Montag, 3. Januar 2011

Entwicklungspolitischer Wiedergänger

Manchmal tauchen als erledigt abgelegte Arbeitsergebnisse als Wiedergänger unvermittelt wieder auf. Dann merkt man einmal mehr, dass bestimmte Bretter in den Bemühungen um eine minimal gerechtetere Weltwirtschaftsordnung wieder und wieder aufgebohrt werden müssen. (Vgl. Scan "Alles neu durch das MAI" unten im Text; zur Vergrößerung bitte anklicken.)

Einem solchen Brett - nämlich den langjährigen Bestrebungen der Europäischen Union, bestmögliche Investitionsbedingungen für ihre Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern durchzuboxen - hat Antje Schultheis sich umfassend und en detail gewidmet.

Sie beschäftigt sich in ihrer Dissertation "Politische Ökonomie internationaler Investitionsabkommen. Diskurs und Forum-Shifting der EU" mit der Frage welche Politik die Europäischen Union betrieben hat und betreibt, um das Thema Investitionsschutz trotz wiederholter politischer Niederlagen nicht nur auf der internationalen Agenda zu halten sondern mittlerweile sogar erfolgreich in den ersten Abkommen zu verankern.

Methodisch nähert sich Schultheis ihrem Gegenstand mittels Diskursanalyse, und sie sichert ihre Erkenntnisse zusätzlich ab, indem sie alle theoretischen und empirischen Voraussetzungen und Grundlagen ihrer Arbeit ausführlich vorstellt. Der Hauptteil der Analyse beginnt damit, dass die Autorin die "Story Lines" darstellt, die die EU nutzt, um den Diskurs um internationalen Investitionsschutz in ihrem Sinne voranzubringen. Hier tauchen drei Argumentationsmuster auf, die (in abgewandelter Form) alle auch zur Legitimierung anderer hegemonialer Projekte herhalten:
  1. Die "Entwicklungs-Story-Line", in der behauptet wird, dass die rechtliche Absicherung ausländischer Direktinvestitonen wichtig für eine nachhaltige Entwicklung ist. Diese Behauptung gründet in der Annahme einer allgemeinen und überaus großen Nützlichlichkeit von Auslandsinvestitionen, die angeblich immer Kapitalzufluss, Infrastruktukturverbesserungen - insgesamt also Wirtschaftswachstum und Entwicklung - nach sich ziehen.
  2. Die "Marktzugangs-Story-Line" in der Investorenschutz zur notwendigen Voraussetzung für Marktöffnung, Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität eines Standortes für Auslandsinvestitionen erhoben wird.
  3. Die "Multilateralismus-Story-Line", in der Multilateralismus als Garant für Transparenz, Vertragsdisziplin und letztlich als Voraussetzung für weiter gefasste Verhandlungen beworben wird. Diese Argumentationsschiene erhält zusätzliche Bedeutung, da die EU sie gleichzeitig zur Legitimation nach innen (gegen die EU-Mitgliedsstaaten) einsetzen kann.
Schultheis lässt einen historischen Abriss folgen: Ausgehend vom EU-Vorgehen in den Verhandlungen über ein Mulitlaterales Investitionsabkommen (MAI) in der OECD spannt sie einen Bogen über die entsprechenden (ebenfalls gescheiterten) Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) bis zu den jüngsten Bestrebungen der EU, Investitionsschutzklauseln in die (Economic Partnership Agreements, EPAs) aufzunehmen. "Forum-Shifting" nennt sie diese Strategie der Union.

Detailliert weist die Autorin nach, wie die Niederlagen der EU (und der USA) in den OECD- und WTO-Verhandlungen zustande kamen und welche Bedeutung dies für die verbliebenen Handlungsoptionen hatte: Da insbesondere die Schwellenländer, in denen die EU ihre Investitionen vor allem geschützt wissen wollte, nicht zu weitreichenden Zugeständnissen bereit waren, wich die Union auf Foren aus, in denen sie den Diskurs erfolgreicher beeinflussen konnte. Deshalb wurde die Diskussion um den Schutz von Investitionen in die EPA-Verhandlungen mit den AKP-Staaten hineingetragen. Denn in diesem Rahmen ließen sich einzelne Verhandlungspartner isolieren und Verhandlingen im regionalen Kontext führen, was die Kräfteverhältnisse zu Gunsten der EU verschob.

Schließlich ergänzt Schultheis ihre historischen Darstellungen um einen aktuellen Teil der auf Interviews fußt, die in Ghana entstanden sind. Hier arbeitet sie heraus, wie die EU das westafrikanische Land unter Druck setzt. Denn Ghana gehört nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern, die das "Everything but arms"-Programm in Anspruch nehmen können. Hätte das Land kein Wirtschaftsabkommen unterzeichnet, hätte es für seine Exporte in die Union Zölle entrichten müssen. Da zudem insgesamt ein Viertel des 10. Europäischen Entwicklungsfonds (für 2008 bis 2013) an die Implementierung von EPAs gebunden ist, spricht Schultheis leider allzu richtig von einer "neue[n] Form der Konditionalitätenproblematik". Neben Ghana haben auch die Elfenbeinküste, Kamerun, Botswana, Swaziland, Lesotho und die Ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) bereits Interim-EPAs unterzeichnet.

Fazit: Keine leicht verdauliche Kost, dafür umfassend und informativ und eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die an der Genese von Weltwirtschafts- und Weltmarktstrukturen wirklich interessiert sind und die vielleicht sogar kompetent an diesem Brett weiterbohren wollen.
"Politische Ökonomie internationaler Investitionsabkommen. Diskurs und Forum-Shifting der EU", von Antje Schultheis, 309 S. 29,90 Euro, Westfälisches Dampfboot

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