Samstag, 24. April 2010

Die indischen Maoisten - Eine Dauer-Erfolgsstory

Liebe LeserInnen,

hier möchte Mediawatchblog eine Stimme zu Gehör bringen, die den weiten Weg vom bitterarmen Bihar bis nach Kassel gefunden hat.
Die Fotos, die den Text begleiten, stammen sämtlich aus der Serie "Friede den Hütten" von Ina Zeuch, die die Fotos Anfang 2010 in Südindien gemacht hat.

Die indischen Maoisten - Eine Dauer-Erfolgsstory  
von

Prolog: In diesen Wochen haben die Anhänger des falschen und richtigen Maos mehr als 73 Mitglieder der indischen Eliten-Polizei geschlachtet (ToI).
Seit ewigen Jahren jagen sie dutzende Polizisten im Wochenturnus in die Luft. In den von der Armut überschwemmten Bundesländern wie in Bihar, Chattisgarh, Andhra Pradesh, Orissa, West Bengalen... werden sie mehr gefürchtet als der indische Staat.


1. Hohe Armut im High-Tech-Land: Ein Nährboden der Maoisten?!

Trotz des weltgrößten Eisenbahnnetzes, riesig-expandierernder U-Bahn-Strecken in ihren Megapolen samt Suburbs, verfeinerter, fortgeschrittener Raumfahrtstechnologie..., beginnen wir mit dem Understatement, dass nur 20% der Inder unterhalb der Armutslinie leben. Und genau so viele gehören zur unteren Mittelschicht, und sie kämpfen jeden Tag um das Existenzminimum im hierarchisierten, unüberschaubaren Standesklausel der indischen Gesellschaft.

Nun, diese über 400 Millionen des Milliardenlands sind zwar keine Maoisten, aber sie mögen wegen ihrer tagtäglichen immensen Hürden die Schießereien der Maoisten nicht nur nachvollziehen, sondern den Ultra-Roten hin und wieder  einen Unterschlupf gewähren.

Wir sehen die Bilder hunderter erschossener und lebensgefährlich verletzter Sicherheitskräfte vor den Hütten der Armen der Ärmsten liegen. Die rechtlosen Verhungernden sehen sich gezwungen, eine relative Wahl zu treffen, d. h. ob sie den Maoisten gegen ihr tägliches Brot oder ihre Lebenssicherheit mal unmittelbar mal hintenherum zu helfen.

2. Das rote China dahinter?! Wenn ja, in welchem Maße?

Den unprofessionellen Stimmen indischer Medien, die Rebellen bekämen ihre Waffen und materielle Unterstützung aus China, sollte ein Leser mit Verstand seinen Glauben mit einem Schmunzeln schenken. Genauso den chinesischen Staatsbloggern und Zeitungen, wenn sie die Inder immer wieder für die tibetischen Unruhen und für die Reisefreiheit von Dalai Lama mitverantwortlich halten.

Dass sich die beiden Riesen, nämlich: Drachen und Elefant, gegenseitig immer mal wieder ihre eigenen Magengeschwüre vorwerfen, tut der herrschenden traurigen Realität weiterhin gut: die unmittelbaren größten Nachbarsvölker, Chinesen und Inder, verkehren in den letzten Jahrzehnten miteinander kulturell und sprachlich minimal. Beide möchten erst mal in ihrer Art und Weise dem Westen, dem Abendland, den Vereinigen Staaten samt der EU... gleichkommen, nein, lieber sie übertreffen. Bei diesem ehrgeizigen Hochsprung werden dem Staat benachteiligte Völkergruppen, unterentwickelte Landesregionen, arme soziale Schichten zu Hindernissen, mit denen der jeweilige Staat nach seiner Einstellung alias einer Wunschvorstellung umgehen möchte.

