Montag, 18. Mai 2009

Der Stabilisierungseinsatz

Bundesverteidigungsminister Franz Jung hat der Frankfurter Rundschau ein Interview gegeben. Der Titel den die Redakteure dafür ausgesucht haben, lautet: "In Afghanistan ist kein Krieg".

Zunächst zeigt sich der deutsche Verteidigungsminister darin sehr zukuntfsorientiert. Unter anderem hält er Mandate von den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union für Einsätze von deutschen (Spezial-) Truppen im Ausland für überflüssig:
(...) bei Auslandsmissionen müssen wir klarstellen, dass beide Elitetruppen [GSG 9 und KSK] gemeinsam eingesetzt werden können, auch wenn wir ohne Mandat von UN oder EU handeln.
Dann zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr:
Ich halte es für falsch, von einem Krieg zu sprechen. Es ist ein Stabilisierungseinsatz. Denn allein militärisch werden wir in Afghanistan keinen Erfolg haben. Ein Krieg wird nur militärisch geführt. Im Krieg findet kein Wiederaufbau statt, kein Bau von Schulen oder Krankenhäusern, im Krieg werden keine einheimischen Streitkräfte ausgebildet. In Afghanistan ist kein Krieg. (...) Ich denke, wir müssen mindestens die nächsten fünf bis zehn Jahre in Afghanistan präsent bleiben.
Interessant ist, dass die Entwicklungshelfer in Afghanistan den Erfolg garantieren müssen: "allein militärisch werden wir in Afghanistan keinen Erfolg haben". Da hätte man vielleicht einen Sündenbock für spätere Notfälle. Bisher haben 32 deutsche Soldaten im Afghanistan-Einsatz ihr Leben verloren. Dass die Entwicklungshelfer aus aller Welt bei diesem "Stabilisierungseinsatz" in Afghanistan nicht nur wichtiger sind, sondern auch mehr riskieren als deutsche Soldaten, darüber sieht Jung allerdings hinweg. Die FAZ zur Faktenlage:
Die Zahl der getöteten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen habe sich binnen Jahresfrist verdoppelt. 38 Helfer seien getötet und 147 weitere entführt worden. Die Arbeit von Hilfsorganisationen werde immer schwieriger. Weite Teile des Landes würden als „extrem riskante, feindliche Umgebung“ für Hilfsoperationen eingestuft.
Es ist erstaunlich, dass diese Sachlage nicht schon lange zu scharfen Protesten von Seiten der entwicklungspolitischen NRO geführt hat. Ist man derart auf staatliche Gelder angewiesen, dass man nicht glaubt, sich das leisten zu können oder teilt man die Kriegsziele von Bundeswehr und NATO?

Die Kritik der meisten NRO hinterfragt die grundsätzlichen Aspekte des Einsatzes überhaupt nicht. Auch die amtliche Sprache wird übernommen. Eher beschäftigt man sich damit, den schwarzen Peter für die ausbleibenden Erfolge an das Militär zurückzuspielen. In einem VENRO-Positionspapier zu den "Provicial Reconstruction Teams" (PRT) der NATO heißt es:
Wie eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik vom Mai 2008 feststellt, hat sich seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes das Aufgabenspektrum der Bundeswehr von einem Stabilisierungseinsatz hin zu einer schwerpunktmäßig der Aufstandsbekämpfung dienenden Operation verschoben. (...)

Die Arbeit der Hilfsorganisationen in einem Postkonflikt-Land wie Afghanistan beruht vor allem auf der Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese Akzeptanz kann nur dann aufrechterhalten werden, solange der Unterschied zwischen militärischen und zivilen Akteuren für die afghanische Bevölkerung erkennbar und nachvollziehbar bleibt.
Postkonflikt-Land? In Afghanistan warem im Januar 2009 über 55.000 ausländische Soldaten aus 12 Ländern stationiert. Und nach dem Willen von US-Präsident Barack Obama sollen es 70.000 werden. 2000 Zivilisten - vielleicht auch doppelt so viele - sind 2008 in Afghanistan gewaltsam ums Leben gekommen - mindesten 6800 wurden verletzt. Die abschließende Forderung im VENRO-Positionspapier ist ebenfalls auffallend vorsichtig formuliert:
Ein realistischer Zeitplan für eine militärische „Exit“-Strategie würde die Glaubwürdigkeit des Westens, Afghanistan wirklich Frieden und Entwicklung bringen zu wollen und nicht eigene strategische Interessen zu verfolgen, erheblich stärken.
Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international wird deutlicher:
Notwendig ist ein Prozess des militärischen Disengagement, das den Weg frei macht für eine politische Lösung. (...) Statt Truppenaufstockung ist zivile Konfliktlösung und eine entwicklungspolitische Offensive gefragt.
Doch am entscheidenden Punkt knickt auch Gebauer ein: Eine solche Lösung solle von der afghanischen Bevölkerung "weitgehend" selbst bestimmt werden, heißt es in der Pressemitteilung.
Weitgehend? Wie viel Selbstbestimmung darf es denn sein?

Da hat Julian Reichelt von Bild.de vergleichweise klare Vorstellungen. Er weiß, wem Afghanen und Deutsche Dank schulden (letzter Zugriff 17. Mai 2009):
"Unsere Soldaten in Afghanistan kämpfen – und sterben – dafür, dass Kinder dort wieder zur Schule gehen können. Sie sind Helden. Wir sollten sie auch wie Helden behandeln. "
Aber in einem Punkt ist Reichelt ehrlicher als Jung:
(...) spätestens jetzt muss jeder erkennen: Die Bundeswehr ist im Krieg.
Bleibt abzuwarten, wann seine Forderung nach Bewaffnung der deutschen Tornados mit Bomben "um deutsche Soldaten in Not aus der Luft unterstützen zu können" offizielle Regierungspoltik wird.

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