Sonntag, 7. Dezember 2008

Guinea auf dem Weg zum Schuldenerlass

Eine Reportage von Ina Zeuch

Arm ist, wer sich arm fühlt. Oder wer als arm abgestempelt wird. Die Weltbank-Gruppe hat sich das Motto "Working for a world free of poverty" gegeben und definiert als arm, wer weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag verdient. Ende August zählte die Weltbank in einem neuen Bericht 1,4 Milliarden Erdenbürger zu den Armen - jeder Vierte in den sich entwickelnden Ländern gehört demnach dazu. Zuvor war ein Dollar pro Tag die Richtschnur gewesen. Im westafrikanischen Land Guinea gibt es nicht die krassen Gegensätze zwischen Arm und Reich wie in Indien oder Brasilien. Aber nach Weltbank-Maßstäben leben 40 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut. Der Schuldendienst verschlingt fast ein Viertel der Exporteinnahmen des mit Rohstoffen gesegneten Landes. Um in den Genuss eines Schuldenerlasses zu kommen, wofür politische und wirtschaftliche Kriterien erfüllt werden müssen, hat die Regierung neue Institutionen gegründet und ein Armutsbekämpfungsprogramm aufgelegt, das von der GTZ unterstützt wird. Ina Zeuch hat das Land bereist und für epo.de den folgenden Bericht verfasst.

Familie S. ist durchaus wohlhabend. Sie wohnt in einem großen Gehöft am Ortsausgang von Labé in Zentralguinea. Sie besitzt zwei Autos, beide Kinder fahren Mofas und besuchen das Gymnasium. Doch jeden dritten Tag gibt es keinen Strom und oft wird auch dann keiner geliefert, wenn er angekündigt ist. Zudem gibt es kein fließendes Wasser, das daher jeden Tag in Kanistern herangeschafft wird. Deshalb steht der Fernseher mit Videogerät oft verwaist im Schlafzimmer und der Kühlschrank taut ständig auf. Die täglichen Mahlzeiten garen auf dem Holzfeuer – eine alltägliche Situation in Labé.

REICH UND DOCH ARM
Auch Guinea ist eigentlich ein reiches Land: Es besitzt das größte Bauxitvokommen der Welt, daneben gibt es reiche Vorkommen an Eisenerz, Nickel, Gold, Diamanten sowie große Mengen Holz und fruchtbares Ackerland. Trotzdem lag die nominale externe Gesamtverschuldung des westafrikanischen Staates 2005 bei etwa 3,3 Milliarden US-Dollar. Die Abzahlung von Schulden verschlingt derzeit etwa 23 Prozent der Exporteinnahmen.

Aber nicht nur der Staat, auch die Menschen sind bitter arm. 40 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut, verfügen nur über höchstens einen US-Dollar pro Tag. Im ländlichen Raum, wo fast 70 Prozent der Bevölkerung leben, beträgt die Anzahl der absolut Armen sogar 53 Prozent. Das Land leidet darüber hinaus unter einer hohen Inlandsverschuldung und zählt zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt, den sogenannten HIPC-Ländern (Heavily Indebted Poor Countries). Deshalb war Guinea schon im Jahr 2000 für einen Schuldenerlass vorgesehen worden.

Doch noch kann Guinea die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank geforderten Bedingungen dafür nicht erfüllen. Zu diesen Forderungen gehören auch die Möglichkeit demokratischer Partizipation und good governance. Die aus dem Schuldenerlass frei werdenden Finanzmittel sollen zur Armutsminderung eingesetzt werden. Dazu muss ein umfassendes Konzept darüber vorliegen, wo und wie die Gelder eingesetzt werden sollen. Seit Dezember 2000 arbeitet das Land deshalb an der Erstellung eines Dokuments zur Strategie der Armutsminderung, des DSRP (Document pour la Stratégie de la Réduction de la Pauvreté).

DIE ROLLE VON IWF UND WELTBANK
Die Armutsbekämpfungsprogramme (Stratégie de la Réduction de la Pauvreté, SRP) wurden 1999 als neuer Ansatz zur Armutsbekämpfung vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank entwickelt. Sie sehen eine breite gesellschaftliche Beteiligung an der Erarbeitung und Überwachung der Armutsminderungsstrategien vor. Bei der Erstellung des DSRP haben IWF und Weltbank nur beratende Funktionen. Aber die Papiere müssen zum Abschluss den Exekutivgremien beider Institutionen vorgelegt werden und beeinflussen die Entscheidung über einen Schuldenerlass. Dabei legen IWF und Weltbank auf folgende Aspekte besonderen Wert:
  • wirtschaftliches Wachstum und Privatisierung,
  • Dezentralisierung, also regionale Umsetzung von politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen sowie die
  • Stärkung der sozialen Grunddienste.
Eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Gebern wird zudem nur durch eine gute Regierungsführung ermöglicht. Der Schwerpunkt der deutsch-guineischen Entwicklungszusammenarbeit ist seit jeher die Stärkung gut funktionierender sozialer Grunddienste - und sie ist deshalb stark in das DSRP mit eingebunden.

