Freitag, 25. Mai 2012

Theorie und Praxis der Hungerbekämpfung

Starke Preissteigerungen für Hirse, Reis und Mais alarmieren die Hilfsorganisationen im Sahel, berichtet das Integrierte Regionale Informations-Netwerk IRIN (Hervorhebungen durch die Redaktion):
Unexpectedly sharp price rises in April for local cereals like millet, rice and maize in parts of Mali, Burkina Faso, Niger and Chad (...)The high prices of basic foods are the most alarming feature of the current Sahel crisis, according to the Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) of the US Agency for International Development (USAID). Prices are expected to keep rising until the end of August (...)
Konkret heißt das:
In Ouagadougou a 100kg bag of millet cost 26,000 cfa (US$49) in May 2012, compared to 15,000 cfa ($28) in May 2011, while in Bamako a 100kg bag of millet cost 28,500 cfa ($53) this year but only 14,000 cfa ($26) a year ago, according to UN Food and Agriculture Organization (FAO) monthly reports.
Als Grund wird zunächst genannt, dass die Nahrungsmittelpreise verglichen zum langjährigen Mittel immer noch sehr hoch sind. Im Februar 2011 erreichten sie einen historischen Höchststand und sind seitdem nur unwesentlich gefallen (FAO). Doch damit ist noch nicht erklärt. warum auch die Preise für Hirse gestiegen sind, die ja nur regional verbraucht werden. Eine volkswirtschaftliche Standarderkenntnis, nämlich die, dass die Preise derjenigen Güter zusammenhängen, die miteinander austauschbar sind, erwähnen die KollegInnen von IRIN nicht. Vielleicht erschien es ihnen als  selbstverständlich, zu wissen, dass Menschen, die sich keinen Reis mehr leisten können, Hirse kaufen, was natürlich die Hirsepreise ebenfalls treibt.

Doch es gibt noch weitere wichtige Gründe für die Mangelkatastrophe:
Economic growth in Nigeria has boosted domestic grain demand for human consumption, as animal feed, to produce beer, and for other uses, yet even steeply rising production - Mali and Niger produced 5 million mt of these grains plus other cereals in 2010 - cannot keep up with demand. (...)
A 50 percent fuel price rise in January 2012 has increased food transport costs. Boko Haram - a jihadist group using violent means to establish Sharia law in northern Nigeria - caused the government to close the eastern border, bringing slowdowns in trade in western Chad and Niger. 
Auch in Ghana hat das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre den Lebensmittelverbrauch steigen und die Exporte fallen lassen. Normalerweise ist der Preis für Hirse wesentlich niedriger als für Getreideimporte. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein:
The price of imported grains is traditionally much higher than local grains, but this gap is "seriously narrowing", said Bauer. For instance, imported rice usually costs roughly twice as much as local millet - as it did in May 2011 - but now a 50kg bag of millet in Bamako sells for 28,500 cfa ($54), while a bag of imported rice costs 35,000 cfa ($66), and 50kg of locally grown rice is priced at 42,500 ($81).
Noch scheinen die lokalen Markmechnismen weiterhin halbwegs normal zu funktionieren:
The Niger-Nigeria price differential for grains "is still what it should be", Bauer said. One kg of millet costs 222 cfa (45 US cents) in (...) in southern Niger, and 200 cfa (40 US cents) across the border in Nigeria, which means exports are flowing normally.
Doch nicht nur an den großen Börsen wird mit Nahrungsmitteln spekuliert. Auch die Getreidehändler in Westafrika hoffen, dass die Preise weiter klettern, sollte die Regierungen der betroffenen Staaten und Hilfsorganisationen noch große Mengen Getreide aufkaufen. Eine Besserung ist erst in der nächsten Regenzeit zu erwarten - wenn der Regen denn kommt. Die aktuelle Trockenheit ist die vierte Dürre in den letzten zehn Jahren (G-News dt.).


