Freitag, 21. September 2012

Vom Erz zum Auto - die Perspektive kolumbianischer NRO

Ein Gastbeitrag von Fabio Velásquez.

Auf dem Hearing und beim Fachgespräch zur Vorstellung der Studie "Vom Erz zum Auto" stellte mit anderen NRO-Vertretern aus Brasilien, der DR Kongo, Kamerun und den Philippinen auch Fabio Velásquez, Geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung "Foro Nacional por Colombia", die Perspektive des Südens am Beispiel der Entwicklung des Bergbausektors in Kolumbien dar. Sein Bericht ist im Folgenden dokumentiert, und er illustriert sehr anschaulich, dass die NRO-AktivistInnen im Süden sich keineswegs auf die Lobbyarbeit ihrer KollegInnen im Norden verlassen, sondern dass sie sehr aktiv sind, wenn es um die Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten auch gegen die Interessen bedeutender Industriezweige vor Ort geht. Die Übersetzung aus dem Spanischen verdanke ich Wolfgang Kaiser von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst, der auch die Wiedergabe des Berichts im MediaWatchBlog ermöglicht hat.


"Ungebremster Boom im Erdöl- und Bergbausektor
Vieles spricht dafür, dass in Kolumbien der Boom im Erdöl- und Bergbausektor ungebremst weiter gehen wird. Das Land verfügt über große Rohstoffvorkommen, und hohe Weltmarktpreise machen ihre Ausbeutung attraktiv. Die Politik fördert die Expansion des Bereichs, die Gesetzgebung kommt den Interessen von Privatinvestoren entgegen, und es gibt viele in- und ausländische Firmen, die mit legalen oder auch illegalen Mitteln Gewinne erzielen wollen.

Die Bedeutung des extraktiven Industriesektors für die derzeitige und künftige Entwicklung in Kolumbien ist unübersehbar. 2009 trug er neun Prozent zum Bruttoinlandsprodukt und 65 Prozent zum Export bei. Im selben Jahr nahmen Öl- und Bergbauaktivitäten drei Viertel der von Auslandsfirmen in Kolumbien neu getätigten Investitionen auf - inzwischen sind es mehr als drei Mrd. US-Dollar. Die Produktion von Steinkohle, nickelhaltigen Erzen, Gold und weiteren Rohstoffen steigt. 2020 soll fast doppelt soviel Steinkohle gefördert werden wie in 2010 (und u.a. in Deutschland verstromt werden). Für Gold wird mit einem Wachstum von sechs Prozent pro Jahr gerechnet.

Kein Wunder, dass die Regierung in Bogotá vom extraktiven Sektor als "Lokomotive" spricht, die das - bisher durch große soziale und regionale Ungleichheit und hohe Gewalt geprägte - Land in Richtung Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Frieden ziehen und dem Staatssäckel Einnahmen durch Royalties, Steuern und Gewinne der Staatsbetriebe bescheren soll. 15 Mrd. US-Doller erlöste der Staat 2011 durch den Öl-und Bergbausektor; 2021 sollen es 24 Mrd. sein.

Dem Aufschwung des Rohstoffsektors stehen allerdings zwei andere Entwicklungen gegenüber. Der Staat ist institutionell weiterhin kaum in der Lage, diesen Wirtschaftsbereich zu regulieren und so zu steuern, dass er menschliche Entwicklung nachhaltig fördert. Zudem werden die Folgen der Ausbeutung der Rohstoffe immer deutlicher.