Ein Armutsminderungsprogramm umfasst drei wesentliche Bestandteile:
  • Analyse der Armut
  • Entwicklung einer angemessenen Strategie und Überwachung
  • sowie Evaluierung der Umsetzung des Programms.
Derzeit stellt die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vor allem freie Politikberater für das DRSP und finanziert Workshops und Fortbildungsseminare. Bei einem Schuldenerlass würden IWF und Weltbank mit speziellen Unterstützungskrediten jeweils unterschiedliche Reformen finanzieren, die Weltbank im öffentlichen Sektor, der IWF im Bereich der Wechselkurs- und Steuerpolitik.

STÄRKUNG DER ZIVILGESELLSCHAFT
Zunächst aber unterstützen IWF und Weltbank in Zusammenarbeit mit der GTZ seit Mai 2002 die nationale Strategie zur Armutsminderung ASRP (Appui à la Stratégie de la Réduction). Das setzte einen vielfältigen und schwierigen Prozess zwischen Staat und der im Aufbau befindlichen Zivilgesellschaft in Gang. Denn der erste DSRP wies einige Schwachpunkte auf, zum Beispiel die mangelhafte Beteiligung der Zivilgesellschaft und eine unzureichende Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen, denen es an Fachpersonal und guter Organisation fehlte.

Deshalb werden jetzt in einem zweiten Anlauf für das DSRP eine Vielzahl von Fortbildungskursen, Workshops sowie Lang- und Kurzzeitberatungen organisiert, um die vorhandenen Kapazitäten von staatlichen wie nichtstaatlichen Institutionen in die Durchführung zur Armutsbekämpfung voll mit einzubeziehen. Zur Verbesserung bei der Umsetzung und Evaluierung der Armutsminderungsstrategie wurde 2001 eigens das ständige Sekretariat für Armutsbekämpfungsstrategie SSRP (Sécrétariat Permanent de la Stratégie de Réduction de la Pauvreté) gegründet, das der Aufsicht des Wirtschafts- und Finanzministeriums unterliegt. Es arbeitet eng mit dem Ministerium für Planung in Conakry zusammen, die beide wiederum eng mit der GTZ kooperieren.

LABÉ ALS PILOTPROJEKT
Als Pilotprojekt für das DSRP wurde die Heimatregion der Familie S., Labé, mit seinen fünf Präfekturen ausgewählt. Denn einer der Schwerpunkte des Vorhabens ist die Entwicklung der ländlichen Regionen, in denen weit über die Hälfte der armen Bevölkerung lebt.

Der Distrikt zählt zu den ärmsten Regionen des Landes: Mitten im hügeligen und üppig grünen Fouta Djalon gelegen, leben dort fast 40 Prozent Arme. Die Menschen sind in allen Lebensbereichen eingeschränkt - beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsdiensten und menschenwürdigem Wohnen mit fließendem Wasser und Strom. Nur 19 Prozent der Menschen in Mittelguinea können Lesen und Schreiben, die HIV-Aids-Rate hat sich zwischen 2001 und 2002 auf dem Land von 1,4 Prozent auf 2,8 Prozent verdoppelt.

Der Zusammenhang von Bildung und Aufklärung ist offensichtlich, aber vielfach sind gerade die Oberhäupter der Familien, die die familiären Entscheidungen fällen, Analphabeten. Nur 42 Prozent auf dem Land besuchen die Schule. Auch die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zeigt sich in den ländlichen Regionen am deutlichsten: Von den erwähnten 70 Prozent Armen unter der Landbevölkerung sind gut 53 Prozent Frauen. Während 67,6 Prozent Jungen eingeschult werden, sind es bei den Mädchen nur knapp 40 Prozent.

FORTBILDUNGEN ZUR FÖRDERUNG LOKALER WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG
Vom 7. bis 11. Mai 2007 tagte im Bürgerzentrum Labés ein zweites Seminar zur lokalen Wirtschaftsentwicklung (Développement Économique Local, DEL). Das erste hatte im Dezember 2006 stattgefunden. In ganztägigen Vorträgen und Arbeitsgruppen diskutierten 38 Unternehmer und Vertreter lokaler Verwaltung und Zivilgesellschaft fünf Tage lang Vorschläge für die Gestaltung von Instrumenten zur Umsetzung und Evaluierung einer armutsorientierten DEL-Strategie für die Region Labé. Sie analysierten die staatlichen und privaten Wirtschaftsleistungen und listeten die wesentlichen Hindernisse auf, die die staatliche Verwaltung für lokale Unternehmen in den Weg legt. Zudem wurden hier Situationsberichte von Delegierten aus allen fünf Präfekturen Labés vorgestellt. Um ein konkretes Beispiel vor Augen zu haben, besuchten die Teilnehmer am dritten Tag eine Parfümölfabrik in der Region.

