Sonntag, 19. Februar 2012

Wer kann, geht.

In sporadischen Abständen tauchen immer wieder Äußerungen von Fachleuten oder -organisationen auf, die darauf hinauslaufen, dass sie bemüht sind, die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, davon zu überzeugen, dass sie auf dem Lande wohnen bleiben und dort ausharren sollen. Dies gilt sogar für marginale Standorte, wo Landwirtschaft ein verzweifelter Überlebenskampf ist, statt menschenwürdige Produktion von Lebensmitteln zu sein.

So zitiert Entwicklungspolitik Online in dem Beitrag "Abwanderung aus den Dörfern verhindern" Martin Kessler, den Leiter der Programmabteilung der Diakonie Katastrophenhilfe zur Hungersnot im Niger mit den Worten: "Wir wollen es den Menschen ermöglichen, auf ihren Höfen zu bleiben, um eine Abwanderung in Lager oder städtische Elendsviertel zu verhindern". Auch in weniger bedeutenden Hilfsorganisationen findet sich diese Haltung immer wieder (1), (2). In "Wege aus der Hungerkrise" wird der Irrtum auf Seite 41 besonders deutlich:
Ernährungs-Souveränität, das Recht und die Möglichkeit, sich und seine Gemeinden selbstbestimmt mit ausreichender, gesunder Nahrung zu versorgen, ist für die große Mehrheit der heute Hungernden der entscheidende Schritt aus der Armutsfalle (...).
Mitnichten. Das Recht und die Möglichkeit, sich selber zu ernähren, ist für die rund 1,5 Milliarden Kleinbauern weltweit die Grundvoraussetzung, um zu überleben. Aber für eine solide wirtschaftliche Entwicklung braucht man Arbeitsteilung und Wertschöpfungsketten. Da muss Handwerk her, Gewerbe, Genossenschaften, Bankfilialen, VersicherungsvertreterInnen und Industriebetriebe. Da braucht es Straßen, Brücken, Wasser- und Energieversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, Schulen, ein funktionierendes Gesundheitswesen und bezahlbare Transportmittel, um alles zu erreichen. Weil es aber teuer ist, das alles in der Fläche zu verwirklichen und die PolitikerInnen ländliche Räume oft vernachlässigen, gehen die Menschen weg, müssen sie weggehen.

Warum bedenken nicht alle Entwicklungsorganisationen das schon bei ihrer Planung? Wenn die Menschen sich entscheiden, in die Stadt zu gehen, tun sie das nicht leichtfertig. Sie sind nicht naiv. Sie wissen, dass das Leben dort teurer und Arbeit nur schwer zu finden ist. Dennoch: Wer kann, geht. Die Zielsetzung humanitärer und entwicklungspolitischer Maßnahmen sollte deshalb nach unserer unmaßgeblichen Meinung vor allem sein, die Wünsche und Möglichkeiten der Zielgruppen zum Ziel der gemeinschaftlichen Anstrengungen zu machen - auch dann, wenn man (als Geldgeber) selbst teils andere Vorstellungen hegt als die, die Menschen, die man unterstützt. Wer bleiben will. hat alle Unterstützung verdient. Aber auch wer gehen will, sollte nicht allein gelassen werden.

Es ist sicher möglich, die ganze Menschheit von handwerklich arbeitenden Kleinbauern mit biologisch angebauten Lebensmitteln zu versorgen. Das kann aber nicht als Begründung dafür dienen, Menschen zu diesem Entwicklungsziel verpflichten zu wollen. Im Gegenteil: Verantwortungsvolle Entwicklungszusammenarbeit sollte es ebenso als Aufgabe verstehen, migrationswillige Menschen für ihr neues Umfeld fit zu machen. Dazu ist vor allem Bildung nötig.

Menschen, denen es gelingt in der Stadt oder in den gelobten Ländern im Norden ein wenig Geld zu paren, können etwas davon nach Hause schicken. Und das tun sie auch; locker drei Mal so viel wie wir Entwicklungshilfe geben. Das hilft - nicht nur in schweren Zeiten, sondern auch, um Überschüsse zu erwirtschaften. Denn nur, wer mehr herstellen kann (oder mehr Lohn erhält) als er oder sie zum Leben braucht, kann investieren und der Armutsfalle Subsistenzlandwirtschaft entgehen. Es ist fein, wenn man auf dem Land sein Auskommen findet. Wenn es nicht einmal mehr zum Überleben reicht, kann man Hilfe auf dem Weg in die Stadt gut, sehr gut gebrauchen.

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