Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch
Die Strukturen des Sklavenhandels in Old Calabar, Nigeria
Das Komplott und die Verschleppung der Prinzen von Calabar
Der transatlantische
Sklavenhandel wurde zur größten Zwangsumsiedlung der Menschheit, bei der schätzungsweise elf Millionen
Menschen zwischen dem 17.und 18. Jahrhundert in die Neue Welt und nach Europa verschleppt wurden. Dieses immense
Ausmaß konnte von den Opfern naturgemäß kaum dokumentiert werden. Dennoch gibt es einige
wenig bekannte, spärliche Zeugnisse von Betroffenen.
In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen Folgen möchte ich einige dieser Zeugnisse vorstellen. In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit und ihrer unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts beleuchten. Nicht zuletzt begreift man über sie die tiefgreifenden und verstörenden Veränderungen, die sich in den westafrikanischen Königreichen durch Sklavenhandel vollzog.
Wer eine Einführung in das Thema wünscht, sei auf diesen sehr aufschlussreichen Animationsfilm von Anthony Hazard verwiesen:
Die Prinzen von Calabar - Teil 1
“Die Prinzen von Calabar“ heißt
das Buch des Historikers Randy J. Sparks aus New Orleans. In ihm beschreibt er seinen zufälligen Fund eines Briefwechsels
von zwei versehentlich verschleppten afrikanischen Sklavenhändlern bei ihrem
verzweifelten Kampf um ihre Befreiung. Sparks hat diesen Briefwechsel
historisch aufgearbeitet und kommt dabei zu atemberaubenden Schlüssen. Sie
beleuchten nicht nur das transatlantische Geflecht des afrikanisch-europäischen
Sklavenhandles, sondern auch die beginnende Antisklaverei-Bewegung in Bristol.
Dort beginnt der Briefwechsel zwischen den beiden Prinzen und den Brüdern Charles
und John Wesley. Die Wesley-Brüder gehörten der Methodistenkirche in Bristol an,
die zusammen mit der Quäkerbewegung die Sklaverei als verbrecherische Sünde
ablehnten und sich für die Befreiung der beiden Prinzen einsetzten. In seinem
Buch rekonstruiert er anhand der Briefe die Geschichte der Verschleppung und
Befreiung der beiden afrikanischen Sklavenhändler Ephraim und Ancona Robin
Robin-John.
Die Strukturen des Sklavenhandels in Old Calabar, Nigeria
Ephraim und Ancona Robin
Robin-John waren um 1750 Bewohner der heutigen nigerianischen Küstenregion, der
Bucht von Biafra, und als solche den Kontakt mit britischen Handelsleuten
gewohnt. Als Mitglieder einer der führenden Herrscherfamilien trugen sie den
Prinzentitel und waren äußerst gebildet. Sie sprachen ein vereinfachtes
Handelsenglisch mit englischem Wortschatz und afrikanischer Grammatik, das sich
im Laufe des Sklavenhandels herausgebildet hatte. Überdies konnten sie sich
elegant und angepasst in der Gesellschaft britischer Handelsleute und Kapitäne
bewegen. Sie waren selbstbewusst und stolz auf ihren Umgang mit den Briten und dazu
äußerst geschickte Handelspartner. Es war gar keine Frage, dass man ihnen auf
Augenhöhe zu begegnen hatte.
Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation celtique, Bibracte, Frankreich. Quelle.Urban/wikimedia. |
Großkönig George, wie sich ihr
Oberhaupt im noch nicht kolonialisierten Nigerdelta nannte, war besessen auf
europäische Waren und ahmte zudem britisches Hofgebahren und deren
Herrschertitel nach. So hatte er sich selbst den Fantasie-Titel des Großkönigs
gegeben. Im Laufe des 18. Jahrhunderts blühte der Sklavenhandel richtig auf und
brachte ihm erheblichen Reichtum und Machtzuwachs ein. Der Handel mit den
Kapitänen der britischen Schiffe, die saisonal an der Küste anlegten, war
vielfältig. Die Schiffe mussten zunächst mit Nahrungsmittel versorgt werden. Denn
mit der Beschaffung der Sklaven wurde erst nach genauer Bestellung begonnen, was
die Besatzung der Schiffe dazu zwang, monatelang am Cross River auf Reede zu
liegen, was dem Großkönig und seiner Handelselite zusätzlichen Gewinn. Denn zur
Selbstversorgung mussten die Schiffsbesatzungen die landwirtschaftlichen
Produkte der Region kaufen, um sich während der langen bis zu drei Monate
währenden Wartezeit zu ernähren. Während dieser Wartezeit wurde das Schiff
umgebaut und mit den bekannten engen Zwischendecks ausgestattet, um möglichst
viele Sklaven aufnehmen zu können.
