Dienstag, 19. August 2014

Neue deutsche Außenpolitik - fünf Klischees

Scheint's sticht sie wieder der Hafer. Selbst zum 100-jährigen Jubiläum des Ersten Weltkriegs entblödet sich ausgerechnet der Chef des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nicht, die EU zu mahnen, dass sie sich "bei Konflikten deutlicher zu Wort zu melden" habe. Die Deutsche Welle berichtet:
Im französischen Metz-Chambière fand ein Gedenkakt des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge statt. Verbandspräsident Markus Meckel rief in einer Rede die Europäische Union dazu auf, sich bei Konflikten deutlicher zu Wort zu melden. Noch stärker als bisher müsse es auf das gemeinsame Handeln der EU ankommen, hinter dem nationale Einzelinteressen zurückzustehen hätten. "In der Ukraine, in Syrien und im Nahen Osten sterben Menschen wie hier vor einhundert Jahren", so Meckel. Es sei vollkommen inakzeptabel, wenn Russland die Krim okkupiere und ein ziviles Flugzeug abgeschossen werde. "Wir erleben einen nicht erklärten Krieg in der Ostukraine - und sind wie gelähmt."
Natürlich gelähmt - was denn sonst? Klar ist man da betroffen. Aber was soll geschehen? Soll "die EU" (und wer wäre das dann?) einmarschieren? Bombardieren? Waffen schicken "wir" ja schon und jetzt auch zu den Kurden.... Die Zeitschrift Internationale Politik (IP) die von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Arend Oetker, dem Chef des gleichnamigen deutschen Nahrungsmittelkonzerns mitbegründet wurde, hat eine kleine Artikelserie zu dem Thema aufgelegt, deren Studium einige Aufschlüsse über die Pläne liefert, die die bundesrepublikansichen Eliten in Bezug auf die neue deutsche Außenpolitik hegen.

Im ersten Beitrag "Denken für Deutschland" kommt gleich zu Beginn das erste Klischee. Es wird behauptet, "Deutschlands Souverän wiederum hatte sich (...) recht schnell und offensichtlich dauerhaft in den Zustand der Ohnmacht verliebt." (Bei Bundespräsident Joachim Gauck heißt das im Umkehrschluss dann "Abkehr von Bequemlichkeit".) Kein Wort zum Beispiel davon, dass Franz-Josef Strauß schon Anfang der 60er Jahren nach deutschen Atomwaffen schielte (1), (2), (3) und aus Washington gerüffelt werden musste. Da war Hitlers Leiche quasi noch warm vom Abfackeln...

Der nächste Punkt ist schwerwiegender. Da wird resümiert:
Berlin, (...) scheut die Hard Power; ist bislang nur als Zivil- und Wirtschaftsmacht hervorgetreten (...), hält sich zu stark bei Friedens- und Sicherheitseinsätzen zurück (...), profitiert vom internationalen Sicherheitssystem, ohne selbst etwas dazu beizutragen (...), ist gar ein „Sicherheits-Trittbrettfahrer“ und vor allem „strategisch schwach“ (...).
Als ob UN-Friedenseinsätze mit NATO-Kampf- oder Sicherheitseinsätzen vergleichbar wären. Und was ist - Klischee No. 2 - ein Sicherheits-Trittbrettfahrer? Eine Regierung, die sich weigert, der Ressourcenzufuhr der Wirtschaft mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen und Rohstoffe lieber ganz normal kauft? Und dass ein "internationales Sicherheitssystem" existiert, darf derzeit eigentlich nur als hartleibiges Gerücht gelten. Eine ganze Reihe von Militäreinsätzen und in der Folge aufgeteilte, angeschlagene oder untergehende Staaten beweisen das Gegenteil: Jugoslawien, Somalia, Afghanistan, Irak, Kolumbien, Libanon, Libyen, Syrien, Pakistan, Jemen und ja, auch der Südsudan und die Ukraine.

Und natürlich - Klischee No.3 - die "Bündnistreue" (1), (2):
(...) der deutschen Enthaltung bei der Abstimmung über eine Libyen-Intervention im UN-Sicherheitsrat, als Berlin sich überraschend – und offensichtlich auch selbst überrascht – in einem Boot mit China und Russland wiederfand. In den Beiträgen der meisten deutschen Autoren wird diese Entscheidung entweder nicht erwähnt oder aber als nachträglich richtig empfunden, denn schließlich habe sich die Situation in Libyen nach der Intervention alles andere als verbessert. Den meisten – gerade westlichen – Beobachtern aber ist der Schock und die Verärgerung über das deutsche Ausscheren nach wie vor anzumerken.
Is klar. Denn was mit einem Militäreinsatz erreicht werden kann (oder soll), ist offensichtlich zweitrangig. Wichtig ist, dass man mitmacht, weil man sonst ein unsicherer Kantonist ist oder gar der "Selbstprivilegierung" (Gauck) anheim fällt.

