Mittwoch, 13. Oktober 2010

Neoliberaler Wunschzettel

Natürlich ist es Sch... Leute für ihre Meinung einzusperren - schon gar elf Jahre. Nach diesem ebenso selbstverständlichen wie leider notwendigen Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung sollte es aber erlaubt sein, die Gründe für Chinas Feindseligkeiten gegenüber Liu Xiaobo und der Friedensnobelpreis-Verleihung an ihn etwas näher zu untersuchen. Denn inzwischen hat das Ostasieninstitut der FH in Ludwigshafen eine kommentierte deutsche Übersetzung der Charta 08 vorgelegt, die Liu Xiaobo seinerzeit mit unterzeichnet hat.

Im Vorwort ist etwa von den "kranken Wurzeln der [chinesischen] Kultur" die Rede. Andererseits fehlt jeglicher Hinweis auf die Verbrechen der europäischen Mächte und Japans während der Kolonialzeit bzw. im Zweiten Weltkrieg. Die Regierungszeit der KP wird als "menschenrechtliche Katastrophenserie" simplifiziert und damit diskreditiert. Gefordert werden in der Charta 08 unter anderem:
  • die "Revision der Verfassung",
  • die "vollständige" Selbstverwaltung der Regionen,
  • "Reform des Eigentumsrechts, Klärung der Eigentumsverhältnisse und -verantwortlichkeiten und Privatisierung des Grund und Bodens",
  • die Senkung der Steuern,
  • indirekt die Anerkennung Taiwans: "gleichberechtigte Verhandlungen und interaktive Kooperation [für] eine friedliche Lösung in der Taiwan-Straße" und schließlich die
  • Gründung einer "Bundesrepublik China".
Fazit: Hier wird der komplette Umbau Chinas nach neoliberalem Wunschzettel propagiert. Sogar eine mögliche Aufteilung der Volksrepublik wird billigend in Kauf genommen. Mit seiner Unterschrift unter die Charta beweist Xiaobo, dass seine Haltung zwar mutig aber nicht friedlich sondern eher unversöhnlich zu nennen ist. Diese Unversöhnlichkeit ist nachvollziehbar. Preiswürdig ist sie nicht.

Um sämtlichen Missverständnissen vorzubeugen: Das sind alles keine Gründe, jemanden einzusperren. Die Menschenrechte sind unteilbar. Doch diese Forderung verweist schon auf das Problem: Die Verwirklichung der Menschenrechte scheint offensichtlich nicht widerspruchsfrei möglich. Auf gut Deutsch: Was nützt das Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn die Stimmen zu schwach sind, um gehört zu werden, weil ihre Besitzer sie vor Hunger gar nicht erst erheben können (Recht auf Nahrung). So geht es weltweit derzeit 925 Mio. Menschen, und davon leben vergleichsweise wenige in China.

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