Folgen der Rohstoffausbeutung:
  • Die großflächige Förderung von Mineralien oder Öl führt an vielen Orten zu massiven Protesten, wenn eine nicht-umkehrbare Zerstörung der Natur befürchtet wird und Probleme mit der Wasserversorgung drohen.
  • Auseinandersetzungen gibt es zudem um die Nutzung von Land und Wasser für Landwirtschaft oder für Bergbau und um die Verteilung der Staatseinnahmen. Im Mittelpunkt weiterer Konflikte stehen etwaige Umsiedlungen, die Wirkungen auf regionale Arbeitsmärkte, auf Gesundheit und auf soziale Netze.
    Dabei geht es nicht nur um unterschiedliche Entwicklungswege, sondern auch um den Ablauf der Prozesse der Entscheidungsfindung. Wie oberste Gerichtshöfe bereits feststellten, werden Mitspracherechte verletzt, die zum Schutz indigener oder afro-kolumbianischer Gemeinschaften bestehen.
  • Der extraktive Sektor ist eher kapital- als arbeitsintensiv. Gerade einmal 1,5 Prozent der Beschäftigten Kolumbiens finden einen Job in der Branche. Viele Kleinbauernfamilien verlieren durch Tagebauvorhaben ihre Existenz, doch neue Arbeitsplätze sind rar und setzen oft Fähigkeiten voraus, die sie nicht haben.
  • Die Gewinne, die derzeit mit Metallen zu erzielen sind, begünstigen die Ausweitung des informellen Bergbaus. Hier wird oft mit Mitteln gearbeitet, die für Mensch und Umwelt gefährlich sind. Hinzu kommen große oder kleine Unternehmen, die illegal arbeiten - ohne Konzessionen, ohne jedwede Kontrolle und ohne Abgaben an den Staat. Daten und Studien dazu gibt es bisher kaum.
 Institutionelle Schwächen:
  • Es gibt keine einheitliche kolumbianische Politik zur Nutzung von Naturressourcen und auch keine Instanz, die eine kohärente Umsetzung politischer Vorgaben sicherstellt. Von den Ministerien für Bergbau/Energie und für Umwelt oder für Landwirtschaft werden unterschiedliche Prioritäten gesetzt und oft widersprüchliche Entscheidungen gefällt. Ein diskussionsfähiger oder verlässlicher Rahmen zu den Zielen, Bedingungen und Grenzen des Abbaus nicht-erneuerbarer Rohstoffe fehlt.
  • Häufige Umstrukturierungen im Staatsapparat führen dazu, dass Zuständigkeiten wechseln und sich Referenzpunkte und Ansprechpartner für Dialogprozesse ändern. Unzureichendes Personal und geringe Finanzmittel verhindern, dass die Behörden, die Kontrollfunktionen wahrnehmen sollen, eine kontinuierliche Datensammlung und ein effektives Monitoring leisten.
  • Der Rechtsrahmen (Código Minero) ist dafür geschaffen worden, private Investitionen in den Bergbau zu lenken, nicht aber, um natürliche Ressourcen zu schützen oder die Entwicklung der Regionen zu fördern, in denen Vorhaben ausgebeutet und die bisherigen Strukturen durch Tagebau komplett verändert werden. Durch Ausnahmeregelungen werden bestehende Gesetze unterlaufen, die ethnischen Gruppen einen Schutz ihrer Territorien und Kultur bieten, die der kleinbäuerlich-familiären Landwirtschaft Chancen zur Weiterentwicklung einräumen oder die die Natur schützen. Mitspracherechte der von Großvorhaben Betroffenen werden ausgehebelt.
  • Zwischen der Zentralregierung und lokalen Stellen gibt es unterschiedliche und oft auch widersprüchliche Vorstellungen zur wünschenswerten Entwicklung der Regionen und zum Umgang mit den dortigen Naturressourcen. Der Zentralstaat pocht auf seine Zuständigkeit für unterirdische Ressourcen und die Vergabe von Konzessionen zu ihrer Ausbeutung. Die lokalen Stellenbestehen auf ihrer Zuständigkeit für lokale Entwicklung und territoriale Planung.

Die institutionellen Probleme schaffen Konflikte, innerhalb des Staatsapparates, aber auch zwischen ihm und den BürgerInnen. Betroffene fürchten um ihre Zukunft und glauben dem Versprechen nicht, dass die Lokomotive in Richtung einer sozial gerechten und zukunftsfähigen Entwicklung fährt. Die Weichen scheinen ihnen eher so gestellt zu sein, dass die Rohstoffe um jeden Preis ausgebeutet werden.

Herausforderungen für zukunftsfähige Entwicklung und den Respekt für die Menschenrechte:
  • Es muss eine kohärente Politik definiert werden, die die Förderung von Rohstoffen zur Diversifizierung der Ökonomie und sozialen Inklusion nutzt und Umweltbelastungen sorgfältig prüft. Unabdingbar gehört dazu auch die Anerkennung und effektive Durchsetzung der Beteiligung der Bevölkerung an den entsprechenden Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen.
  • Die mit der Verfassung festgelegte Dezentralisierung des Staates muss von den nationalen Instanzen in den Beziehungen zur regionalen und lokalen Ebene respektiert werden.
  • Die Bevölkerung muss für die Folgen der extraktiven Industrie und die Konsequenzen der hohen Abhängigkeit der Gesellschaft von diesem Sektor sensibler werden. Noch ist die Diskussion eher auf die Regionen beschränkt, in denen Mineralien oder Öl gefördert werden oder werden sollen. Ein gesellschaftlicher Konsens über die Ziele, Chancen und Grenzen der Nutzung der Ressourcen besteht nicht. Ohne den Ausbau von Forschung und Fortbildung wird nur schwer Wissen entstehen, das in Gesellschaft und Politik angemessene Entscheidungen leichter macht.
  • Die staatlichen Behörden, die für die Regulierung und Kontrolle des Sektors verantwortlich sind, müssen qualifiziert werden, damit sie sowohl die Erkundung von Vorkommen und die Ausbeutung oder Erhaltung der Ressourcen steuern als auch die beteiligten Firmen kontrollieren können. Stichworte sind hier soziale Verpflichtungen, Produktions- und Umweltauflagen, Produktionsumfang und Zahlung der Abgaben, Formalisierung des informellen Bergbaus.
  • Der Rechtsrahmen muss so gestaltet werden, dass er an menschlicher und nachhaltiger Entwicklung ausgerichtet wird und die Gewährleistung der Menschenrechte fördert. Die begonnene Debatte um eine Änderung des Código Minero stellt dafür eine Chance dar. Sie kann mit den gerade verabschiedeten Regelungen zur Bürgerbeteiligung und zu Informationspflichten der Behörden gegenüber der Öffentlichkeit verknüpft werden.
    Internationale Anstrengungen zur Erhöhung von Transparenz, wie z.B. durch Open Government Partnership (OGP) oder Extractive Industries Transparency Initiative (EITI)*, können dies verstärken.
  • Firmen, die Mineralien oder Öl abbauen oder aufkaufen oder Ausstattung liefern, müssen sich verpflichten, umfassend über ihr Handeln zu informieren, sodass die Überprüfung des Respekts für Menschenrechte und der Folgen ihres Tuns auf die Region und die Umwelt möglich wird."
* Als Erfolg der NRO kann sicherlich gewertet werden, dass (wie bei dem Hearing zu erfahren war) Kolumbien zugesichert hat, bei EITI mitzumachen.

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