3. Beschäftigungstherapie arbeitsloser junger Männer und Frauen. Darunter Goons, Thugs...

Zig Millionen frustrierte, niedergeschlagene junge Männer und Frauen mit und ohne Ausbildung suchen nach einem Ventil ihrer berechtigten und unberechtigten Wut, und das Rote Buch verleiht ihnen Tatendrang. Die Floskeln des Buches dienen sogar zur Moralisierung der Morde von Lumpen und Ganoven. Die Belege können in den Berichten der Zeitzeugen der kommunistischen Revolution gefunden werden, als Universitätsprofessoren, Künstler, Maler, Wissenschaftler von Studenten, Schülern und Herumlungernden der Straßen volkssportmäßig umgebracht wurden.

In der fünften Klasse hatte ich das Rote Buch von Mao Zedong alias Mao Tse-tung auf Hindi in meiner Hand, weil in jener rückständigen Region die Kommunisten zur Modeerscheinung geworden waren, weil mir das Buch mit einer gewissen, irrationalen Legitimation ein wenig Machtgefühl zu verleihen schien.

4. Rechtsstaat versus Gesetzlose?!

Dass die Indische Republik mit den Gesetzlosen erst verhandeln möchte, nachdem die Rebellen die Anwendung ihrer Terrormethoden niedergelegt haben, ist zu unterstreichen.
"Und so etwas will regieren! Tolle Zustände das! Vettern- und Günstlingswirtschaft oben, Bedrückung und Ungerechtigkeit unten! Kein Wunder, dass allenthalben Aufruhr und Empörung ihr Haupt recken, dass die Besten abfallen und unter die Räuber gehen." (Aus: Die Räuber von Liang Schan Moor, Insel, München 1975)

Ein fast tausendjähriger chinesische Klassiker der Weis-, Schön- und Gerechtigkeiten, aus dem hier zitiert wird, schildert minutiös ein großes Reich der Mitte mit kultivierten, intelligenten Gesetzen und unzähligen Ämtern mit korrupten Beamten, deren Eintritt einem Menschen ohne Beziehung und Bestechung mit wenig Geld lange verboten bleibt. Im 21. Jahrhundert auf dem indischen Subkontinent sehen die Dinge nicht viel besser aus.

Die indische Justiz arbeitet mit unzählbaren Fällen belastet äußerst langsam, und sie ist nicht selten von der Korruption befallen. Hinzu kommen die zahlreichen, indischen Behörden, bei denen man ohne Bestechung, Beziehung wie ein unerwünschter Außenseitiger, Ausländer oder Aussätziger kafkaesk lange warten muss.   

In der Hierarchie ganz unten fügen sich die betroffenen Bürger ohne Macht, Beziehung und Geld ihrem Schicksal gerne notgedrungen: 
"Außerdem hat er gar nicht die Mittel, um gegen einen reichen Mann zu prozessieren. ... Da haben wir uns nun mit dem Bürger Tschong dahin geeinigt, dass ich gegen Honorar vor noblen Gästen singe und vor meinem Verdienst unsere Scheinschuld ratenweise an ihn abzahle. Die größere Hälfte meines Verdienstes geht darauf, uns bleibt kaum das Nötigste zum Leben." (Die Räuber von Liang Schan Moor)

5. Aussichten

Dass die Maoisten die Regierungstruppen wiederholt abhäuten, hat Parallele im chinesischen Räuberroman. Dass die Maoisten eine hohe Deckung vieler Einheimischen genießen, erinnert an die Banditen vom Liang Schan Moor.

Mit einem wesentlichen Unterschied: Dass die Maoisten alles andere sind als jene edelmütigen, menschendienenden Kämpfer Ostchinas, die mit außergewöhnlichen Fähig- und Weisheiten ausgestattet eine absolute Selbstlosigkeit ausübten. 

Es ist in der Tat wichtig festzuhalten, dass die Hierarchie alias die Kader der Maoisten auf seine Macht abgesehen hat. Den vorgetäuschten, trügerischen Ideologien der Gleichheit verfallen dafür Millionen orientierungsloser, benachteiligter proletarischer Opfer.

1 Kommentar:

  1. S. a.

    - Maoisten töten 70 Bundespolizisten in Indien
    http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-04/maoisten-indien-polizei

    - Indien unter dem Schock der Maoisten
    http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-04/Indien-maoisten-Hintergrund

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