Freitag, 24. Februar 2012

Wir feiern uns selbst

 - mit ein paar Auserwählten:
Die Verleihung der„Amazing Indians Awards

Ein Gastbeitrag aus Kolkata von Ina Zeuch

Der Nachrichtensender Times Now wartete kürzlich mit einer neuen, sensationell aufgemachten Show auf, den von ihm initiierten „Amazing Indians Awards“. Dazu wurden elf Kategorien, unter anderem "grassroot soldiers", "urban crusaders", "eco saviours" oder "educators of India" sowie eine Kategorie für herausragende Einzelleistungen unter "unstoppable Indians" kreiert.

In allen Werbeblöcken des Kanals wurde das Datum für die Übertragung der Nominierungen zusammen mit den Logos der Sponsoren groß angekündigt. Diese flimmerte schließlich zur besten Sendezeit um 19 Uhr an einem Freitag dem 17. und als Wiederholung zur selben Zeit am Samstag, den 18. Februar über den Äther. Die für einen westlichen Betrachter schrille Aufbereitung solcher Sendungen wie eigentlich alles im indischen Fernsehen, ist der anderen Kultur geschuldet. Und vielleicht ist ja das Konzept des Infotainements recht eigentlich in Indien erfunden worden - jedenfalls erreicht es hier ungeahnte Dimensionen.


Die Preisverleihung rollt als Life-Show mit Gästen im Studio, als aufwändige und raffinierte Fusion von Dramatik und Doku, human touch und Eigenlob, nationalem Stolz und demütiger Kritik pompös über die Bühne. Allen voran preisen die für ihre aggressiven Politiker-Interviews bekannten Journalisten des Infosenders zunächst einmal die Juroren um dann die im Publikum anwesenden Politiker anzukündigen, die die verschiedenen Awards an die Nominierten verleihen. Vor der eigentlichen Verleihung werden aber noch die von wechselnden Journalisten aufbereiteten, sogenannten incredible stories im typischen Times Now-Stil eingeblendet: Dramatische Musik begleitet die kleinen Filmchen über den jeweiligen Gewinner. Diese wiederum suggerieren, dass man es hier mit authentischen Geschichten als Ergebnis eines hochmoralischen Recherchejournalismus zu tun hat. Nach den Einblendungen wird der jeweilige Preisträger oder die Preisträgerin auf das Podium gebeten, um den jeweiligen Preis entgegenzunehmen.


Normale Menschen, die bislang so gut wie gar keine Publicity kennen, werden hier zu Stars gemacht, und nicht alle halten diesem Druck gleich gut stand. Offensichtlich dazu angehalten, ein paar Sätze zu sagen, wenn ihnen der Preis von ‚ihrem‘ Politiker überreicht wird, versagt einigen die Stimme oder sie bringen stockend ein Minimum an Text hervor, um dann schnell wieder der Bühne zu entfliehen. Das Publikum und die Profis reagieren gerührt, letztere wortgewaltig - allen voran die Superprofis von Times Now, die den human touch gezielt ausschlachten. Die teils unbeholfenen und deshalb so sympathischen Selbstdarstellungen werden jedoch von einer ganzen Reihe äußerst redegewandter PreisträgerInnen mit erstaunlich telegenem Auftreten konterkariert. Zwei Frauen fallen dabei durch ihre bestechende Rhetorik mit dem richtigen Sinn für Pausen auf, so dass selbst die Profis kurz in nachdenklichen Schweigesekunden verharren und das Publikum sich zu einem eher verhaltenen Applaus veranlasst sieht.


Die eine erlitt 2011 einen Säureanschlag ihres Ex-Mannes und gründete dann eine Organisation für Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden oder - wie sie bereits - Opfer wurden. Mit ihrem nach einem dreimonatigen Krankenhausaufenthalt zusammengeflickten Gesicht stellt sie die Frage, warum Opfer wie sie in Isolation leben sollen, nur weil die Gesellschaft noch nicht bereit ist, sich dieser Realität auf angemessene Weise zu stellen. Eine andere Preisträgerin, die in der Kategorie "eco saviours" dafür ausgezeichnet wurde, dass sie ein Bergwerk blockierte und verhinderte, dass ihrem Dorf das Grundwasser durch sie vergiftet wurde, legt den Finger in die Wunde. Sie klagt die allgegenwärtige Korruption, Wahlfälschung in ihrem Distrikt, eine untätige Regierung, die Land an Investoren verkauft und sich einen Teufel um die betroffenen Menschen schert offen an, und sie beschreibt die verheerenden Folgen solcher Umweltzerstörungen für die ländliche Bevölkerung. Sie stellt die peinliche Frage, ob diesbezügliche Wahlversprechen denn auch umgesetzt würden und fordert dazu auf, hinter die moralische Abgründe der so viel gelobten demokratischen Verfasstheit des Subkontinents zu schauen. Auch hier tritt selbst in diesem Zirkus der nützlichen Eitelkeiten eine betretene Pause ein, die wie Betroffenheit anmutet....