Hat man sich durch diese Pflichtübungen in geistiger Wehrertüchtigung durchgequält, sind in dem Text "Denken für Deutschland" allerdings auch noch einige lesenswerte Einlassungen zu finden - so zum Beispiel die Feststellung, dass viele ausländische Beobachter Deutschland gerne die Probleme lösen sähen, mit denen ihre eigenen Regierungen nicht fertig werden. Da - bisher - kein wirklich nationalistisch geprägtes außenpolitisches Profil der Bundesrepublik exisitiert, eignet sich eine mögliche neue deutsche Außenpolitik natürlich trefflich als Folie für die eigenen Vorstellungen....

Der nächste IP-Beitrag ist programmatisch mit "Raus ins Rampenlicht" überschrieben und verspricht, eine "Genese" der neuen deutschen Außenpolitik zu liefern. Was dann folgt, beschränkt sich jedoch vor allem auf semantische Fingerübungen. Das ist - Klischee No. 4 - von "Normalisierung" die Rede und - Klischee No. 5 - von Orientierungslosigkeit, die vorher geherrscht habe. Kein Wort zum Beispiel von der Rolle, die Deutschland im Jugoslawien-Krieg gespielt hat, als es die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durchsetzte. Und der Begriff Normalisierung steht hier lediglich für Militarisierung der Außenpolitik.

In "Der überforderte Hegemon" (IP, aus dem Jahr 2011) kommt dann noch die Komponente der deustchen Hegemonialität in's Spiel. Doch auch dieser Beiträg vermittelt und offenbart eine Auffassung, die militärische Einflussnahme oder dementsprechendes Eingreifen als natürliche Zutat in der Suppe internationaler Beziehungen annimmt - Klischee No.4 in anderem Gewand. Als ob es nicht langsam an der Zeit wäre, dass die Menschheit diese grausame und primitive Form der Interaktion ("Krieg") endlich auf den Müllhaufen der Geschichte schmeißt:
Für die Annahme, Deutschlands politische Handlungsspielräume seien gewachsen, gibt es zwei Gründe: den geschwundenen Einfluss Russlands und den schrittweisen Rückzug der USA aus Europa. In dieses Vakuum tritt, beflügelt vom Wachstumsschub, Europas Zentralmacht. 
Solche Machtphantasien sind - eben auch weil sie neu sind - kaum durch allgemein anerkannte Normen eingehegt, und das macht sie so gefährlich. Jochen Hippler formuliert das im Freitag so:
Es gibt schon noch Maßstäbe, aber manchmal sind sie in der Tat schwammig. Eigentlich ist die Sache ja glasklar. Gewalt darf nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden oder auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Alles andere ist völkerrechtswidrig. Aber es gibt eben auch Einfallstore, zum Beispiel wenn man die UN-Resolution „Responsibility to Protect“ nicht als politische Deklaration auffasst, sondern eben auch als Völkerrecht. Einige Staaten und Forscher tun das und fordern Interventionen auf dieser Grundlage. So wird das Völkerrecht relativiert. Also, die Antwort lautet: Die Maßstäbe sind ins Rutschen geraten.
Klischees vom Drückberger und vom (abzulegenden) Sonderstatus oder das immer wiederkehrende Mantra, dass es zu einer Militarisierung deutscher Außenpolitik keine Alternative bestehe (TINA-Prinzip - eine weitere Abwandlung von Klischee No.4), ist unter Hinweisen auf das Grundgesetz und das Völkerrecht weiterhin entschieden engegenzutreten.

Last not least wollen die meisten Menschen hierzulande einfach keine deutschen Militäreinsätze im Ausland. Es gibt ja mit schöner Regelmäßigkeit Umfragen zu dem Thema - aber noch kam wohl niemand auf die Idee, die Deutschen einfach mal zu fragen warum sie keine deutschen Militär- und vor allem keine deutschen Kampfeinsätze im Ausland wollen (- die Redaktion lässt sich gerne eines Besseren belehren).

P.S.: Wie die Wirklichkeit militärischen deutschen Handelns mittlerweile aussieht und was in Zukunft zu erwarten ist, darüber haben die Nachdenkseiten dankenswerterweise kürzlich einen lesenwerten Beitrag gebracht. Sehr spannend sind auch die Einschätzungen eines Jungakademikers zu möglichen künftigen Bedrohungen - Stichwort "hybride Kriegsführung" - im Handelsblatt.

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