Mittwoch, 28. Januar 2015

Überleben in Johannesburg: Ein Roman von Kgebetli Moele

Umschlag des Romans "Room 207" (Scan)
Ein Gastbeitrag
von Ina Zeuch

Johannesburg in den 90er Jahren: Zum ersten Mal nimmt die schwarze Mehrheit des Landes nach der Abschaffung des Apartheidsystems an der Wahl teil und wählt Nelson Mandela und die Partei des ANC an die Macht. Die weiße Minderheit befindet sich auf dem Rückzug. Das ehemals weiße Viertel Hillbrow wird von schwarzen Studenten und Migranten aus ganz Afrika 'erobert', die den Diktaturen ihres Landes entfliehen. Für alle ist dieses Viertel der Ort, wo man sein Glück sucht, um als gemachter Mann in die komfortableren Randbezirken der Stadt zu ziehen und ein Leben in Luxus zu genießen; mindestens aber zu einer geregelten, bürgerlichen Existenz zu kommen.

Das ist die Ausgangssituation von "Room 207" des südafrikanischen Autors Kgebetli Moele, der mit Unterstützung des National Arts Council of South Africa seinen ersten Roman veröffentlichte.
Das Appartment mit der Nummer 207 befindet sich in einem ehemaligen Hotel (mit einem Wachmann an der ehemaligen Rezeption) mitten in Hillbrow. Glückssucher und Bildungshungrige - schwarze Studenten, die endlich Zugang zu den Universitäten haben -  bescheren der einstmals schicken Residenz der Weißen einen Boom, die es binnen kürzester Zeit  zum dicht besiedeltsten Teil Joburgs - auch Sincity - anwachsen lässt.
Hillbrow isn't a capital of sin, it's just a residential area where people are living and trying to make a living. After slaving, after school, after the formal part of of our lives, we mingle and mend, use and abuse what we can use and abuse while hoping to never get used and abused ourselves. Those are the ways of the city.
Zu sechst hausen die Protagonisten des Romans in Room 207 und mit  der minutiösen Beschreibung der beengten Räumlichkeit und des Tagesablaufs beginnt auch der Roman. Matome, ein charismatischer Jugendlicher, der zu Beginn der Romanhandlung 18 Jahre jung ist - dreist, clever, schnell -  ist das Zentrum der WG. Er hat die anderen nach und nach von der Straße weg zu seinen Mitbewohnern gemacht, denn nur so kann die Miete gestemmt werden. Matome ist ein Macher, einer, für den nur die Gegenwart zählt. Außer dem, was er in dieser umittelbaren Gegenwart sagt und tut, erfährt man nichts über seine Vergangenheit, nichts darüber, wo er herkommt und wie er in Hillbrow gelandet ist. Das Bemerkenswerteste ist seine Beziehung zu Frauen: Sex interessiert ihn nicht, während seine hormonüberschwemmten Mitmieter oft nichts anderes im Kopf haben. Ebenso bemerkenswert wie gewöhnungsbedürftig ist die Figur des Zuluboy - ganz offensichtlich eine Hassfigur des Ich-Erzählers.

Traditionaller Tanz eine Zulu-Kindes in Attritchvillle bei Pretoria.
Foto: Hein Waschefort, CC-BY-SA-3.0, wikimedia
Dass er ihm keinen anderen Namen als den seiner ethnischen Abstammung  gibt, scheint die Rache dafür zu sein, dass er Zulus als tribalistisch beschreibt. Die ordnen ihrerseits alle anderen, sofern sie schwarz sind, nach ihrer tribalen Zugehörigkeit ein. Zuluboy ist eine Art Gegenfigur zu Matome, mit ähnlichem Potential wie dieser. Aber nach einer bewegten, teils kriminellen Vergangenheit interessiert ihn vor allem, so viel Spaß wie möglich  haben. Die Prostituierten sind seine Vorliebe. Aber, stellt Zuluboy klar,  wenn er erführe, dass er Aids habe, bringe er sich um.

Im Appartment 207 gibt es einige strikte Regeln, um das Zusammenleben zu organisieren und man räumt schon mal das Feld, wenn die Freundin eines Mitbewohners aufläuft, was den Mangel an Privatheit trotzdem nicht behebt. Wer mit wem gerade zugange ist, bleibt letztlich niemanden verborgen und auch nicht die Seitensprünge, die Frauen ebenso wie Männer riskieren. Das Wertvollste an dem Roman ist, dass man viel über einen ganz anderen Umgang mit dem Leben und viel über den schwarzen südafrikanischen Machismo erfährt, der gleichzeitig mit einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl einhergeht.
A hatefull love, a blind self-pride and artificial black proud-ness: that is what  I am looking at all in my black brothers and sisters...look deep in your hearts, brothers and sisters, we are not happy people.
Das lässt der Autor Molamo in einer dieser aufschlussreichen Diskussionen sagen, die man in Room 207 belauscht. Vermutlich wendet sich Moele an ein schwarzes Publikum. Denn zu offen und angreifbar sind seine Charaktere - allen voran die Figur des Zuluboy - als dass sie nicht mühelos von einem weißen Publikum als Bestätigung rassistischer Bilder ausgeschlachtet werden könnten. Man könnte also eine ganze Reihe von Vorurteilen bestätigt sehen, und die weiße/westliche Leserschaft sollte diesen Roman deshalb mit doppeltem Respekt behandeln und sich hüten, aus der Offenheit und Ehrlichkeit des Autors wohlfeile Allgemeinplätzchen eigener Überlegenheit zu backen.

