Freitag, 24. April 2015

"Photographs of Rural India"
- eine Ausstellung von Jyoti Bhatt in Mumbai

Der Fotograf Jyoti Bhatt (2), (3) ist zweifellos ein Meister seines Fachs. Seine Fotos  zum ländlichen Indien der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre waren in der Stiftung Tasveer in Mumbai zu sehen, die die Hälfte ihrer Räumlichkeiten der Ausstellung den Fotografien Bhatts widmete und diesen temporären Kunstraum Artisans  nannte.
Jyoti Bhatt: "A woman drawing a manadana design", Rajasthan, 1980
Alle Fotos sind in schwarz-weiß. So hat Jyoti Bhatt unter anderem die kontrastreichen und kunstvollen Kolams fotografiert, Ornamente, die in großen Teilen Indiens mit weißem Pulver auf dem Boden gestreut werden. In Gujarat und Rajasthan, wo Bhatt Zugang zu den Innenhöfen der Häuser und ihrer Bewohner bekam, gab es offensichtlich eine ausgedehnte Kultur dieser Ornamentik auch als Wandmalerei. Diese kunstvolle Ausgestaltung des Alltags und der teils sehr karg wirkenden Behausungen war und ist bis heute den Frauen vorbehalten, und sie sind wahre Künstlerinnen darin.
Jyoti Bhatt: “Durga, Mithiula“, 1977
In ihrer auf das Haus beschränkten Sphäre war dies ihre ihnen zugeteilte Rolle – erst recht vor 40 bis 50 Jahren –, die ihnen aber auch eine eigene Entfaltungsmöglichkeit beließ. Wie scheu sie sich der Kamera zeigen oder sich vor ihr verstecken, kann man fast allen  Fotos ansehen.
Jyoti Bhatt: “Two tribal women selling
vegetables in a small town bazaar”

Gujarat 1968


Bei den überwiegend weißen oder schwarzen Kleidern der Frauen, der kargen Schönheit der Innenhöfe, die der Armut geschuldet ist, kommt die Schwarz-Weißfotografie  mit  ihren Motiven kongenial zusammen. Sie wirken in der Megacitiy Mumbai so exotisch wie von einem anderen Kontinent. Ländliches Indien als harte Arbeit – fast immer auch Kinderarbeit - und Schulden bei den Großgrundbesitzern, kommen hier allerdings nicht vor.
Jyoti Bhatt:
“A young boy and three girls oft the Chamar community,Kutch”,
Gujarat 1975


Jyoti Bhatt: ohne Angaben, Rajasthan
Ochsen als Pflugtiere gibt es heute kaum mehr, entsprechend sinkt die Wertschätzung für die Arbeitstiere, die einige Fotos noch zum Ausdruck bringen. Das ländliche Leben, das Bhatt zeigt, ist den Verwerfungen der industrialisierten und globalisierten Landwirtschaft weitgehend zum Opfer gefallen. Über die vielen Selbstmorde der Bauern, (2), (3), die ihr Saatgut nicht mehr bezahlen konnten, deren Ernteeinträge sich nicht mit den Versprechungen der Agrarhändler deckten, wurde vielfach berichtet. Und nicht zuletzt ist gerade die Metropole Mumbai oft die letzte Zuflucht arbeitsloser Bauern. Man kann sie unweit der Galerie als Obdachlose auf den Bürgersteigen antreffen. 
Jyotti Bhatt:
"A woman decorating a bullock for the Gordhan festival"Rajasthan 1989
Immer mehr landwirtschaftliche Arbeit wird inzwischen saisonal von landlosen Bauern übernommen, die als Wanderarbeiter meist direkt an ihrem Arbeitseinsatz auf den Feldern oder am Rand der Städte in Plastikzelten kampieren, oft zusammen mit ihrer ganzen Familie. Natürlich übernehmen sie auch jede andere Arbeit an, wie zum Beispiel am Bau, in Fabriken oder in den Steinbrüchen. Die Würde des dörflichen Lebens mit ihren Ritualen und Bräuchen wie sie sich in den Fotos zeigen, ist tatsächlich Vergangenheit.
Jyoti Bhatt:
“A Brahmin boy selling 'Juwar'
(food.grain)in a temple compound at Probandar)”
,
Gujarat 1977 (Ausschnitt)
Aber angesichts des Kunsthypes in den Megacities,  die sich so gerne als Zentren der Kultur  sehen, sind diese Fotos Zeugnisse einer anderen, noch bis vor Kurzem authentisch gelebten Kultur. Auch wenn sie zusammen mit teuren Designstoffen, kostbar gewebten Saris und edlem Kunsthandwerk präsentiert werden, täuscht das nicht darüber hinweg, dass das Eine mit dem Anderen nur wenig zu tun hat;  auch wenn beides - gegenseitig - zum Kauf stimulieren soll. 
Jyotti Bhatt: "A young calf"
Gujarat tribal region, 1979
Text und Fotos: Ina Zeuch

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