Mittwoch, 17. Oktober 2012

Die IWF-Theoretiker wachen auf

"Multiplikator bisher falsch berechnet", überschreibt der ORF einen Bericht über den aktuellen World Economic Outlook des IWF "Coping with high debt and sluggish growth". Darin heißt es:
Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird seit vielen Jahren immer wieder massiv wegen seiner harten Sparauflagen kritisiert, die er zur Bedingung für Milliardenkredite an überschuldete Länder macht. Von „Kaputtsparen“ ist dabei häufig die Rede.
Der ORF erwähnt es nicht - aber insbesondere in Afrika hatte die so genannte "Strukturanpassungspolitik" (ausführlicher INEF) verheerende Auswirkungen. Regelmäßig wurden die angeblich zu hohen Staatsausgaben beschnitten und Einnahmequellen wie Staatsbetriebe privatisiert oder - wie Zolleinnahmen - abgeschafft.

Was 30 Jahre gescheiterte Entwicklungspolitik und eine Entwicklung in China, die allen neoliberalen Glaubensätzen Hohn spricht, nicht vermochten, gelingt nun angesichts der Produktivitätsdifferenzen im Euroraum (vulgo "Euro Krise"). Die IWF-Theoretiker wachen auf. Der ORF schildert das so:
Doch in seinem jüngsten globalen Wirtschaftsausblick, den der Fonds vor wenigen Tagen in Tokio präsentierte, vollzieht Chefökonom Olivier Blanchard eine Kehrtwende. Versteckt in einer Fact-Box kommt der IWF in dem Bericht (Seite 41 bis 43, Anm.) zum Schluss, dass übermäßiges Sparen das erklärte Ziel, die Schulden in einem überschaubaren Zeitraum zu verringern, verfehlt. (...)
Demnach ging der Fonds in der Regel von einem fiskalpolitischen Multiplikator von 0,5 aus.
Das bedeutet, dass die Wirtschaft um einen halben Prozentpunkt schrumpft, wenn der der Staat Ausgaben in Höhe von einem Prozentpunkt des Bruttonationaleinkommens (BNE) einspart. Das klingt sehr technich, hat aberweit reichende Bedeutung für den Umgang mit staatlicher Verschuldung. Die Neue Zürcher Zeitung erklärt, warum:
Beträgt der fiskalische Multiplikator nicht wie bisher verwendet 0,5 (...), sondern bewegt er sich in Wahrheit in einer Bandbreite von 0,9 bis 1,7, dann rücken Austeritätsprogramme in ein neues Licht.
Die Folgen sind wesentlich problematischer, als bisher angenommen. Bei einer Staatsquote von 40 Prozent würden Einsparungen von 2,5 % des Haushaltes 1 % des BNE entsprechen. Hatte man bisher geglaubt, für Einsparungen in dieser Höhe nur 0,5 Prozent Wirtschaftskraft opfern zu müssen, können es jetzt bis zu 1,7 Prozent werden. Das ORF dazu:
Immer wieder warnten (...) zahlreiche Ökonomen davor, dass der IWF mit harten Sparauflagen letztlich das Gegenteil von dem erreiche, was er anstrebt: nämlich eine Verschärfung der Schuldenkrise durch ein Abwürgen der Konjunktur. Nun hat auch der IWF eingeräumt, dass zu harte Sparauflagen eine gefährliche Abwärtsspirale aus Sparen, weniger Wachstum, weniger Steuereinnahmen und dadurch verschärftem Sparzwang auslösen.
Was beide Zitate unterschlagen: Gespart wird bekanntlich immer im Sozial- und Gesundheitsbereich, bei der Bildung und bei den Renten. Da ist es immens wichtig, dass der IWF endlich zugibt, dass Sparen nicht nur unwirksam sein kann sondern sogar schädlich.

Wie viel Leid und Elend wäre den Entwicklungsländern in den letzten 30 Jahren erspart geblieben, hätten die IWF-Ökonomen ihre Modelle schon ein wenig eher überprüft. Hoffen wir, dass der IWF diesem Kurswechsel nun auch Taten folgen lässt und neue wirtschaftspolitische Maßnahmenbündel für Krisensitutionen entwirft.
Hat tips Nachdenkseiten und Andreas aus Karlsruhe.

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