Das Welternährungsprogramm fährt eine Doppelstrategie: Einerseits kauf die Organisation Getreide - allerdings nur aus den strategischen staatlichen Reserven Nigerias um die nationalen Märkte der betroffenen Staaten nicht durcheinander zu wirbeln. Andererseits verteilt das WFP Lebensmittelgutscheine, mit denen die Menschen wie gewohnt einkaufen können. Man weiß, dass der Nennwert der Bezugsscheine bei weiter steigenden Preisen zu klein werden wird:
WFP has calculated that a household in Niger would receive vouchers worth 32,500 cfa ($62) per month, and one in Mali would get 25,000-36,000 cfa ($47-68), depending on where it is located.
Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Subventionen von Lebensmitteln wenig bringen. MediaWatch hatte während der Explosion der Nahrungsmittelpreise 2010 geschrieben:
Welche Möglichkeiten haben Schwellen- und Entwicklungsländer, um Schaden von ihrer Bevölkerung abzuwenden? Die schlechteste Lösung scheinen Exportverbote und Erzeugerpreisbeschränkungen zu sein. Denn wenn die Bauern nur geringe Erlöse erzielen, werden sie ihre Produktion nicht ausdehnen, geschweige denn investieren.
Auch Politiken, die auf die Verbesserung des Lebensmittelangebots im Inland zielen, werden nur begrenzt wirksam sein um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern: Hunger ist und bleibt ein Einkommensproblem – keines des Nahrungsmittelangebotes. Das hat der indische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen nachgewiesen. Daher macht es wenig Sinn, Grundnahrungsmittel pauschal verbilligt anzubieten: Zu teuer sind Mitnahmeeffekte und Verschwendung.
Am besten können Hunger und Unterernährung mittels Einkommenstransfers und Ernährungsprogrammen bekämpft werden. Dabei müssen Frauen und (Schul-)Kinder sowie alte und kranke Menschen gezielt bedacht werden. Das Geld dafür kann letztlich nur durch Umverteilung – also eine erhöhte steuerliche Belastung der Wohlhabenden – beschafft werden.
So sehen das auch die Hilfsorganisationen - vorausgesetzt, die lokalen Nahrungsmittelmärkte funktionieren noch. Bei IRIN klingt das dann so:
(...) given the right market conditions, cash vouchers can be an important social protection mechanism for poor households. Several other interviewees said less targeted measures - such as subsidies or reduced taxes on cereals, which the government is taking to try to control prices - are expensive and inefficient because the rich also benefit.
Doch natürlich haben die betroffenen Staaten ebenfalls Maßnahmen ergriffen, um ihre Bevölkerungen vor Hunger zu schützen:
Mali has lowered taxes on imported rice. Niger, Chad and Mauritania have made subsidized grains available. The new government in Senegal is attempting to bring down cereal prices through consultations with importers, distributors and consumer groups. Burkina Faso has tried to fund selected traders to sell staple grains at reduced prices, but they did not respect the contract and the government now aims to open shops in 182 communes, selling rice at $14 per 25kg bag.
Und trotz der oben angesprochenen - und allgemein bekannten - Probleme haben Mali und Burkina Faso zusätzlich Exportverbote verhängt.

Insgesamt werden etwa eine Milliarde US-Dollar im Sahel gebraucht, um die schlimmsten Auswirkungen der Hungersnot zu vermeiden. 285 Mio. US-Dollar fehlen noch. Um den Auswirkungen der Dürre und Not in den bereichen Gesundheit, Trinkwasser, Bildung und soziale Sicherheit entgegen zu treten, geben die Industrieländer derzeit praktisch gar kein Geld:
(...) the Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) (...) estimates that non-food sectors like health, clean water, education and protection bring the needs to at least $1.5 billion.
Agriculture, livestock and non-food sectors are severely underfunded. In the emergency appeal for Chad, funding for education is at only 6 percent of the requested amount, and for water and sanitation just 8 percent, while in Niger's appeal, education is 0 percent funded, with water and sanitation at 18 percent, according to OCHA.
Die Welthungerhilfe schätzt, dass die Ernährungssicherheit von 18,4 Mio. Menschen in der Region bedroht ist (auch MediaWatch hatte berichtet) Schon 2011 war die Lage kritisch gewesen. Bei IRIN gibt es noch weitere interessante Berichte zum Beispiel zur Ernährungslage im Norden Malis und in Nigeria.

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