Montag, 8. Juni 2015

"John and Jane" - ein Film von Ashim Ahluwalia aus einem Callcenter in Mumbai

Ein Gastbeitrag von Ina Zeuch

Sie heißen Glen, Kitty oder Sydney und die Abteilungen ihrer Großraumbüros sind nach amerikanischen Großstädten benannt. Sie arbeiten nachts und schlafen tagsüber. Sechs Arbeiter in einem Mumbaier Callcenter werden von der Kamera von Ashim Ahluwalia bei ihrem Job und nach Hause begleitet. Sie fängt ihre schlafwandlerischen Bewegungen durch Mumbai ein, aus dem Off hört man sie sprechen oder sie stehen direkt vor der Kamera und erzählen in knappen Sätzen über ihr Leben, ihren Job, ihre Träume. Neben den fiktiven amerikanischen Namen steht auf ihren vom Callcenter geführten Karteikarten ihre jeweilige Blutgruppe, immerhin Fakt ihrer biologischen Herkunft - sonst nichts. Damit führt Ahluwalia sie ein.  Der Film ist bereits 2005 gedreht, aber wie so oft kommt man teils nur durch Zufall aus dem eurozentrischen Blickwinkel heraus und entdeckt so vieles erst Jahre später.   

'Kitty' 

Neben diesen sechs Protagonisten bekommt man auch einen Blick hinter die Kulissen:  die Paukerei in den Sprachtrainings mit rasantem Nachsprechtempo, das Auswendiglernen über Details zu den kulturellen Hintergründen der jeweiligen amerikanischen Bundesstaaten, welches Wetter dort gerade vorherrscht und ähnliches   -  alles Rüstzeug für den smalltalk, um fiktive Beziehungen zum Kunden herzustellen - und immer wieder Anschauungsmaterial aus amerikanischen Katalogen und Magazinen, die das Amerikanische schlechthin darlegen sollen: Der Amerikaner - das Überwesen, die postkoloniale Größe, vor der alles Indische zu Bedeutungslosigkeit schrumpft.   
Eine endlose Reihe von Menschen an ihren Telefonen mit Headsets spricht absurde Texte an Menschen auf der anderen Seite der Welt hin, die zum Kauf und der Herausgabe ihrer Daten animiert werden sollen. Jeder erfolgreiche Abschluss bringt ein kurzes befriedigtes Lächeln auf die ermüdeten Gesichter, aber oft genug werden sie auch beschimpft, der Hörer wird aufgeknallt und die verlorene Zeit eines erfolglosen Gesprächs muss wieder eingeholt werden - selbstverständlich wird alles videoüberwacht.
'Osmond'
Ahluwalia gelingt es, durch diese dokumentarisch nüchternen Aufnahmen etwas durchschimmern zu lassen, was einem mit jeder weiteren Szene des Films mehr unter die Haut geht: Das ist nicht nur die Monotonie dieser Arbeit, sondern vor allem die ungeheure Selbstkontrolle seiner Protagonisten - die meisten kaum älter als 25. In ihren Aussagen über sich selbst schwelt ein deprimierendes Minderwertigkeitsgefühl über ihr Land, ihre Herkunft. Was sie erreichen wollen? So zu werden wie sie, die auf der anderen Seite einer vermeintlich viel besseren, entwickelteren und menschlicheren Welt leben - in einem Wundertraumland, wo man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas kaufen kann.

'Sydney'
Back to India" nennt einer das frustrierende Gefühl, wenn er die Welt seines Callcenters verlässt und sich wieder im realen Mumbai bewegt. Nur 'Glen' hasst seine Arbeit und durchschaut deren miese Bedingungen, die für niemanden eine echte Chance bieten, sondern einfach nur ausbeuterisch sind. Seinem Freund, der mit ihm durch Mumbai fährt, gibt er Geschichten aus seinem Arbeitsalltag zum Besten. "Are you an answering-machine? No, we are only humans."

'Glen'

'Kitty' geht dagegen völlig in ihrer Callcenter-Familie auf. Nicht nur verwechselt sie ihre Kundengespräche mit realen Beziehungen, wenn diese sie fragen, wie es ihr geht oder ihr einen schönen Feierabend wünschen. Sie hat zudem ihr gesamtes Outfit 'amerikanisiert', blond gefärbt sind selbst ihre Wimpern und Augenbrauen, ihre Haut so rot wie die von sonnenverbrannten Touristen, als sei dies ein besonderes Schönheitsmerkmal. Und sie führt auch ihr Leben wie eine Touristin, stromert in ihrer wenigen Freizeit durch die Discos der Stadt im amerikanischen Freizeitlook. Natürlich wünscht sie sich einen blonden 'John', der mit ihr  dieses Leben zwischen den Welten und dieselben Konsummuster teilt, während 'Sydney' Wut und Frust über seine auslaugende Arbeit mit Shoppen und Tanzen abreagiert. Er ist der einzige, der tatsächlich aus einem Slum in Mumbai kommt. Er, der vermutlich den weitesten Weg bis zu diesem Job hinter sich hat, ist der wortkargste Zeuge einer Welt, in der er niemals dauerhaft ein Leben in ökonomischer Sicherheit - geschweige denn Wohlstand - führen wird. 
'Kitty'
Differenziert  hält Ahluwalia auch die amerikanischen Kunden fest. Sie sind nicht einfach nur tumbe Konsumenten, vielmehr verweigern sie sich oft genug einer Bestellung - die meisten von ihnen, die in diesem Film zu Wort kommen, sind Rentner und alleinstehend, sie haben nichts mehr vor mit ihrem Leben. Einige ahnen, das was nicht stimmt mit diesem Service wie die Frage nach dem Anrufbeantworter verrät, aber sie durchschauen es nicht wirklich. Das ist das einzige Detail, das  darauf hinweist, dass der Film schon 10 Jahre alt ist.


Ahluwalia nutzt das teils ziellose Streunen - vor allem von 'Glen', 'Sydney' und 'Kitty' - auch dazu, seine Stadt Mumbai zu porträtieren, die rasante Veränderung der letzten 25 Jahre durch architektonische Großprojekte, oft blinde Nachahmungen einer Mischung aus Dubai und Las Vegas, trostlosen Themeparks und Spielhallen in den Basements der Callcenter, in dem sich einer der Protagonisten seine Zeit vertreibt, bis seine Frau müde und grau aus ihrer Tagschicht kommt und sie eine kurze Weile im leeren Restaurant des Centers amerikanisches Fastfood zu sich nehmen, bevor er seine Nachtschicht antritt. Das ist vielleicht die trostloseste Szene des Films.

Mahalaxmi-Viertel in Mumbai (Foto: Ina Zeuch)
Die indische Rezeption von "John and Jane"  verrät noch weit mehr über die neoliberale Verwüstung von Lebensläufen, die Freiheit und Chancen zu versprechen scheinen und nur kalte Indifferenz hervorbringt. In der inzwischen vergriffenen Ausgabe des indischen Kunstmagazins Marg "Beeing Here, Now - Some Insights into Indian Cinema" vom März 2010 rezensiert Kaunteya Shah ausführlich Ahuwalia's Regiearbeit:   
In Ahluwalia's cinema it seems, that the older generation can no longer be relied upon as a source of security, as they are eager to project their ambitions onto their children in the cut-throat  globalized world. ...'John and Jane' is a depiction of globalization in extremis. Confronted by an Indian modernity dominated by a shrill nationalism, a chauvinistic reinterpretation of religion, an increasingly synthetic materialism.... the film is one of the most prescient cinematic portaits of contemporary urban India."

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