Mittwoch, 21. März 2012

Öffentliche Pharmaforschung?

Die folgenden beiden Meldungen hat Ihr/Euer ergebenster MediaWatch-Redakteur in den letzten Tagen für die Subhomepage Gesundheit des Evangelischen Entwicklungsdienstes verfasst.

Ausnahmsweise kommt heute die Moral einmal nicht am Ende der Geschichte sondern vorweg. Das wäre alles (zumindest in dieser Form) nicht nötig, wenn Deutschland und andere Länder auch eine vernünftige öffentliche Pharmaforschung - oder wenigstens Forschungsförderung - hätten:

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Das indische Patentamt hat entschieden, dass der deutsche Pharmariese Bayer eine indische Firma, die ein Krebsmedikament für drei Prozent des von Bayer verlangten Preises anbietet, nicht an der Produktion hindern darf. Im Bereich von Pharma-Patenten ist es den Staaten erlaubt, Zwangslizenzen für die Herstellung von Generika zu erteilen.

Das indische Patentamt erkannte nun zum ersten Mal für Indien eine Zwangslizenz an. Es stellte fest, dass das Medikament für die Behandlung von Nieren- und Leberkrebs (Sorafenib) von Bayer nicht angemessenen vermarktet wird. Die indische Pharmafirma Natco darf das Medikament deshalb als Generikum herstellen und muss dafür sechs Prozent ihres Umsatzes als Lizenzgebühr an Bayer zahlen. Darüber hinaus muss Natco 600 Patienten kostenlos versorgen.

Bisher hat die Behandlung mit dem patentierten Bayer-Medikament 4.200 Euro pro Monat gekostet - schon für europäische Verhältnisse ein hoher Preis, in Indien geradezu astronomisch. Jetzt können Krebskranke stattdessen für etwa 130 Euro pro Monat behandelt werden.

Im Rahmen des Menschenrechts auf Gesundheit haben Menschen das Recht auf den Zugang zu Medikamenten. Dieser darf nicht durch überhöhte Preise eingeschränkt werden. Die Zwangslizenz - so hoffen zumindest Advocacy-Organisationen - könnte außerdem für Konkurrenzdruck sorgen, so dass die Preise für das Medikament weiter sinken könnten. Die Zwangslizensierung könnte ein Beispiel für andere Bereiche werden - zum Beispiel bei anti-retroviralen Medikamenten der zweiten Genration. Würden diese zu niedrigen Preisen vermarktet, könnten mehr Menschen mit HIV/Aids besser behandelt werden.

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Anlässlich des Welt-Tuberkulose Tages, der jedes Jahr am 24. März stattfindet, erinnerte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon daran, dass die Infektionskrankheit samt ihrer tödlichen Konsequenzen lange vernachlässigt wurde. Allein 2010 seien neun Millionen Menschen an TB erkrankt und 1,4 Millionen daran gestorben – davon 95 Prozent in Entwicklungsländern. Das mache TB weltweit zur zweithäufigsten Todesursache unter den Infektionskrankheiten. Dabei sei das millionenfache Leid unnötig, betonte Ban Ki Moon. TB sei heilbar und entschlossenes Eingreifen könne die Zahl der TB-Erkrankungen immens senken. Dies beweisen auch die Erfolge im Kampf gegen die Krankheit: Seit 1990 sind die Todesraten um 40 Prozent gesunken. Seit 1995 wurden 46 Millionen Menschen geheilt und 7 Millionen Leben gerettet.

Neben den Erfolgen gibt es weltweit allerdings noch beträchtliche Herausforderungen beim Kampf gegen die Tuberkulose. Besorgnis erregt vor allem die die Zunahme der Antibiotika-Resistenzen bei Tuberkel-Bazillen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte, dass 2006 weltweit rund 500.000 TB-Fälle mit multiresistenten Erregern auftraten. 2010 waren es bereits 650.000 Fälle. Die Ausbreitung von Resistenzen wird vor allen dadurch möglich, dass nicht genügend neue Präparate zur Verfügung stehen. Ein weiteres Problem ist die Ausbreitung von TB unter Menschen, die mit HIV leben. Wenn nicht bald neue, wirksamere Medikamente zum Einsatz gelangen, könnten nach Schätzungen von UNAIDS zwischen 2010 und 2015 bis zu zwei Millionen HIV-Infizierte an Tuberkulose sterben.

Wer die Moral nicht glaubt, halte sich einmal folgende Zahlen von 2010 aus der Broschüre "Forschung für vernachlässigte Krankheiten" vor Augen:
Eine unabhängige Bewertung von rund 1.000 neuen Wirkstoffen bzw. Anwendungsbereichen über die letzten zehn Jahre ergab, dass die Hälfte (51 Prozent) keine Verbesserung der Behandlung bringen. Dagegen können nur zwei Prozent als deutlicher therapeutischer Fortschritt bewertet werden. 14 Prozent galten schon zum Zeitpunkt der Zulassung wegen eines un- günstigen Nutzen-Schaden-Verhältnisses als inakzeptabel.  

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