Freitag, 17. April 2009

"Hier spricht Guantánamo"

Als "Hier spricht Guantánamo" von Roger Willemsen im Oktober 2006 erschien, lief meine spontane Reaktion auf etwas hinaus wie: 'Das ist eigentlich eine Schande, dass jemand so eine zentrale publizistische Aufgabe im Alleingang bewältigen muss. Aber offensichtlich gibt es kein relevantes Medium in der Bundesrepublik, das so eine Recherche finanziert...' In den letzten Tagen bin ich dazu gekommen, das Buch zu lesen. Vielleicht kein schlechter Zeitpunkt angesichts der Amnestie für CIA-Folterer.

Selbstverständlich habe ich schon im Vorwort von Willemsen alle nötigen Informationen gefunden, die es braucht, um sich davon zu überzeugen, dass kein etabliertes Medium auch nur das geringste Interesse daran gehabt haben dürfte, die Wahrheit über das Lager auf Kuba verbreiten zu helfen. Unten folgen einige Zitate aus dem Vorwort; die sind als Werbung gedacht. Sie sollten sich das Buch kaufen und die teilweise erschütternden Interviews von dem Entwicklungshelfer, dem Ingenier, dem Ökonom und den anderen selber lesen.
Nicht allein ist der Status der der ohne Prozess Internierten mit der Genfer Konvention unvereinbar, sämtliche für Guantánamo erwiesenen Formen der Verschleppung, der physischen und psychischen Folter sind es (...)

Im Lager soll ermittelt werden, dass es sich bei den Insassen um gesetzlose Straftäter handelt, die deshalb ihre Inhaftierung im Lager verdienen. Das heißt, hier wird das Urteil vor die Anklage, vor die Beweisaufnahme, vor die Verhandlung gestellt. Nur der Spruch steht schon fest, und unter seiner Last vegetieren die Häftlinge mitunter seit rund fünf Jahren im Lager. (...)

Die vermeintlichen 'gesetzlosen Kämpfer' wurden in der Regel nicht von einem Schlachtfeld entfernt, sondern aus zivilen Zusammenhängen, (...) und man hat der überwältigenden Mehrheit von ihnen bis heute nicht einmal den Versuch nachweisen können, den USA 'Schaden zufügen' zu wollen. (...)

Guantánamo ist ein ein Ort mit Schauwert, ein kathartischer Ort (...) für eine Öffentlichkeit, die nach Jahren der amerikansichen Bombardements in Afghanistan und im Irak ohne Schuldige, Verantwortliche, Täter einen Ort braucht, auf den sie weisen kann: Dort sitzen die Verantwortlichen. Dergleichen drucken ja auch deutsche Zeitungen und Nachrichtenmagazine nach und verleihen dem Lager damit eine gewisse Legitimität. (...)

Die Helfershelfer von Guantánamo und Abu Ghraib sitzen gleich in mehreren demokratischen Regierungen. Ihr Demokratieverständnis erlaubt es, willkürlich und ohne Beweise Menschen über Jahre zu inhaftieren, ihnen Prozesse und Entschädigungen zu verweigern, anschließend ihre vielfachen, auch vielfach dokumentierten Verletzungen zu ignorieren (...)

Das von amnesty international seit Jahrzehnten bekämpfte 'Verschwindenlassen' von Personen bekommt seit dem 11.9. eine neue globale Dimension. (...) Aktuelle Schätzungen gehen von etwa 65.000 Prisoners of War [Kriegsgefangenen] aus, darunter befinden sich mindestens 13.000 so genannte Ghost Detainees, die in geheimen Haftzentren systematisch desorientiert, von einem geheimen Ort zum nächsten gebraucht und dabei kontinuierlich gefoltert werden.
"Hier spricht Guantánamo" wird nicht das letzte Wort bleiben, das in dieser Sache gesprochen wird; auch nicht das letzte deutsche Wort. Aber das Buch hat heute schon einen wichtigen Platz in der Geschichte der Literatur der deustchprachigen Gegenöffentlichkeit inne - in der Bedeutung vergleichbar mit den Arbeiten von Günter Wallraff und Bernt Engelmann. Deshalb gehört es in jedes gut sortierte Archiv. Außerdem ist es wünschenswert, dass möglichst viele Exemplare des Buches verkauft werden, damit Willemsen vielleicht eines Tages einmal wieder solch ein heißes Eisen anpackt. Sein Mut hat keinen wirtschaftlichem Misserfolg verdient.

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