Sonntag, 8. November 2015

Agrarhandel zur nachhaltigen Ernährungssicherung? Teil 2

- eine Studie im Auftrag der Welthungerhilfe.

Ihr/Euer ergebenster MediaWatch-Redakteur hat sich für die Welthungerhilfe letztes Jahr lange mit Fragen des Weltagrarhandels auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine Handreichung, die eine ganze Reihe Grundlagen aufarbeitet - sowohl was die Empirie, als auch was die politökonomische Seite betrifft. Da mischt sich Bekanntes bunt mit Überraschungen. Teil 1 findet sich hier.

Teil 2: Neue Trends

Auf den Weltagrarmärkten sind eine Reihe bedeutsamer neuerer Trends zu beobachten, die zum Teil gemeinsame Ursachen haben und vor allem die Nachfrage nach Nahrungsmitteln betreffen. Zudem haben die zeitweilig sehr hohen Energiekosten für eine scharf gestiegene Nachfrage nach Biokraftstoffen gesorgt.


Neue Mittelschichten und Urbanisierung
Die Nachfrage nach Lebensmitteln wird letztlich wird von drei Faktoren beeinflusst: von der Größe einer Bevölkerung, ihrer Kaufkraft und dem Grad einer Verstädterung einer Gesellschaft. 2013 wurde rund ein Drittel (36,6 Prozent) des weltweiten Bruttonationaleinkommens in Asien generiert. Allgemein wird erwartet, dass dieser Anteil in absehbarer Zukunft weiter steigen wird, da nicht nur die Bevölkerung in der Region weiter anwächst, sondern weil hier auch die Masseneinkommen schneller steigen als in allen anderen Weltregionen. Dementsprechend wird die globale Mittelklasse  wachsen: 2009 gehörten etwa 525 Mio. Menschen in Asien zur globalen Mittelschicht – ein Anteil von etwa 28 Prozent. Bis 2020 sollen es 1,74 Mrd. Menschen werden, die dann mehr als die Hälfte (54 Prozent) der globalen Mittelschichten stellen. Zugleich schreitet die Urbanisierung weltweit fort.

Die Auswirkungen dieser Trends werden mindestens drei Entwicklungen anstoßen:
1.    Es wird mehr und schnellerer Innovationen bedürfen, um den sich rapide verändernden Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen zu können. Mit steigenden Einkommen wird sich die Nachfrage nach hochwertigen, veredelten und auf urbane Mittelschichten zugeschnittenen Lebensmitteln (convenience food) drastisch erhöhen. So werden z. B. schon jetzt Engpässe auf dem Kakaomarkt befürchtet, weil die Nachfrage aus den Schwellenländern rasant steigt.  Auch die kulturell angemessene Ernährung von 1,6 Mrd. Muslimen stellt die Nahrungsmittelindustrie vor große Herausforderungen.
2.    Der Wettbewerb wird schärfer werden. Die zu erwartenden Innovationen werden Auswirkungen in den gesamten Lieferketten haben, die außerdem den wachsenden Ansprüchen an Lebensmittelsicherheit und Transparenzanforderungen gerecht werden müssen. Der Anteil der Wertschöpfung im Agrarsektor, der außerhalb der Landwirtschaft realisiert wird, wird weiter überproportional steigen – vor allem in Schwellenländern.
3.    Die Konzentration vor allem im Bereich der Lebensmittelproduktion wird zunehmen. Global wirtschaften zu können, wird immer wichtiger werden, um neue Märkte zu erschließen, Zugang zu (knappen) Ressourcen zu erhalten und um politischen Einfluss zu erhalten und auszubauen.
Die Urbanisierung wird zudem eine Konzentration des Lebensmittelhandels be-schleunigen, der – ähnlich wie heute schon in den Industrieländern – letztlich nur noch von einer Handvoll Supermarktketten dominiert werden wird, die zunehmend global agieren.

Energie
Aufgrund der zeitweilig sehr hohen Ölpreise haben weltweit die Bemühungen zugenommen, die Energieproduktion zu diversifizieren. Dabei spielen auch Biotreibstoffe eine Rolle. Doch seit die Ölpreise Ende 2008 wieder zurückgegangen sind, ist Biosprit zu teuer und nicht mehr konkurrenzfähig. Deshalb haben für den weiteren Ausbau der Bioenergienutzung derzeit staatliche Fördermaßnahmen eine zentrale Bedeutung. Eine Ausnahme bildet lediglich die Bio-Ethanol-Herstellung aus Zuckerrohr in Brasilien.


Berechnungen zeigen, dass allein die Biosprit-Subventionen der Europäischen Union im Jahr 2020 eine Marktverzerrung im Umfang von 21 MTOE (Millionen Tonnen Öläquivalent) verursachen werden. Würden diese Subventionen ab 2020 nicht mehr gezahlt, fiele die Produktion von Biokraftstoffen in der EU um 3,1 MTOE und die Importe um 17,9 MTOE.

Das hätte deutliche Auswirkungen auf die Agrarpreise. Die Weltmarktpreise für pflanzliche Öle fielen um 16 und für Ölsaaten um circa 10 Prozent. Bei Zucker wäre weltweit immerhin noch mit einem Preisrückgang von 3,4 Prozent zu rechnen, Getreide würde um 2,1 und Weizen um ungefähr 4 Prozent billiger. Sogar auf den globalen Preisindex für alle Ackerprodukte (Zuckerpflanzen, Getreide, Ölsaaten, Kartoffeln) hätte dies Rückwirkungen: Er sänke um 2,6 Prozent, wenn die EU-Biokraftstoff-Subventionen verschwänden.

Weiter zu Teil 3.

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