Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch
Mit dem Slogan „Ne touche pas à ma constitution“ – „Hände weg von meiner Verfassung“ führten zumeist junge, politisch engagierte Menschen Proteste in allen größeren Städten des Senegal an, um sich dagegen zu wehren, dass der amtierende Präsident Abdoulaye Wade die Verfassung ändert. Demnach hätte ein Stimmenanteil von 25 Prozent im ersten Wahlgang reichen sollen, um zum Präsidenten gewählt zu werden.
Voraus gegangen war den Protesten eine Aktion mit jungen Rappern an der Spitze: „Y en y marre" (Es reicht), bei der vor allem die sehr junge Bevölkerung des Senegal dazu aufgerufen wurde, sich an der kommenden Wahl im Januar 2012 zu beteiligen.
Dabei war Wade selbst es gewesen, der 2001 die Verfassung geändert und die präsidiale Amtszeit auf zwei Perioden von je 5 Jahren beschränkt hatte, sie dann aber auf 7 Jahre pro Amtszeit erweiterte. Wade, 84, war 2000 nach vielen vergeblichen Anläufen zum Präsidenten gewählt worden.
Seine Amtszeit brachte dem Land keine Fortschritte, im Gegenteil: Wade trieb eine harsche Liberalisierung voran, verkaufte die Hochseefischerreirechte an Frankreich und Kanada und machte viele kleine Fischer damit arbeitslos. Große Bauprojekte in der schnell wachsenden Hauptstadt Dakar wie die Mautautobahn von Dakar nach Pikine, der größten Banlieue von Dakar mit ca. 2 Millonen Einwohnern, und Gated Communties mit eigenen Ladenzeilen und eigener Moschee in abgegrenzten, mit hohen Mauern umzäunten Gebieten zeigen das allseits bekannte neoliberale Gesicht der Exklusion.
In letzter Zeit frustrierte der Präsident zusätzlich mit dem gefloppten „Festival des Arts Nègres“ – einer Wiederauflage von Senghor’s Négritude, mit der sich heute kein afrikanischer Intellektueller identifizieren mag. Außerdem spendete er viel Geld für das unsäglich geschmacklose Monument der afrikanischen Wiedergeburt „Le Monument de la Renaissance africaine“.
Die glücklosen Entscheidungen der letzten Zeit ließen sich nicht mehr mit dem großspurigen Auftreten und Wade’s Großprojekten überspielen. Der Präsident hat die Verbindung zu seiner jungen Bevölkerung verloren. Sie hat sich erfolgreich gegen seine Vorbereitungen gewehrt, seinen Sohn, Karim Wade, zum Präsidenten wählen zu lassen.
Es ist mit Spannung zu erwarten, ob die zersplitterte Opposition sich auf einen erfolgversprechenden Gegenkandidaten einigen kann. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht einfach ein Fußballer wie in Liberia – George Weah – oder der kürzlich in Haiti gewählte Popsänger Michel Martelly die leicht zu erringende Sympathie der Jugend gewinnen wird.
Aber die Protestierenden wollen sich nicht auf dem leicht errungenen Sieg ausruhen. Sie haben eine neue Bewegung gegründet, die "Bewegung des 23. Juni". Das zeigt, das sie von den arabischen Revolutionen zu lernen versuchen. Und die neuen elektronischen Kommunikationsmittel haben sich erneut als große Gefahr für maroder Herrschschaftsstrukture ist - wenn die User es verstehen, die Angebote zu politischen Zwecken zu nutzen. Werden auch wie in Ägypten oder Tunesien die Frauen daran teilnehmen und ihre Chance nutzen, patriarchalische Strukturen aufzubrechen?
Hier ein Video über die Rapper von Keur Gui, die die Missstände in ihrer Heimar beklagen. Wertvoll ist das Video auch, weil einige der Wolof-Textzeilen französisch untertitelt sind.
Sonntag, 26. Juni 2011
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Nachtrag Senegal: In den deutschen Medien findet sich kaum ein Hinweis auf die Geschehnisse: Focus Online vermeldet "randalierende Studenten" (mit Video), besser macht es die taz. Am genauesten ist das Neue Deutschland: Hier wird erklärt wie die Wahlrechtsänderung Karim Wade auf den Präsidentensessel verholfen hätte und auch erwähnt, dass die Proteste landesweit stattfanden.
AntwortenLöschenLesenswert ist auch der Beitrag im Guardian.
Hier noch der Link zu Y-en a marre Deklaration vom 27. Juni 2011. (Hat tip Keur Gui).
AntwortenLöschenWade strebt die dritte Amtszeit nach wie vor an (Reuters). Und droht mit harten Polizeieinsätzen, um jede Unbotmäßigkeit im Keim zu ersticken. Die Wahlen sollen im Februar stattfinden.
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