Montag, 18. Januar 2016

Was erlauben Erdöl?

Eine gute und umfassende Analyse der Ölpreisentwicklung und (versteckter) politischer Risiken eines dauerhaft niedrigen Ölpreises bietet The Nation. Hat tip Telepolis.
(Darin wird u.a. übrigens die These vertreten, dass die Abwahl der bolivarischen Regierung in Venezuela auch auf die durch den eingebrochenen Ölpreis heftig gesunkenen Staatseinnahmen zurückzuführen ist, die das Ende der chavistischen Subventionen für die Ärmeren eingeläutet hätten. Vgl. auch G-News dt.)
Aber angesichts des Klimawandels und der damit verbundenen Anstrengungen muss die Nachfrage nach dem Schwarzen Gold doch auch langfristig zurückgehen, oder? MediaWatch ist nicht so optimistisch wie die FAZ. Wir halten den - ja doch sehr lückenhaften - Umbau der Energieversorgung in einigen Industrieländern und die Divest-Bewegung nur für sekundäre (vgl. Grafik oben) beziehungsweise marginale Ursachen für den Ölpreisverfall. Eher spielt unser Meinung nach der Einsatz von Kernenergie, Kohle (vor allem in Indien und China oder in Südafrika aber auch Deutschland) und der gestiegene Erdgasverbrauch (vor allem in Europa) eine Rolle bei der Begrenzung des Ölverbrauchs (vgl. Grafik unten).
Wollte man Ernst machen mit der Minderung des Erdölverbrauchs müsste gerade jetzt sofort eine - vielleicht temporäre - CO2-Steuer eingeführt werden. Der Vorschlag von Finanzminister Wolfgang Schäuble, nur Benzin zu besteuern, greift zu kurz. Dennoch ist es der erste zumindest halbwegs sinnvolle Vorschlag von diesem verqueren Mann, an den sich die Redaktion überhaupt erinnert.

Doch MediaWatch fragt sich vor allem, welche Auswirkungen der niedrige Preis wohl auf die Erdöl produzierenden Länder Afrikas haben wird - namentlich Algerien, Angola, Ghana, Kamerun, Kenia, Libyen, Nigeria, Sudan und Südsudan sowie Tschad.
Auch der staatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras dürfte in Schwierigkeiten sein, denn die dortigen Vorkommen liegen unter dem Meer und sind schwierig und teuer zu fördern.

Und da Brasilien auch der weltgrößte Hersteller von so genannten "Biosprit" (Alkohol aus Zuckerrohr) ist, schließt sich nahtlos die Frage an, was denn gerade auf diesem und auf dem Palmölmarkt passiert. Denn derzeit gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die Preise für das Schwarze Gold eine ganze Weile ziemlich niedrig bleiben werden (vor allem weil die Förderkapazitäten und -mengen wohl übergroß bleiben (1), (2)). Für die Entwicklung an deutschen Zapfsäulen hat Zeit Online die Auswirkungen schon vor einem Jahr beschrieben. Da lag der Ölpreis aber bei 50 US-Dollar. Jetzt durchbricht der Preis gerad die 30-Dollar-Marke; und zwar nach unten....

MediaWatch hatte das Thema Biosprit schon 2012 einmal aufgegriffen, als die Diskussion "Tank oder Teller" tobte. Im Frühjahr 2015 beschloss die EU dann eine teilweise Abkehr von der Biosprit-Beimischung und eine stärkere Förderung der Biosprit-Herstellung aus Abfällen und Resten ("2. und 3. Generation") (Entwicklungspolitik Online, vgl. auch Weltagrarbericht).

Wir sind überzeugt, dass es den Landwirten - ob mit oder ohne Subventionen - unter den aktuellen Bedingungen kaum mehr gelingen kann, Biomasse (zur energetischen Verwendung) zu konkurrenzfähigen Preisen anzubieten - und zwar weltweit. Sehr gut ist die preisliche Abhängigkeit zu sehen, wenn man die Entwicklung des Palmölpreises (Crude) mit dem Ölpreis (Brent) über die letzten zehn Jahre vergleicht. Damit dürften viele Betreiber von Palmölplantagen mittelfristig wohl in Schwierigkeiten geraten. Und so könnte sich eine der weltweit größten Umweltkatastrophen der letzten 20 Jahre jetzt wohl auch für die Verantwortlichen als fast ebenso verheerend herausstellen, wie für die Millionen Betroffenen.

Doch allen, die jetzt glauben, nun werde die Bekämpfung des Hungers einfacher, muss hier leider entschieden widersprochen werden. Hunger ist und bleibt zuallererst eine Funktion des Einkommens. (Vgl. auch MediaWatch (1), (2), (3), (4), (5), (6) bis (7).) Unser Kronzeuge bleibt der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen:
Widespread hunger in the world is primarily related to poverty. It is not principally connected with food production at all. Indeed, over the course of the last quarter of a century, the prices of the principal staple foods (such as rice, wheat etc) have fallen by much more than half in 'real' terms. (...)
The demand for food is restrained mainly by lack of income. And the same factor explains the large number of people who are hungry across the world. Given their income levels, they are not able to buy enough food, and as a consequence these people (including their family members) live with hunger.
(...) Incomes can be expanded both by policies that raise overall income and also by redistributive policies which provide employment, and thus tackle one of the principal reasons for hunger (...)

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