Mittwoch, 12. Januar 2011

"Die mutigen und verzweifelten Proteste"

In Tunesien und Algerien gehen die Proteste weiter. Während es in Tunesien um Jobs und bürgerliche Freiheitsrechte (Aljazeera) geht, versucht die algerische Regierung der Situation Herr zu werden, indem sie die Einfuhrzölle für Zucker und Öl senkt (Aljazeera), damit die Preise für die Lebensmittel sinken. Beide Regime greifen mit aller Härte durch.

Wie schon bei der Wahlfarce in Ägypten vermisst der MediaWatchBlog auch diesmal den Hinweis in unseren Qualitätsmedien, dass solche Repression vor allem dem politischen Islam in die Hände spielt.

Das gilt zum Beispiel für die taz - obwohl sie daran erinnert, dass die "unglaublich dreiste Despotie" in Tunesien im "Kampf gegen den politischen Islamismus gleich die gesamte Opposition ausgeschaltet" hat. Wenn das Blatt den Europäern nun empfiehlt, "die mutigen und verzweifelten Proteste nun endlich ernst nehmen und sich neue politische Partner suchen", ist das unehrlich und ich-wünsch-mir-was-Diplomatie. Exilierte tunesische Oppositionelle leben ohnehin in Europa (1), (2). Wie viel Einfluss sie in Tunis noch haben, steht in den Sternen.  Es wäre nicht überraschend, wenn der politische Islam trotz Verbots (1), (2) mittlerweile auch in Tunesien eine wichtige Rolle in der Opposition spielt. Für Algerien steht dies sowieso außer Frage. Da hilft es auch nichts, dass Welt online vermeintlich (oder tatsächlich) vertanen Chancen nachtrauert:
Die greisen maghrebinischen Herrscher werden ihre Völker nicht ewig in Schach halten können. Das Versäumnis Europas, demokratische Kräfte nicht rechtzeitig unterstützt zu haben, könnte sich deshalb bald bitter rächen.
Das Gegenteil ist richtig: In Tunesien hat die EU die Regierung offen unterstützt. Überdies steht zu befürchten, dass der Westen erst dann mit dem politischen Islam in Dialog tritt, wenn es nicht mehr anders geht (Türkei). Bis dahin aber könnten sowohl weite Teile Europas als auch die USA im Zuge des Kriegs "gegen den Terror" derart von Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit entstellt sein, dass ein solcher Realismus politisch und gesellschaftlich kaum noch Chancen bekäme.

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