"Damit die Beteiligung aller wichtigen Akteure am DEL-Prozess sicher gestellt ist, werden die Berichte aus den Workshops an alle Teilnehmer und alle zuständigen Personen für Fragen der lokalen Wirtschaftsentwicklung in den Präfekturen und der Region verteilt", erklärt Dr. Jim Bennett, freier Politikberater und Seminarleiter des DEL-Workshops in Labé. "Zudem gehen die Informationen dem nationalen Finanzministerium zu und werden an alle Geberorganisationen verteilt, die in der Region Labé tätig sind. Über die Webseite des Permanenten Sekretariats für die Strategie der Armutsminderung werden diese Informationen auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht."

Über die Wirkungen der DEL-Maßnahmen äußert sich Bennett zurückhaltend: "Dazu liegen bislang nur fragmentarische Informationen vor. Diese deuten aber darauf hin, dass sich die Teilnehmer trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sehr engagieren, die in den Workshops gemeinsam erarbeiteten und abgestimmten Aktionspläne wirksam umzusetzen"

BRENNPUNKTE VON UNTERENTWICKLUNG IN ARMUTSKARTEN
Um die geforderte Armutsanalyse leisten zu können, wurde eine erste modellhafte Datenerhebung für ländliche Regionen in Labé durchgeführt. Denn wer Armut erfolgreich bekämpfen will, muss wissen, wer wo arm ist. "303 ländliche Gemeinden wurden monatelang von 40 staatlichen und nicht-staatlichen Fachleuten bereist" berichtet Peter Hillen, Leiter des ASRP-Projekts. Sie befragten die Menschen zum Stand der Entwicklung - oder besser gesagt dem eklatanten Stand der Unterentwicklung der Regionen: Über den Zustand der Straßen, ob es überhaupt welche gibt und ob sie auch in der Regenzeit befahrbar sind, über ihren Zugang zu Wasser, Gesundheitsdiensten und Schulen. Dabei ist jedoch noch nichts darüber gesagt, wie die vorhandene Infrastruktur tatsächlich von der Bevölkerung genutzt wird und in welchem Zustand sie sich befindet.

Mit diesen Daten wurde bereits eine erste Armutskarte zur Region Labé erstellt. Denn mit solchen Karten, die die Brennpunkte der Unterentwicklung nicht nur regional, sondern für ganz Guinea aufzeigen würden, "könnten die Geber viel gezielter diejenigen Regionen fördern, die es am dringendsten benötigen", erläutert Peter Hillen weiter. "Denn solche Karten machen auf einen Schlag sichtbar, welcher Bereich in einer Region am stärksten unterentwickelt ist und damit die meiste Unterstützung braucht." Ehrgeiziges Ziel dieses Projekts ist es, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Planung einen Armutsatlas zu erstellen, der auch die HIPC-Länder Niger und Tschad mit einbeziehen soll.

DIE MILLENIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE FÜR GUINEA
Wird die guineische Armutsbekämpfungsstrategie, also das DSRP von IWF und Weltbank akzeptiert, könnte das Land den dringend notwendigen Schuldenerlass erhalten. Damit könnte die Umsetzung für das auf Guinea zugeschnittene Programm zur Armutsminderung (Programme pour la Réduction de la Pauvreté, PSRP) in die Wege geleitet werden. Das hofft auch Mamadou Alpha Diallo, technischer Assistent der GTZ im DSRP-Projekt in Conakry: "Das gemeinsame Vorhaben von IWF und Weltbank soll die neue Basis für die Aufnahme Guineas in den Schuldenerlass der HIPC-Initiative bilden, mit dem dann ein PSRP aufgelegt werden kann".

Die konkreten Zielsetzungen sind an die Millenniums-Entwicklungsziele angelehnt. Für Guinea würde das bedeuten, dass
  • die Kindersterblichkeit bis 2010 um 50 Prozent auf 70 Todesfälle unter 1000 Kindern unter fünf Jahren gesenkt,
  • die Müttersterblichkeit von 300 Todesfällen je 100.000 Lebendgeburten im Jahr 2005 bis 2010 auf 200 reduziert werden soll und100 Prozent statt wie bisher nur 80 Prozent der Bevölkerung in 2010 Zugang zu sauberen Trinkwasser bekommen soll.
  • Außerdem soll die finanzielle Armut in den ländlichen Regionen von 40 Prozent in 1995 auf 30 Prozent im Jahr 2010 vermindert werden.
Auch die Einschulungsrate und die Abschlussquoten für die Grundschule sollen erheblich verbessert werden. Doch der Weg bis zur Erreichung dieser Ziele ist noch weit, denn good governance ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit in Guinea. Die Willkür des Präsidenten Lansana Conté empörte die guineische Bevölkerung so sehr, dass sie im Februar 2007 durch einen mehrwöchigen Generalstreik eine Regierungsumbildung erzwang, bei der alle Ministerposten neu besetzt wurden. Der ungeliebte Präsident allerdings blieb. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass die konstruktive Zusammenarbeit des guineischen Staates mit dem PSRP dazu beiträgt, die Beseitigung der Armut endlich in großem Stil in Angriff nehmen zu können.

Der Beitrag ist zunächst bei Entwicklungspolitik Online erschienen.

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