 Kühltürme eines Kraftwerks nahe Soweto, Johannesburg.
Foto: Michael Denne. Wikimedia NJ_ZA
Es geht um Erfolg und Scheitern - mitten in einer Gesellschaft im Umbruch nach der Apartheid in einer wahrlich brutalen Stadt. Welcome to Johannesburg, das ist der Spruch, den man serviert bekommt, wenn mal richtig auf die Fresse bekommen hat. Nach einem blutigen Raubüberfall des Ich-Erzählers erklärt Matome, wie er das zu nehmen hat: 
...your blood has been spilt and mixed with its soil. You and the city are in perfect connection with each other. Your blood runs in its veins as it runs in your blood... 
Private Bildungsinstitute, die nutzlose Zertifikate vergeben, schießen wie Pilze aus dem Boden und fliegen aber erst kurz vor der Abschlussprüfung auf, weil ihnen die staatliche Zulassung dafür fehlt. Mehr als zehn Jahre beschreibt Moele das Leben des Ich-Erzählers mit seinen fünf Mitbewohnern, alle "drop-outs". Teils sind sie ohne eigenes Verschulden in den Schlamassel geraten, teils haben si es aber auch schlichtweg vergeigt. D'nice zum Beispiel, ein gelangweilter Überflieger mit Stipendium - "his specialitiy: the rich, spoilt white girls" - und Trinker, fühlt sich plötzlich als Musiker berufen und fängt an, in einer Band zu spielen. Außer Zuluboy, dessen Lebenskonzept am ehesten als das Fahren gegen die Wand bei vollen Bewusstsein beschrieben werden kann, sind alle irgendwie künstlerisch unterwegs, "wannabe-artists...ghetto intellecutals...with a degree in something-something ..." Gelegenheitsjobs, die weiter keine Erwähnung finden, halten sie über Wasser, während ihre künstlerische Selbstausbeutung - wie auch hier in der reichen westlichen Welt - in einem nicht-monetären Paralleluniversum stattfindet, wo jeder auf seine Chance wartet. Doch nur Matome strickt daraus einen handgreiflichen Erfolg:
There are journalists, there are lawyers, film makers and ... they are all here on a favours-only/no payment basis.....I don't want to work for Sony or EMI. Brains Records is my life, I'm building it from nothing with nothing.
Die Innenstadt von of Johannesburg. Foto: Lars HaefnerWikimedia GFDL.
Nie mehr die Bimbos der Nation zu sein, das ist eines ihrer Motive, dein anderes ist die Gründung einer Familie oder wie es im Roman heißt "to see my own face in the mirror". Deshalb nehmen die Liebesbeziehungen einen großen Raum ein. Einige Dialoge dazu wirken wie schrille  Nachahmungen von Telenovelas im Nollywoodstil - kaum zu ertragen. Aber in all dem steckt eine immense Hoffnung, dass trotz des allgegenwärtigem, bloßen Überlebens einmal "Money-Day" kommt, wie Moele's Worterfindung zu Monday lautet oder  "Choose Day" für Tuesday,  wo man eine echte Wahl hat und endlich die Chance kommt, auf die man so lange gewartet hat. Diese Rechnung geht nicht für alle auf, am wenigsten für den Ich-Erzähler.

Scan des rückseitigen Umschlag des Romans "Room 207" (Ausschnitt) 
Man hat kaum eine bessere Chance, das Lebensgefühl dieser jungen, schwarzen Generation nach der Apartheid besser kennen zu lernen als in "Room 207". Die Sprache ist großartig rotzig und die mäandernden Bewegungen der Protagonisten durch die kalte Stadt werden lakonisch und mit viel Slapstick-Witz beschrieben. Trotz der dürftigen Angaben zu Kgebetli Moele kann man vermuten, dass es sich hier um ein stark autobiografisch gefärbtes Werk handelt und dass der Ich-Erzähler, in Room 207, ein Filmskriptschreiber, mit ihm mehr oder weniger identisch ist.

Seine resignierende Bilanz am Ende des Romans " ...reliving-living fourteen years of hard nothing and always ending up in the future, ... a future which, every time I think about, turns pitch-black so that I can't see anything..." dürfte, wenn sie das Schicksals des Autor widerspiegelt, dadurch gemildert sein, dass sein Roman auch auf der anderen Seite der Welt gelesen wird. "Room 207" sind noch viele weitere Leser zu wünschen.

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