Samstag, 26. Februar 2011

Warum malt jemand Fernsehen?

Warum macht sich jemand die Mühe, irgend eine mäßig funktionierende Flimmerkiste in einem indischen Hotel auf Leinwand zu verewigen? Gedanken zu einer Werkreihe von Ina Zeuch.

Ina Zeuch: Dharma news
dharma (Sanskrit "große Ordnung", "Manifestationen der Wirklichkeit")
wird das Gesetz und Ergebnis der karmisch bedingten Wiedergeburt genannt.
Die Antwort ist eigentlich vergleichsweise einfach, und sie besteht aus zwei Teilen. Erstens:
Die Ästhetik ist cool


Das Flimmern, Rauschen, Knarzen und Flackern von Bild und Ton aus der Kiste hat großen ästhetischen Reiz, und das ist auch schon seit 50 Jahren Thema moderner Kunst. Allerdings gerät diese Tatsache hierzulande angesichts der tischgroßen, flimmerfreien, hochauflösenden Plasmabildschirme mit 5.2 Dolby Surround Sound nach und nach in Vergessenheit.
Dazu kommt natürlich die saftige, kitschige und unverwechselbare Farbgebung der indischen Film- und Fernsehmacher, die üppige Ausstattung sowie die fantastischen Klamotten und der der fetzige Schmuck.Wenn schon nicht produktionstechnisch, so haben doch das gestalterische Können und die psychologische Raffinesse von "Bollywood" längst Weltklasse erreicht.

Ina Zeuch: Samsara channel (Ausschnitt)
Samsara (Sanskrit „beständiges Wandern“) ist die Bezeichnung für den immer-
währenden Zyklus des Seins, den Kreislauf von Werden und Vergehen und der
Wiedergeburten in den indischen Religionen und im Buddhismus.
Der zweite Teil der Antwort:
Das Thema Fernsehunterhaltung ist wichtig.
Das klingt erst einmal banal. Das Fernsehen ist zu einer wichtigen Leittechnologie geworden und prägt unser Leben ganz erheblich. In einem deutschen Haushalt läuft die Kiste jeden Tag im Durchschnitt fünf Stunden.

So heftig ist es in Indien noch nicht, wo Lesekundige täglich rund 1,5 h vor der Beule verbringen und eine weitere Stunde Radio hören. Dem stehen 70 Minuten im Netz und etwa die gleiche Zeit des Lesens von Gedrucktem gegenüber. Was die Bedeutung des Fernsehens in Indien aber zusätzlich steigert: Ein Drittel aller InderInnen sind Analphabeten und in der besonders wichtigen Gruppe der 13 - 38 Jährigen immer noch 25 Prozent .

Das allein wäre Grund genug, Bilder zu malen, wie Ina Zeuch sie vorgelegt hat. Auch die Impressionisten z.B. haben sich den neuen technischen Errungenschaften in ihrer Umgebung gewidmet und Häfen, die Eisenbahn, Dampfschiffe oder neuartige Brückenkonstruktionen aus Stahl gemalt. Und auch, wenn diese Bilder uns Heutigen geradezu idyllisch anmuten, spiegeln die Werke die heute kaum noch vorstellbare Beschleunigung der Lebenswirklichkeit ihrer Zeitgenossen wider. Das wird dann deutlich, wenn man sie mit frühneuzeitlichen Arbeiten vergleicht. Wie weit sind etwa Rembrandts niederländische Landschaften von der Auffassung Turners entfernt.

Diese Feststellung führt uns zu der Frage, welche unmerklichen - sozusagen tektonischen - Verschiebungen im menschlichen Leben die hier ausgestellten Bilder wiedergeben. Angesichts der Unterhaltungsprogramme im Fernsehen liegt eine Betrachtung über die Reorganisation der persönlichen Beziehungen nahe.

Ina Zeuch: Karma drama
Karma (Sanskrit „Wirken, Tat“) bezeichnet das Konzept in Hinduismus und Buddhismus, nachdem die Absichten unserer Handlungen Ergebnisse hervorbringen, die unseren weiteren Weg – nach Tod und Wiedergeburt - bestimmen.
Denn was nach schlichter Fernsehunterhaltung aussieht, ist in Wirklichkeit Zielpunkt und Ergebnis einer stillen Revolution: Die Durchsetzung der romantischen Liebe als hinreichende Begründung für Ehe und Kinder kriegen. Und das in einer Region mit über einer Milliarde Einwohner wo seit Menschengedenken Ehen von Seiten der Eltern oder Familien vereinbart wurden und das Horoskop Auskunft über die Aussichten für die angestrebte Verbindung gab und immer noch gibt. Es gibt mittlerweile sogar zumindest eine Organisation in Indien, die verliebten Paaren zu einem Versteck vor ihren Familien und einer heimlichen Hochzeit verhilft.

Wir Europäer können diesen Modernisierungsschub kaum noch nachempfinden, weil wir selbst es waren, die als erste auf die Idee gekommen sind, dass es ok ist, Menschen zu verheiraten und eine Familie gründen zu lassen, "nur" weil sie sich lieben (und nicht um des Wohlstand, der Sternenkonstellationen oder der Kasten- respektive Standeszugehörigkeit willen). Die Durchsetzung dieses Konzepts hat etwa 150 Jahre gedauert und erfolgte nur unwesentlich früher als der Siegeszug der Dampfmaschine.

Mit der Kolonialisierung haben wir EuropäerInnen die Idee der Liebesheirat in die ganze Welt getragen. Heute besitzt diese Vorstellung den Status eines Menschenrechts. Wie lange aber Sexualität und Familienleben auch bei uns regulierenden Instanzen unterworfen waren, wird deutlich, wenn man sich daran erinnert, dass Homosexualität erst unter Helmut Kohl gänzlich von Strafandrohung befreit wurde (§ 175 StGB).

Vielleicht helfen diese wenigen Gedanken ja dabei, die Bilder noch einmal unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten und auf neue Weise Freude an ihnen zu haben und Interesse zu entwickeln.Wer mehr über die Künstlerin wissen möchte, kann auf der Website oder im Blog von Ina Zeuch stöbern.

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