Sonntag, 17. April 2011

Ein perfektes Rezept

Dass Armut die Lebenserwartung der Betroffenen senkt und Gewalt hervorruft, ist mittlerweile unumstritten. Doch mehren sich die Anzeichen. dass schon eine sehr unausgewogene Einkommensverteilung einer Gesellschaft insgesamt erheblichen Schaden zufügt. Zwei sehr unterschiedliche Denkansätze kommen zu diesem Ergebnis.


Den empirischen Weg ist Kate Pickett gegangen, und die Financial Times Deutschland präsentiert ihre Ergebnisse in der Rubrik "Neue Denker". In ihrem auf Deutsch unter dem Titel "Gleichheit ist Glück" erschienenen Buch hat die Spezialistin für Ansteckungskrankheiten (Epidemiologin) anhand der sozialen Wirklichkeit in bestimmten westlichen Ländern eine Reihe von gesellschaftlichen Fehlleistungen ausgemacht, die mit extremer sozialer Ungleichheit zusammenhängen: In den USA, Großbritannien oder Australien ist zum Beispiel die Lebenserwartung niedriger aber die Zahl der Gefängnisinsassen und die der SchulabbrecherInnen höher als etwa in Norwegen oder Japan. Und dabei geht es nicht nur um wenige Prozentpunkte. Ein Interview mit Pickett hat FR online im Angebot.

Nun sollte man glauben, diese Phänomene treffen ausschließlich die Armen, doch weit gefehlt: Auch die Reichen werden in Ländern mit starkem Einkommensgefälle öfter krank und sterben früher. Zudem ist das Vertrauen untereinander und sogar die Innovationskraft geringer. Diese Erkenntnisse sind wichtig, weil sie das Dogma der Marktgläubigen erschüttern, dass ein höheres Einkommensgefälle gut ist, um die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu intensivieren was gesamtgesellschaftlich zu mehr Leistung führen soll.

Wie mehr Gleichheit erreicht wird, ist Pickett dabei ziemlich egal. Mehr Staat ist ihrer Meinung nach nicht zwingend notwendig, wohl aber regulierende Instanzen: Ob Gleichheit - wie in den nordischen Ländern - über Besteuerung der Wohlhabenden und staatliche Transferleistungen erreicht wird, oder ob - wie in Japan - schon die Unterschiede bei den Bruttoeinkommen relativ gering ausfallen, spielt für das Ergebnis kaum eine Rolle.

Die Idee, dass ausgerechnet die (relativ) Reichen unter extremen Einkommensunterschieden leiden, greift auch Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in seinem Blog auf: "Winners as Whiners". Die Argumentation wirkt für Normalverdiener etwas absurd, ist aber aufschlussreich und kann vielleicht einen Teil der Feindseligkeit erklären, mit der eine ganze Reihe unserer so genannten 'LeistungsträgerInnen' auf die Krise reagieren. Da die Einkommen (nicht nur in den USA) in den letzten Jahren umso schneller gestiegen sind je höher sie ohnehin schon waren, haben diejenigen, die zwar viel aber nicht soooo viel verdienen (durchaus zu Recht) das Gefühl, von der Einkommensentwicklung abgehängt zu werden. Und das stimmt, wenn man die 'Einkommensnachbarn' betrachtet, denen es noch besser geht als einem selbst.


Wie der Grafik zu entnehmen ist, hat sich der Anteil des einkommensstärksten Prozents der Amerikaner am Einkommenskuchen zwischen 1988 und 2008 von etwa 12 auf 21 Prozent fast verdoppelt. Die nächsten, etwas weniger wohlhabenden Gruppen müssen sich mit einem in etwa konstant gebliebenen Stück begnügen. Sie haben zwar am allgemeinen Einkommenszuwachs partizipiert, aber darüber hinaus haben ihnen dreißig Jahre Neoliberalismus nix gebracht. Und sogar das reichste Prozent der US-Amerikaner muss ein Gefühl von Ungerechtigkeit haben, denn das reichste Promille hat wiederum ungleich besser abgeschnitten.

Auch wenn es noch mehr gesellschaftlich relevante Gruppen als die Besserverdienenden und "Leistungsträger" gibt: Wenn eine Regierung es sich genau mit den Leuten verscherzt, denen ihre Politik ausdrücklich zu Gute kommen soll, ist etwas faul. Auf diesem Weg wird neoliberale Politik zu einem perfekten Rezept, ein Staatswesen in eine Legitimationskrise zu treiben. Denn viele NormalverdienerInnen und Arme sind sowieso schon stinksauer.

Es wäre zu wünschen, dass Strategen und PlanerInnen in Industrie- und Schwellenländern derartige Erkenntnisse beherzigen, weil sie ihnen auf dem Weg zu einer stabilen und friedlichen Gesellschaft nützen können.

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