In dieser Zeit gab es zwischen
den Chiefs und den Kapitänen mächtige Gelage allerfreundschaftlichster Art bis
hin zum Austausch von Geschenken. Die Briten gewährten einigen Händlern Kredit,
die ihnen dafür ihre Söhne als Unterpfand mitgaben. Sie sollten diese auf ihrer
Fahrt in die Neue Welt und nach England mitnehmen und ausbilden, wo sie bei der
nächsten Überfahrt wieder ausgelöst wurden.
Am Unterlauf eines Flusses
gelegen, der ins Hinterland führte und beste Bedingungen zum Kauf oder Raub von
Menschen bereitstellte, bot die Siedlung von Großkönig George außerdem den
Vorteil des Erstkontakts mit den neuangekommenen Schiffen. Ein Lotse navigierte
die Schiffe – oft mehrere bis zu neun Handelsfrachter – den Flusslauf hinauf.
An jeder Station mussten Abgaben bezahlt werden, was neben den erhöhten Preisen
für die Sklaven im Laufe der Jahre zu immer mehr Verstimmungen bei den
britischen Handelspartnern führte. Nach einem zeremoniellen Empfang begann das
teils zähe Aushandeln der Geschäfte. Eine ausgeklügelte Arbeitsteilung startete
daraufhin mit der Beschaffung der Menschenware. Mit dem Sklavenhandel begann
der neue Wirtschaftszweig der “Kanuhäuser“.
An anti-slavery map with an unusual perspective centered on West Africa, which is in the light, and contrasting the U. S. and Europe in the dark, wikimedia |
Schnelle bis zu hunderten von gut
ausgebildeten Arbeitskräften, die quer zu Verwandtschaftsbeziehungen und
Ethnien nur durch Leistung zu gesellschaftlichem Aufstieg fanden, paddelten die
Kanus durch die Flussläufe. Dort trafen sie die Ethnie der Aros, die über
ausgebildete, im Laufe des Geschäfts immer besser bewaffnete Söldnertruppen
verfügten. Sie kauften die Sklaven den am Ufer liegenden Dörfern ab - in der
Nacht überfielen sie allerdings andere Dörfer und raubten Menschen, was mit dem
zunehmender Nachfrage immer häufiger nötig wurde. Dieser Ablauf der Geschäfte bedingte,
dass die Händlerdynastie von Großkönig George die Regie des Austauschs der
menschlichen “Ware“ fast komplett kontrollierte. Hierzu schreibt Sparks:
Für die Zeit zwischen 1725 und 1750 ist in Old Calabar der Export von 17.000 Sklaven nachgewiesen. In den Folgejahren weitete sich der Handel dramatisch aus: Zwischen 1750 und 1775 waren bereits über 62.000 Menschen auf den Sklavenschiffen eingepfercht. Insgesamt sind während des 18. Jahrhunderts fast 1,2 Millionen Bewohner von Old Calabar aus dem Einzugsgebiet des Cross River und des Niger verschleppt worden.
Einige dieser Sklavenverkäufe
dienten den Dorfgemeinschaften zur Entsorgung unliebsamer Außenseiter und
Krimineller. Andere verkauften sich selbst, um dem Hungertod zu entgehen oder
wurden von ihren Familien aus Not verkauft. Sklaven waren in Old Calabar und
auch vielen anderen afrikanischen Gegenden nicht fremd. Sie waren Bestandteil
reicherer Familien, konnten aber durch Arbeit aufsteigen und sich freikaufen.
Ihr Verhältnis zu ihren Besitzern war oft herzlich, fast familiär. Sklaven
konnten sogar selbst wieder Sklaven besitzen und diese für sich arbeiten
lassen.
