Dienstag, 16. Juni 2009

Nicht besonders innovativ

ist der Umgang der westlichen Medien mit dem Verlauf und dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Iran. (Hier die Ergebnisse der Google-News-Suche auf Deutsch und auf Englisch) Teilweise wird der Eindruck erweckt, Teheran gleite die Sache bereits aus den Händen (1), (2). Meistens begnügt man sich jedoch damit, unverhohlen Partei zu ergreifen - für die demonstrierenden Reformer, die sich offensichtlich vor allem aus Intellektuellen und der den städtischen Mttelschichten rekrutieren. Das erschreckendste Beispiel bietet wie so oft Bild.de (2). Eine wirklich erfreuliche Ausnahme ist in "Ahmadineschads Mehrheit" einem Kommentar von Rudolph Chimelli in der SZ nachzulesen. Doch die meisten Medien verfolgen dieselbe Linie wie viele westliche Politiker, die sich offen in die Vorgänge einmischen und Partei ergreifen. Iran hat dagegen bereits offiziell protestiert (1), (2).

Ein aufschlussreiches Interview über die Wahlen ist bei Aljazeera zu finden. Befragt wurde die in den USA lebende iranische Schriftstellerin Azar Nafisi.

Wesentlich nützlichere Hinweise liefert die Asia Times. In "A Very Iranian Coup" finden sich diese wichtigen Aussagen:
Having finally wrested control after years of struggle of the oil revenues from the Rafsanjani faction, the Khamenei'ites are in no mood to give it up.
Ahmadinejad is, as far as I know, not one of the beneficiaries (being a genuinely honest and religious man), but is a useful appointee [for the Khameini grouping] in the same way that George W Bush was a useful cipher for Big Oil (...)
In "Rafsanjanis Gambit Backfires" heißt es:
Who is Mir Hossein Mousavi, Ahmedinejad's main opponent in the election? (...) He impressed the Iranian youth and the urban middle class as a reformer and a modernist. Yet, as Iran's prime minister during 1981-89, Mousavi was an unvarnished hardliner. (...)
(...) the hardcore of his [Mussavis] political platform comprised powerful vested interests who were making a last-ditch attempt to grab power from the Khamenei-led regime. (...) these interest groups were severely opposed to the economic policies under Ahmadinejad, which threatened their control of key sectors such as foreign trade, private education and agriculture. (...)
Rafsanjani's plot was to somehow extend the election to the run-off stage, where Mousavi was expected to garner the "anti-Ahmedinejad" votes. The estimation was that at the most Ahmedinejad would poll in the first round 10 to 12 million votes out of the 28 to 30 million who might actually vote (out of a total electorate of 46.2 million) and, therefore, if only the election extended to the run-off, Mousavi would be the net beneficiary as the votes polled by Rezai and Karrubi were essentially "anti-Ahmadinejad" votes.
Doch Rafsanschanis Plan, die Wähler zu spalten - in der Annahme, dass die Stimmen der ausgeschiedenen Kandidaten in der Stichwahl Mussavi zufallen würden, schlug fehl. Es gab keine stichwahl. Noch einmal ein Auszug aus "Rafsanjanis Gambit Backfires":
(...) volunteers running into tens of millions swiftly mobilized. They coalesced with the millions of rural poor who adore Ahmadinejad as their leader. It has been a repeat of the 2005 election. The voter turnout has been an unprecedented 85%.
Erwähnenswert aus dem deutschen Sprachraum ist vor allem die Analyse des Spiegelfechters, der zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt wie die Kollegen von der Asia Times. Zudem geht er kompetent auf den Vorwurf der Wahlfälschung ein. Die Überschrift "There Will be Blood" ist zwar nicht viel versprechend. Aber Absätze wie
„Dummerweise“ waren dies aber die einzigen Wahlen [Iran, Libanon, Palästinensergebiete] in islamischen Nahen und Mittleren Osten, die wirklich halbwegs frei waren. Wenn der Muslim nicht so wählt, wie es der Christ gerne hätte, dann sollte es zur demokratischen Etikette gehören, dies als Willensbekundung zu akzeptieren. Die Alternative wären prowestliche Diktaturen, wie sie im Nahen Osten zahlreich vorhanden sind und die zu den besten Freunden des Westens zählen.
heben sich wohltuend vom Mainstream ab. Chimelli kommt zu einem ähnlichen Schluss:
Ein Gutes bleibt bei allen Fehlern an der iranischen Wahl. Sie erlaubte eine öffentliche, kontroverse Diskussion über Grundfragen der Gesellschaft. Vom Zustand der politischen Mumifizierung Ägyptens oder den archaischen Strukturen Saudi-Arabiens, um nur zwei Länder der Region zu nennen, ist Iran meilenweit entfernt.
Und bei all dem sollte man nicht vergessen: Eine Legitimierung durch 85 Prozent Wahlbeteiligung erreichen die westlichen Demokratien oft nicht mehr.

Überdies wäre ein gründlicher Vergleich der Berichterstattung bei ARD und ZDF über iranische und bundesrepublikanische Protestaktionen vielleicht wirklich so niederschmetternd, wie die junge welt unterstellt.

Zu einem anderen Aspekt der Berichterstattung meint der Spiegelfechter - untermauert mit Beispielen - in seinem jüngsten Beitrag "Aufstand der Generation Twitter":
Informationen mit äußerst vagem Hintergrund, die über Twitter und andere soziale Netzwerke verbreitet werden, finden ihren Weg in die Berichterstattung der internationalen Qualitätsmedien. Was bei diesen Nachrichten Wahrheit und was Propaganda ist, verschwimmt zusehends (...)
Übrigens: Die Privatisierungspolitik der Khameini-Fraktion läuft indessen unbeirrbar weiter.

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