Mittwoch, 1. März 2017

Das komplizierte Leben eines Bauern

Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch
aus dem Hügelland südlich von Hebron (South Hebron Hills). 


Jibreen ist Farmer und lebt im kleinen Dorf Qawawis in den South Hebron Hills (siehe Karte). Am 8. Februar wurde er von der israelischen Polizei festgenommen. An diesem Tag hatten wir ihn mit seinen etwa 40 Schafen und einigen Lämmern ganz in der Nähe seines Wohnortes begleitet. Er hatte in der Vergangenheit immer wieder Übergriffe von Siedlern erlebt und daher unsere Präsenz als Schutzmaßnahme angefragt.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes liegen die drei Siedlungsaußenposten Mitzpe Yair, Avigail und Maon Farm. Bis vor kurzem galten alle Außenposten nach israelischem Recht als illegal (nach internationalem Recht sind auch alle israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten illegal), selbst wenn sie vom Staat mit Wasser, Strom und vor allem mit militärischem Schutz versorgt werden. Am 6.Februar jedoch verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, ein neues Gesetz, das die rückwirkende Legalisierung solcher Außenposten erlaubt, von denen viele auf privatem palästinensischem Land stehen.
Während wir Jibreen beim Schafe hüten zuschauen, kommt ein Siedler wütend auf uns zu. Er hält uns sofort seine Kamera ins Gesicht und lässt sich nicht auf die Fragen ein, die wir ihm höflich stellen. Er fordert Jibreen auf, das Land zu verlassen und ruft über Handy das Militär. Schon zehn Minuten später kommt ein Jeep die Straße hochgefahren und drei Soldaten der israelischen Armee steigen aus. Sie laufen in etwa 100 Metern Abstand eine Weile neben uns her, bis sie schließlich zu uns herunterkommen.

Die Soldaten machen Jibreen darauf aufmerksam, dass er sich in einer sogenannten geschlossenen militärischen Zone ‚closed military zone‘ befindet und diese verlassen muss. Jibreen ist aufgebracht und betont wiederholt, dass er hierher schon immer mit seinen Schafen zum Grasen käme. Der Wortführer der drei Soldaten ist sichtlich um De-Eskalation bemüht und redet freundlich auf ihn ein.

Inzwischen wissen wir über unsere Kontaktperson von B‘Tselem, dass Jibreen tatsächlich die Grenze zu einer geschlossenen Militärzone übertreten hat. Militärzonen können von der israelischen Verwaltung in Area C jederzeit kurzfristig zu Trainingszwecken und zur Sicherheit der Siedler verfügt werden. Daneben gibt es dauerhafte militärische Sperrzonen, in denen sich zum Teil auch palästinensische Gemeinden befinden, z.B. die Firing Zone 918 ganz in der Nähe von Qawawis.


Ein zweiter Militär-Jeep und ein Wagen der israelischen Polizei kommen und halten auf unserer Höhe. Nach einigem Hin und Her nehmen sie Jibreen fest. Später erfahren wir, dass er noch am Abend gegen eine Summe Geldes, die für ihn aufgetrieben wurde, freikam.

In der darauffolgenden Woche besuchen wir Jibreen, um zu erfahren, wie es ihm ergangen ist. Er lebt seit der Verhaftung zurückgezogen in einer ehemaligen Zisterne, einer geräumigen Höhle in der Nähe von Qawawis. Sie ist so abgelegen, dass wir nur nach einem strammen Fußmarsch von etwa einer halben Stunde zu seinem neuen Domizil gelangen. Selbst die üblichen Armeejeeps können hier nicht fahren. Er möchte sich und vor allem seine Familie vor weiteren Übergriffen schützen, daher lebt er nun zunächst getrennt von ihnen außerhalb des Dorfes.

„Sie haben mich zunächst gut behandelt“, erzählt er uns bei einer Runde Tee von den Ereignissen der Vorwoche. „Die Armee und die Polizei kennen mich seit vielen Jahren und wissen, dass ich Papiere für dieses Land habe. Nachdem ich sie ihnen gezeigt habe, sagten sie, dass das Land nun eine Militärzone ist und weder von den Siedlern noch von mir betreten werden darf. Danach wollten sie mich gehen lassen. Aber gerade, als zwei Polizisten in Zivil mich nach Hause fahren wollten, kommt derselbe Siedler, der mich vertrieben hat, mit zwei Soldaten eines anderen Distrikts. Zusammen diskutieren sie abseits mit dem diensthabenden Officer. Er soll mich ihnen überlassen, um den Fall erneut zu verhandeln, weil ich das Gesetz übertreten und mit meinen Schafen Eigentum der Siedler zerstört hätte. Sie können ihn überzeugen und ich muss mit ihnen gehen.“

Jibreen fällt es schwer, fortzufahren: In dem anderen Distriktbüro drehte sich der Wind und die Situation wendet sich aggressiv gegen ihn. Er und seine ganze Familie wurden als kriminell beschimpft, berichtet er uns stockend. Unser Übersetzer möchte die Beschimpfungen lieber nicht wiederholen. Der Siedler und die dort anwesenden Soldaten sind nach Jibreens Eindruck schon lange miteinander verbandelt. Schließlich wurde eine Summe von 500 Shekel (etwa 125 €) festgesetzt und ein Bericht über seine Straftaten erstellt, dessen Kopie er uns zum Abschied zeigt. Er kann dabei sogar noch lächeln.

Wie lange er in der Höhle wohnen will, weiß er noch nicht. Er möchte erst einmal nur in Ruhe und ohne Belästigung weiterhin seine Schafe hüten.

Der Beitrag ist zuerst im Netzerk des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI) erschienen. 

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