Auch für das durchschnittliche Publikum des englischsprachigen Senders hielt die Show gut aufbereitete Stories bereit: Da ist der Bördenmakler (Kategorie "unstoppable Indians"), der dafür ausgezeichnet wurde, dass er diesen Beruf als Blinder auf internationaler Bühne ausübt. Seine - viel zu lange - Rede bekam erheblichen Applaus; ein Hinweis darauf, dass sich das Auditorium aus der prosperierenden indischen Mittelklasse zusammensetzte und sich hier gut identifizieren konnte. Genauso enthusiastisch wurde der 16-Jährige und jüngste Mount Everest-Bezwinger abgefeiert, der den Award für Einzelleistungen der unter 17-Jährigen bekam. Nationaler Stolz ließ hier die Brust schwellen wie überhaupt viel von der Nation Indiens und ihrem unbesiegbaren Potential die Rede war.

Aber es wurden auch viele Projekte für Straßenkinder ausgezeichnet, was auf die überdurchschnittlich große Präsenz unmenschlicher Kinderarbeit hinweist, die überall auf den Straßen Indiens so unverändert wie vor 30 Jahren zu sehen ist - unmittelbar gefolgt von Projekten zur Diskriminierung von Frauen und vielleicht als dritter Schwerpunkt innerhalb der elf Kategorien die Initiativen zur Bekämpfung der massiven Umweltprobleme sowie Fortbildungsprogramme für die ländliche Bevölkerung.


Times Now hat seine Hausaufgaben gemacht und eine Art Potpourrie aus Stichworten der Milleniumsziele und entwicklungspolitischen Schwerpunkten zusammengemixt und in das Konzept der Awards verpackt. Alle dürfen sich feiern und sie tun es zumeist vornehm, gekonnt uneitel. Die Politiker, die sich zumindest verbal durch diese Initiative aufgerufen fühlen, ihren Job besser zu machen geben sich gegenüber Times Now fast ein bisschen demütig. Und natürlich drücken auch die meisten der 55 PreisträgerInnen ihren Stolz und ihre Dankbarkeit gegenüber dieser Initiative aus.

Also alles bestens auf dem Subkontinent auf dem Weg ins dritte Jahrtausend? Klar: Solange die Medien als vierte Macht ihren Job so gut macht wie Times Now und private Projekte auszeichnet, die eigentlich Sache der Politik wären - wie die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber Kindern, Frauen und der ländlichen Bevölkerung -, und solange sich die aufstrebenden Schichten zusammen mit den Politikern und Sponsoren so entspannt zurücklehnen können, weil doch im Grunde alles sich von selbst reguliert - solange ist für sie und nur für sie alles in bester, nationaler Ordnung.

Wir sind unter uns, ließ diese Sendung wissen, und wir verstehen uns gut. Es gibt einiges zu tun. Lassen wir es die anderen tun und geben ein paar von ihnen einige Tropfen nützlicher medialer Aufmerksamkeit. Und gibt es nicht noch viele da draußen, deren Engagement hier nicht erwähnt wurde? Ein Satz, der immer wieder fiel in dieser Sendung und ahnen lässt, dass hier ein unerschöpfliches Medienpotential brachliegt, das Times Now im harten Konkurrenzkampf zu anderen Nachrichtenkanälen sicherlich weiterhin zu nutzen versteht.

Abschließend noch zwei Links zur nachrichtlichen Aufbereitung des Events durch Times Now:
http://www.timesnow.tv/13-Amazing-Indians-awarded-1/videoshow/4395675.cms
http://www.timesnow.tv/13-Amazing-Indians-awarded-2/videoshow/4395703.cms

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