Donnerstag, 16. Juli 2020

Destabilisierung in Nordafrika (Teil 1)

Verschiedene Entwicklungen mehren die Unruhe in der gesamten nordafrikanischen Region. Das hat verschiedenste Ursachen, die nicht alle in der Region selbst zu suchen sind. Das gilt auch für die zahlreichen Akteure, die sich - meist ungebeten - einmischen. In diesem Überblick werden wir von West nach Ost vorrücken.

Algerien erlebt seit Februar 2019 die sogenannten Hirak-Proteste, in denen die Menschen mutig und vor allem extrem geduldig eine konstitutionelle Reform und Demokratisierung fordern. Der Ausgang des Kräftemessens zwischen den Menschen und der Oligarchie das immerhin schon zum Ende der  Ära Bouteflika geführt hat, ist immer noch durchaus offen.

Genauso viele Sorgen dürfte den Mächtigen in Algier der Niedergang des Nachbarlandes Libyen bereiten. Mittlerweile scheint die Regierung ein wenig aus ihrer Erstarrung zu erwachen: Der neue Präsident Abdelmadjid Tebboune hat im Juni 2020 seine Vermittlung im libyschen Konfliktgeschehen angeboten (Al Jazeera). Al Jazeera meinte noch im Februar 2020, dass die Diplomatie der "hard power" vorgezogen würde - vor allem auch weil eine Regierung unter Chalifa Haftar ein Abtraum für Algerien sein müsse. Die Instabilität könne durch die kaum kontrollierbare, durch Wüstengebiete verlaufende gemeinsame Grenze leicht Richtung Westen exportiert werden.

Das Chaos in Libyen ist komplett
Denn das Chaos in Libyen ist mittlerweile komplett. Auf der einen Seite steht Haftar, der eine konservative Linie des Islam vertritt und der maßgeblich von Russland aber auch von Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten und vom benachbarten Ägypten unterstützt wird (dazu weiter unten mehr). Auf der Gegenseite steht die als moderat geltende international anerkannte Regierung der Nationalen Einheit (GNA) in Tripolis. Sie wird vor allem von der Türkei unterstützt, die Mitte des 2020 auch den Vormarsch von Haftar auf Tripolis beendet hat. Damit steigt Ankara nach rund 100 Jahren Pause wieder in Nordafrika ein - Libyen hatte immerhin Jahrhunderte lang zum ottomanischen Großreich gehört.

Al Jazeera hat Anfang 2020 eine Übersicht über diese illustre Kriegsparteienlandschaft veröffentlicht, in der noch Saudi Arabien, Sudan/Jordanien an der Seite Haftars genannt werden. Katar unterstützt demnach die GNA diplomatisch und die USA gucken - mittlerweile - vom Seitenaus zu. Einzig Italien - von 1912 bis 1943 Kolonialmacht in dem nordafrikanischen Land - verhält sich (mittlerweile) neutral, hat es aber bisher nicht geschafft, zu vermitteln. Und die Europäische Union? Verurteilt zwar den Alleingang Italiens hält andererseits aber an dem Krieg als Test für eine "geopolitische Europäische Kommission" fest ...

Der Anlass für dieses bunt gemischte "Engagement" ist vor allem darin zu suchen, dass die genannten Länder sich Zugriffen auf Lagerstätten von Öl und Gas und/oder Einflusssphären sichern wollen. Die Türkei strebt unter Anwendung verschiedener Formen von Gewalt eine Ausdehnung ihres Machtbereiches im Mittelmeer an. Ziel ist vor allem die wirtschaftliche Nutzung der Gaslagerstätten vor Zypern, denn Ankara erhebt Ansprüche auf den nördlichen Teil der Insel. Doch auch in Libyen gibt es eine Menge Öl - und ein Zugriff darauf und ein oder zwei Militärbasen vor Ort kämen den Strategen in Ankara wohl ganz gelegen. Festzuhalten ist aber auch: Die Türkei führt damit Kriege in drei Ländern - neben Libyen auch in Syrien, (2) und im Irak - nicht eingerechnet das mögliche "Engagement" in Jemen.

Last not least muss hier noch auf die leidige Rolle Frankreichs hingewiesen werden. Als eine der treibenden Kräfte bei dem Angriff auf Libyen im Jahr 2011 hatte Paris Italien brüskiert und war seit 2015 dazu übergegangen Haftar zu unterstützen. Damit trampelte Paris nicht nur weiter auf italienischen Befindlichkeiten herum, sondern ignorierte auch die Position der EU, die die GNA-Regierung in Tripolis anerkannt hatte und unterlief die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen. Politico hat diesen Teil des Elends gut zusammengefasst. Unlängst hat man es offensichtlich sogar auf eine Konfrontation mit der Türkei (Telepolis) ankommen lassen. Jetzt, wo deutlich wird, dass Haftar wohl doch nicht der nächste starke Mann in Tripolis werden wird, springt Paris - zumindest offiziell - ab und kritisiert das Eingreifen des ehemaligen Verbündeten vor Ort, Russland (MEMo).

Dass derlei Eskapaden wichtiger Mitgliedsstaaten auch die NATO nicht unberührt lassen, versteht sich von selbst. Offizielle Unternehmungen muss das Bündnis einstimmig beschließen - damit sind Aktionen ausgeschlossen, die den Interessen Ankaras zuwiderlaufen. Die Uneinigkeit in der EU ist mit Händen zu greifen, weshalb weder das militärische noch das diplomatische Eingreifen Brüssels Erfolge zeitigt. 

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