Das Cover des Buches "Die Prinzen von Calabar von Randy J. Sparks. |
Old Town des Großkönigs George
wuchs durch den Handel mit den britischen Seeleuten zu beträchtlichem Reichtum
auf, was die Begehrlichkeit der anderen großen Kaufmannsfamilie, den Dukes, am
oberen Flusslauf weckte. Sie wollten ihren Anteil an diesem lukrativen Geschäft
und setzten schließlich eine neue Ansiedlung namens New Town direkt vor die
Nase der alten, um als erste an die Neuankömmlinge heran zu kommen. Sie nutzten
ihre Kontakte mit den Briten, um die Herrscher von Old Town aus dem
Sklavengeschäft zu verdrängen. Dazu schmiedeten sie mit Kapitän James Berry aus
Liverpool einen Komplott. Dieser hatte sich schon länger über die Robin-Johns
beschwert, weil sie die Preise wie auch den Ablauf des Geschäfts weiter nach
ihren Gesetzen bestimmen wollten und selbstbewusst genug waren, ein Geschäft wegen
zu niedriger Preise abzulehnen. Die Einhaltung der Geschäftsregeln überwachte eine
Geheimgesellschaft, die zunächst von der Handelselite des Großkönigs bestimmt
wurde. Sie bestrafte säumige Schuldner - auch die der eigenen Leute, bestrafte
bei nicht zurückgezahlten Krediten und sprach die Preise ab, die nicht
unterboten werden durften.
Bei dieser durchorganisierten
Form des Geschäfts gelang es den Briten nicht - wie an manchen anderen
Küstenorten Afrikas - eigene Handelsniederlassungen zu errichten. Sie mussten
sich den Regeln ihrer afrikanischen Partner unterwerfen. In dieser
Geheimgesellschaft hatten die Dukes mit zäher Geduld und strategischem Geschick
über die Jahre immer mehr Einfluss gewonnen. Der Unmut vieler Kapitäne über die
Arroganz der Efik-Ethnie und die seit langem ausgeklügelten Bündnisse der Dukes
mit den Briten führte zwischen ihnen und den Briten zu einem folgenreichen
Komplott. Von den neun Schiffen, die zu dieser Zeit in der Bucht lagerten,
waren sieben Kapitäne bereit, nach den Plänen der Dukes die gesamte
Handelselite des Großkönigs in einen Hinterhalt zu locken: Sie sollten ihn mit
seiner Entourage auf die Schiffe einladen, um dann am nächsten Tag mit den
Dukes zusammen zu treffen unter dem Vorwand, die Querelen zwischen den beiden
Handelshäusern endlich beizulegen, die die Geschäfte aller Beteiligten zunehmend
belasteten. Arglos und von seiner Bedeutung erfüllt, weil er schon vor ihren Konkurrenten
über Nacht zu den Schiffen geladen wurde, ging Großkönig George mit fast 400
Mann an Bord, um am nächsten Tag von den hochbewaffneten Dukes gemeinsam mit
der britischen Besatzung fast vollständig abgeschlachtet zu werden.
1898 Map of the Niger Delta, Harold Bindloss / wikimedia |
Während der Großkönig schwer
verletzt entkommen konnte, misslang den beiden Prinzen Ephraim und Ancona die
Flucht von Bord. Sie wurden als Gefangene nach Virginia verschleppt und
dort als Sklaven verkauft. Damit konnten sie die Grausamkeit der Überfahrt und die
unerträgliche Behandlung der Sklaven an Bord buchstäblich am eigenen Leib
erfahren. Allerdings fühlten sie sich diesen Menschen keineswegs ebenbürtig. Sie
waren ja nur aus Versehen in diese Lage geraten und wussten außerdem genau, was
sie erwartete, während die ‘echten‘ Sklaven vor Angst wie gelähmt waren. Einige
von ihnen begingen Selbstmord oder verweigerten die Nahrung, weil viele von
ihnen glaubten, sie würden von den Weißen geschlachtet und verzehrt. Die beiden
Prinzen konnten wegen ihrer Sprachfertigkeit und ihrer Umgangsformen -
schließlich waren die Besatzungsmitglieder ihnen bestens bekannt - vermutlich
eine Sonderstellung erreichen, obwohl es ihnen nicht gelang, dass man ihnen
glaubte.
Fortsetzung hier.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen