Montag, 14. Februar 2011

Wird die Cairo Commune auch gegen den "Pudel" des Diktators aufbegehren?

Jetzt, wo die Armee in Ägypten die Zügel in die Hand genommen hat, ist mit Veränderung in den Machtverhältnissen innerhalb der Eliten am Nil zu rechnen. Ob die Wünsche der DemonstrantInnen in dem Umfang berücksichtigt werden, wie diese es sich bestimmt erträumen, ist allerdings zu bezweifeln. Denn zumindest die Armeeführung agiert keineswegs neutral.

"Auch die Armee foltert", lautet eine wichtige Meldung die ursprünglich vom Guardian kommt. Der Standard berichtet unter Berufung auf Reporter ohne Grenzen, dass im Zuge der Rebellion bisher 75 Journalisten festgenommen worden sind.

Zudem verfolgt die Armee eigene wirtschaftliche Interessen. Damit sind nicht nur die 1.300 Millionen US-Dollar gemeint, die den ägyptischen Streitkräften jährlich aus der Kasse der US-amerikanischen SteuerzahlerInnen überwiesen werden. Es geht auch um "Wasser- und Olivenöl-Wirtschaft, Zement- und Bau-Industrie, das Hotel-Gewerbe und die Ölindustrie. Im Nildelta und am Roten Meer verfügt das Militär über einen großen Landbesitz", listet der Freitag. Telepolis spricht von einem "ägyptisch-amerikansichen-Militär-Industrie-Komplex".

Die Generäle haben nun erst einmal kräftig auf die Bremse getreten und sind offensichtlich entschlossen, die ÄgypterInnen mindestens ein halbes Jahr lang hinzuhalten. Damit würde der Termin für die nächsten Wahlen in etwa dem entsprechen, den Mubarak auch angestrebt hatte. Dazu passt, dass das Kabinett, dass Mubarak kurz vor seinem Rücktritt eingesetzt hatte, im Amt bleibt.

Wie die Armee, so sind auch viele Muslim-Brüder längst Teil der Eliten und haben kein Interesse an wirklichen Veränderungen. Damit ist nicht die in vielen Medien immer noch propagierte Gleichsetzung von politischen Islam mit Totalitarismus gemeint (1), (2). Denn natürlich drängen die Muslimbrüder in's Parlament und partizipieren selbstverständlich in demokratischen Verfahren. Es sind vielmehr die wirtschaftlichen Interessen der Muslim-Bruderschaft und ihre engen Kontakte bis in die Spitzen der ägyptischen Gesellschaft, die Zweifel daran nähren, ob sie wirklich ein faireres Ägypten mit aufbauen helfen werden. Die Nachdenkseiten dazu: "Von den 18 Unternehmerfamilien, welche im Wesentlichen die ägyptische Wirtschaft kontrollieren, sollen angeblich acht den Muslimbrüdern angehören."

Nachdem Armee und Muslimbrüder hier als Träger des gesellschaftlichen Fortschritts in Ägypten ausgeschlossen wurden, bleibt - nach der gängigen Einteilung der Akteursgruppen durch die politischen Beobachter - nur noch "die Jugend". Diese bemüht sich darum, den Schwung der Proteste aufrecht zu erhalten, die die Armee jetzt gerne unterdrücken würde. Um dem Phänomen auch ohne Arabischkenntnisse ein wenig auf die Spur zu kommen, hat sich das geflügelte Wort von der cairo commune als sehr hilfreich erwiesen. Unter anderen interessanten Inhalten (1), (2) findet sich auch der unten wiedergegebene Katalog mit sieben zentralen Forderungen. Die Redaktion hat sich der - bisher geringfügigen - Mühe unterzogen, jene Forderungen durch Unterstreichen hervorzuheben, denen bereits entsprochen wurde.
  1. The resignation of the President and by the way this does not contradict the peaceful transition of power nor the current constitution which allows and organizes this process.
  2. the immediate lifting of the state of emergency and releasing all freedoms and putting an immediate stop to the humiliation and torture that takes place in police stations
  3. the immediate dissolve of both the Parliament and Shura Council
  4. forming a national unity government that political forces agree upon which manages the processes of constitutional and political reform
  5. forming a judicial committee with the participation of some figures from local human rights organizations to investigate the perpetrators of the collapse of state of security this past week and the murder and injury of thousands of our people.
  6. Military in charge of protecting peaceful protestors from thugs and criminal affiliated with the corrupt regime and ensuring the safety of medical and nutritional convoys to civilians
  7. the immediate release of all political detainees and in their forefront our colleague Wael Ghoneim.
Die Forderungen decken sich weitgehend mit den von Aljazeera gesammelten Aussagen; vgl. auch das gute Interview zu dem Thema in der ARD. Die wird nun das Militär erfüllen (wollen/können/müssen?) wobei die Militärherrschaft selbst Forderung Nr. 4 direkt zuwiderläuft. Teile der Protestbewegung haben weitere Aktionen angekündigt.

Zur Erbauung abschließend noch ein winziger Video-Ausschnitt aus dem aufregenden Geschehen der letzten Wochen:


MediaWatchBlog bietet dieses Video nicht nur deshalb an, weil es die sympathische Seite des ägyptischen Volksaufstands zeigt. Es ist vor allem interessant, weil es belegt, wie die DemonstrantInnen auch die Gefühle und Reaktionen von MedienkonsumentInnen zu kalkulieren suchen und mit unorthodoxen Mitteln um Sympathien werben. Klar hat die Aktion ihnen selbst auch sichtbar Freude bereitet. Hat tip für die Hinweise auf das Video und den Forderungskatalog geht an Ina Zeuch.

Und Israel?
"Egypt's upheaval means that Palestine must wait" meint Foreign Affairs: "...the main obstacle remains what it has been all along: the Palestinian insistence on the "right of return" und (nachdem die überwältigende Komprosmissbereitschaft der Palästinenser nun durch wikileaks öffentlich geworden ist): "Despite conventional wisdom in the West that a Palestinian state needs to be created to contain the Islamist threat, Israelis believe the reverse to be true."

Regel Nummer 1 in der internationalen Politik lautet: 'Pacta sunt servanda', Verträge müssen eingehalten werden. Dennoch ist die Panik vor einer Aufkündigung des Separatfriedens mit Israel durch ein demokratisches Ägypten mit den Händen zu greifen. Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, hat in in Welt Online denn auch schon vorgeschlagen, Israel in die NATO aufzunehmen.

P.S.
Es kann sogar sein, dass die Auswirkungen der des ägyptischen Volksaufstand schon bald bis in die USA reichen. Denn im Land der Freien kann Aljazeera nur über das Internet, aber fast gar nicht im Fernsehen empfangen werden. Der Sender hat eine Kampagne gestartet, um das zu ändern: "Demand Aljazeera in the USA". Die Seitenaufrufe des Senders sind (nach eigenen Angaben) in der letzten Zeit um 2500 Prozent gestiegen....

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