Sonntag, 20. Oktober 2013

Nachholende Entwicklung ist anders

Dani Rodrik stellt interessante Überlegungen zum historischen Verlauf der industriellen Produktion an (gemessen am Anteil der Beschäftigten, die in der Industrie arbeiten) und zu den Konsequenzen die dies für die betreffenden Gesellschaften hat. Die Daten zeigen auch, dass nachholende Entwicklung - auch dort, wo sie erfolgreich verläuft - andere Ergebnisse hervorbringt, als die Geschichte der traditionellen Industrieländer vermuten ließe.


Demnach haben in den traditionellen Industrieländern zu den Spitzenzeiten circa 30 Prozent aller Menschen in der industriellen Produktion gearbeitet: 35 Prozent um 1970 in Deutschland, 33 und 32 Prozent in Großbritannien und Schweden um 1961 knapp 30 Prozent in den USA um 1953 und in Südkorea in 1989. Wie Rodrik in seinem Blog weiter zeigt, erreichen die heutigen Schwellenländer diese Werte bei weitem nicht mehr:
So hat Mexiko den Peak industrieller Beschäftigung 1990 bei 20 Prozent aller Arbeitskräfte erreicht, Brasilien 1986 bei etwa 16 Prozent, China 1996 bei etwa 17 Prozent und Indien 2002 bei etwa 13 Prozent.

Das Spannende dabei: Je niedriger die Wirtschaftsleistung pro Kopf zu dem Zeitpunkt war, als die  industrielle Beschäftigungsquote ihre historische Spitze erreichte, desto niedriger blieb diese Quote auch.

Die Konsequenzen, die Rodrik aus dieser Tatsache zieht (Project Syndicate, leider nicht auf Deutsch), sind ebenso interessant wie der Befund selbst. Zunächst sorgt die geringere Bedeutung der industriellen Poroduktion in den betroffenen Ländern auch für ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum in anderen Sektoren:
(...) it is clear that early deindustrialization impedes growth and delays convergence with the advanced economies. Manufacturing industries are what I have called “escalator industries”: labor productivity in manufacturing has a tendency to converge to the frontier, even in economies where policies, institutions, and geography conspire to retard progress in other sectors of the economy.
Doch auch gesellschaftliche Konsequenzen vermutet Rodrik. Vor allem sieht er eine andere Entwicklung partizipativer Verfahren ("Demokratie") in den Ländern mit "verfühter Deindustrialisierung", weil die gestaltende Kraft einer organisierten Arbeiterbewegung fehlt:
Some of the building blocks of durable democracy have been byproducts of sustained industrialization: an organized labor movement, disciplined political parties, and political competition organized around a right-left axis. The habits of compromise and moderation have grown out of a history of workplace struggles between labor and capital – struggles that played out largely on the manufacturing shop floor.
Daraus ist nicht nur entnehmen, dass nachholende Entwicklung wahrscheinlich ein viel schwierigeres Unterfangen ist als man meinen könnte. Denn immerhin ist es ja preiswerter, Produkte zu imitieren, als sie selber neu zu entwickeln. Und obwohl darüber hinaus ja auch Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Konsequenzen von Industrialisierung vorliegen und es (mehr oder minder gut funktionierende) Modelle zu ihrer gesellschaftlichen Bewältigung gibt, ist es keinesfalls ausgemacht, dass diese im Kontext nachholender Entwicklung valid sind.

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