt, während 'Sydney'
Wut und Frust über seine auslaugende Arbeit mit Shoppen und Tanzen
abreagiert. Er ist der einzige, der tatsächlich aus einem Slum in Mumbai
kommt. Er, der vermutlich den weitesten Weg bis zu diesem Job hinter
sich hat, ist der wortkargste Zeuge einer Welt, in der er niemals
dauerhaft ein Leben in ökonomischer Sicherheit - geschweige denn
Wohlstand - führen wird.
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'Kitty' |
Differenziert hält
Ahluwalia auch die amerikanischen Kunden fest. Sie sind nicht einfach
nur tumbe Konsumenten, vielmehr verweigern sie sich oft genug einer
Bestellung - die meisten von ihnen, die in diesem Film zu Wort kommen,
sind Rentner und alleinstehend, sie haben nichts mehr vor mit ihrem
Leben. Einige ahnen, das was nicht stimmt mit diesem Service wie die
Frage nach dem Anrufbeantworter verrät, aber sie durchschauen es nicht
wirklich. Das ist das einzige Detail, das darauf hinweist, dass der
Film schon 10 Jahre alt ist.
Ahluwalia
nutzt das teils ziellose Streunen - vor allem von 'Glen', 'Sydney' und
'Kitty' - auch dazu, seine Stadt Mumbai zu porträtieren, die rasante
Veränderung der letzten 25 Jahre durch architektonische Großprojekte,
oft blinde Nachahmungen einer Mischung aus Dubai und Las Vegas,
trostlosen
Themeparks und Spielhallen in den
Basements der
Callcenter, in dem sich einer der Protagonisten seine Zeit vertreibt,
bis seine Frau müde und grau aus ihrer Tagschicht kommt und sie eine
kurze Weile im leeren Restaurant des Centers amerikanisches Fastfood zu
sich nehmen, bevor er seine Nachtschicht antritt. Das ist vielleicht die
trostloseste Szene des Films.
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Mahalaxmi-Viertel in Mumbai (Foto: Ina Zeuch) |
Die indische Rezeption von "John and Jane" verrät noch weit mehr
über die neoliberale Verwüstung von Lebensläufen, die Freiheit und
Chancen zu versprechen scheinen und nur kalte Indifferenz hervorbringt.
In der inzwischen vergriffenen Ausgabe des indischen Kunstmagazins
Marg
"Beeing Here, Now - Some Insights into Indian Cinema" vom März 2010
rezensiert Kaunteya Shah ausführlich Ahuwalia's Regiearbeit:
In
Ahluwalia's cinema it seems, that the older generation can no longer be
relied upon as a source of security, as they are eager to project their
ambitions onto their children in the cut-throat globalized world.
...'John and Jane' is a depiction of globalization in extremis.
Confronted by an Indian modernity dominated by a shrill nationalism, a
chauvinistic reinterpretation of religion, an increasingly synthetic
materialism.... the film is one of the most prescient cinematic portaits
of contemporary urban India."
Alle Filmstills von Ina Zeuch
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